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PROUD PHOTO BOOTH BY OLIVER RATH ... - Proud magazine

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E<br />

s war der 37te Frühling in meinem<br />

Leben, und auch im Leben meiner<br />

Partnerin Nicole, obwohl sie 1949<br />

und ich 1948 geboren bin. Der 16te im<br />

Leben meiner Tochter Segolené, die<br />

Nicole in die Verbindung mitgebracht<br />

hatte und die ich mit 4 Jahren kennenlernte.<br />

Und es war der 6. Frühling<br />

im Leben meines Sohnes Marceau. Es<br />

war ein Bilderbuchmaientag, der mich<br />

8 REPORT<br />

zEhn SEkundEn<br />

TodESangST<br />

dIE aBEnTEuR dES koMETEn<br />

zuvor in meinem Handwerk als Bilderrahmer<br />

an einem wichtigen Kundenauftrag<br />

festhielt. Zufrieden war ich<br />

nicht mit mir an diesem Tag, da ich es<br />

wiedermal nicht geschafft hatte, mich<br />

rechtzeitig von der Arbeit loszureißen<br />

und somit eine anstrengende Nachtfahrt<br />

von 850km bewältigen musste.<br />

Ich wollte mich mit meinem Auto auf<br />

den Weg machen zu seinem 6. Geburts-<br />

tag. In der Nacht zum 7. Mai 1985 von<br />

Mainz nach Vire. Ich weiß es wie heute,<br />

was für Gedanken mir auf der 10stündigen<br />

Reise durch den Kopf gingen. Ich<br />

verließ meine Stadt in Richtung Paris<br />

über die auch sogenannte Pariser Straße,<br />

um nach anderthalbstündiger Fahrt<br />

die Grenze zu Frankreich bei Saarbrücken<br />

zu passieren. Der Gedanke an<br />

ein Wiedersehen mit meinem kleinen<br />

Sohn, den ich ein halbes Jahr nicht gesehen<br />

hatte trieb mich an und gab der<br />

Anstrengung einen Sinn. Konnte es<br />

sein, dass ein 5 jähriges Kind versteht,<br />

dass sein Vater, der sich die Zeit einteilen<br />

kann, nicht zu seinem Geburtstagskaffe<br />

eintrifft? Papa muss in die<br />

Werkstatt! Papa bekommt Kundschaft!<br />

Papas Arbeit nimmt mehr Zeit als die<br />

Arbeit anderer Papas. Für das Kind war<br />

das wohl auch der Hauptgrund für die<br />

Trennung der Familie, und gleich auf<br />

so riesige Entfernung. Es war natürlich<br />

nicht die ganze Wahrheit. Ich lebte und<br />

liebte meine Freiheit und übertrieb es<br />

auch manchmal. Ich war leider nicht<br />

der Vater, der einen Kuchen gebacken<br />

hat. Kaufen ja; das konnte ich besser<br />

noch in Frankreich. Kleingeld für die<br />

Autobahngebühr in Frankreich, Grenzkontrolle,<br />

vereinigtes Europa, Fehlanzeige!!<br />

Unsere Väter hatten sich noch<br />

im 2. Weltkrieg gegenseitig versucht<br />

umzubringen. Mein und Nicoles Vater<br />

blieben verschont. Sonst gäbe es Marceau<br />

nicht. Die später in der Normandie<br />

auftauchenden weißen Kreuze der<br />

Soldatenfriedhöfe gaben tausendfaches<br />

Zeugnis der Kämpfe. Ich hatte in<br />

dieser Nacht meinen eigenen Kampf,<br />

und einen unsichtbaren Gegner, die<br />

Müdigkeit. Er lauerte in der Monotonie<br />

eines gut laufenden Motors, wie auch<br />

der Anstrengung, die man den Lichtern<br />

entgegenkommender Scheinwerfer<br />

entgegensetzten muss. Auch meine<br />

Musik, damals auf Kassette, das Wort<br />

CD war noch nicht geboren, schaffte es<br />

nicht ausreichend, meine Konzentration<br />

aufrecht zu erhalten. Ein Kind, dass<br />

keinen Vater mehr hatte, nein, zwei<br />

Kinder, Segolené war seit 12 Jahren<br />

meine Tochter, auch wenn ich nicht ihr<br />

Erzeuger war. Jetzt war sie 16.<br />

Viele ähnliche und hauptsächlich traurige<br />

Gedanken gingen mir mit der Trennung<br />

unserer kleinen Familie durch<br />

den Kopf. Meine Müdigkeit nahm zu.<br />

Das Ziel war einfach noch zu weit. Ich<br />

befuhr eine kleine Nebenstraße, hatte<br />

die Rue National verlassen, langsam<br />

ebbte die Flut entgegenkommender<br />

Lichter ab. Paris hatte ich schon lange<br />

hinter mir gelassen, ich befand mich<br />

im Ausnahmezustand. Ein Sekundenschlaf<br />

konnte mich meine Gesundheit<br />

oder mein Leben kosten. Ich bog in<br />

einer verlassenen Gegend auf einen<br />

schmalen lang gezogenen Ausweichplatz<br />

am Straßenrand ab, der durch<br />

Bäume und einen Graben von der<br />

Straße getrennt war, um doch etwas<br />

zu ruhen. Nach wenigen Minuten, ich<br />

war schon etwas abwesend, befuhr ein<br />

Fahrzeug den gleichen Platz. Es stand<br />

mit einigem Abstand hinter mir und<br />

hatte sein Standlicht an. Ich drehte das<br />

Fenster einen Spalt auf, und vernahm<br />

Stimmen junger Männer, die mich beunruhigten,<br />

da ich nichts verstand<br />

und mir keinen Reim auf ihren Inhalt<br />

machen konnte. Gerade war ich bereit,<br />

meinen Zündschlüssel umzudrehen,<br />

da bewegte sich das Fahrzeug in langsamer<br />

Fahrt an mir vorbei, zu langsam.<br />

Es hielt nach wenigen Metern an, so<br />

das ich es hätte nach meinem Start<br />

rechts überholen müssen, was man<br />

nicht macht. Einen Moment war ich<br />

unschlüssig, dann zeigte ich durch einmaliges<br />

kurzes Aufblenden, dass dieses<br />

Fahrzeug nicht unbesetzt war, in der<br />

Hoffnung, die Freunde zur Weiterfahrt<br />

zu bewegen, was nicht geschah. Nun<br />

war ich mir klar, dass die Möglichkeit<br />

unguter Absichten seitens der nächtlichen<br />

Besucher bestand. Dem wollte ich<br />

ausweichen, und bewegte mein Fahrzeug<br />

in langsamster Fahrt rechts vorbei.<br />

Das fremde Fahrzeug startete auch<br />

und wir bewegten uns vielleicht drei,<br />

vier Meter nebeneinander, der Einmündung<br />

auf die Landstraße zu. Mein Herzschlag<br />

erhöhte sich und signalisierte<br />

Bereitschaft zur Aktion, gleichzeitig<br />

kam Angst auf, beflügelnde Angst. Ich<br />

spürte Aggression in mir. Wollte man<br />

mich abdrängen und nicht in die Straße<br />

einbiegen lassen, war es Zufall oder<br />

wollten sie auch nur wieder auf die<br />

Piste? Der fremde Wagen startete jetzt<br />

flott durch, zog vorbei und ließ mich<br />

zurück. Nach kurzer Fahrt wurde mir<br />

bewusst, dass ich meinen Wasserkanister,<br />

um mein Gesicht frisch zu machen,<br />

aufs Autodach gestellt hatte, bevor das<br />

fremde Fahrzeug auf dem Parkstreifen<br />

auftauchte. Ich hielt deshalb auf einem<br />

vorhandenen Seitenstreifen an, stieg<br />

aus, reckte mich, froh von der vielleicht<br />

vorhanden gewesenen Gefahr befreit<br />

zu sein und schaute zum Sternenhimmel,<br />

fühlte mich in einem intelligenten<br />

Universum aufgehoben. Jetzt wollte ich<br />

die Fahrt fortsetzen, nicht geruht, doch<br />

wieder etwas wach, den Kanister vom<br />

Dach eingepackt stieg ich ins Fahrzeug.<br />

Es waren eine dröhnende LKW-Hupe<br />

und ein Christbaum von Scheinwerferlichtern,<br />

die mich aus meinem Sekundenschlaf<br />

rissen. In der Umklammerung<br />

des Lenkrades versuchte ich<br />

heftig, dem sich nähernden Ungetüm<br />

auszuweichen. Mein rechter Fuß suchte<br />

das Bremspedal und mein Blick die<br />

Straße, doch da war nur Dunkelheit.<br />

Der lang anhaltende Ton des Hupsignals,<br />

das eben noch seinen Ton durch<br />

Annäherung verstärkte zog an mir vorbei<br />

und verstummte. Nur das sich entfernende<br />

Rauschen der Räder verriet,<br />

dass es kein Spuk sondern Wirklichkeit<br />

war. Ich war å dem Lenkrad eingeschlafen.<br />

Die langsam in der Ferne åges ließen<br />

mich nun völlig aufwachen. Ich<br />

war nicht am Fahren, ich stand. Der<br />

vermeintliche Sekundenschlaf war keiner,<br />

er war ein mindestens 10minütiger<br />

richtiger Schlaf am Straßenrand, aus<br />

dem ich gerissen wurde, mit dem falschen<br />

Bewusstsein, erschaffen aus bedrohlichsten<br />

Bildern und Eindrücken,<br />

die ich so nicht anders interpretieren<br />

konnte. Nun war ich wirklich wach und<br />

gelangte nach nächtlicher Fahrt und<br />

herrlichem Sonnenaufgang ans Ziel<br />

an dem drei liebe Menschen auf mich<br />

warteten.<br />

Text: Komet<br />

Illustration: Felix Bork<br />

REPORT<br />

9

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