Zwischenzustände und Metamorphosen - Brennpunkt
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Galeriebericht<br />
Für immer jung.<br />
Jeder engagierte Fotograf, der sein<br />
Rüstzeug noch im vorigen Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
erworben hat, mag es bedauern, dass<br />
sein Metier heute in alle Lebensbereiche<br />
vorgedrungen ist <strong>und</strong> uns begleitet<br />
wie die Armbanduhr <strong>und</strong> das Taschentuch,<br />
von der digitalen »Verwurstung«<br />
der Bilder gar nicht zu reden.<br />
Die gute Nachricht: Dem steht derzeit<br />
ein starkes Interesse an den Heroen<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts gegenüber, die<br />
uns vor dem Siegeszug des Fernsehens<br />
<strong>und</strong> vor allem des Internets ihre Sicht<br />
auf das Leben <strong>und</strong> das Antlitz unseres<br />
Planeten nahe gebracht haben. Nach<br />
Thomas Hoepker, Robert Lebeck, Barbara<br />
Klemm, Max Scheler <strong>und</strong> anderen<br />
konnten wir nun im Gropiusbau die<br />
Life-Reportagen des Amerikaners W.<br />
Eugene Smith erleben, in dramatischem<br />
Schwarzweiß, vor allem sein »Spanisches<br />
Dorf« von 1950, Bilder wie aus<br />
biblischen Zeiten.<br />
Guardia Civil, Spanien, 1950<br />
(Silbergelatineabzug 25,1 x 32,1cm), Center für<br />
Creative Photography, University of Arizona:<br />
W. Eugene Smith Archive / Gift of the artist,<br />
© The Heirs of W. Eugene Smith, courtesy Black<br />
Star, Inc., New York<br />
Smith hat sich dabei immer sozial engagiert<br />
<strong>und</strong> versucht, den Menschen zu<br />
helfen. So auch mit seiner bewegenden<br />
Serie »Die Hebamme« von 1951.<br />
Gescheitert ist er dann an einer sehr<br />
emotionalen Arbeit über Pittsburgh, der<br />
er 4 Jahre geopfert hat, ohne sie je zu<br />
Ende zu bringen. Alkohol <strong>und</strong> Drogen<br />
taten ein übriges. Er starb 1978 mit 60<br />
Jahren.<br />
Auch Mario Giacomelli (1925 bis 2000)<br />
hat sich 1957–59 das Landleben vorge-<br />
40 brennpunkt 1/2012<br />
nommen, in ebenso strengem Schwarzweiß,<br />
im Dorf Scanno in den Abruzzen<br />
(Willy-Brandt-Haus bis 22. Januar). Es<br />
gelingen ihm bizarre grafische Bilder,<br />
die gleichwohl Emotionen freisetzen,<br />
auch fröhliche, wie in der Priesterserie<br />
von 1961-63, in der die schwarzberockten<br />
Mönchlein wie aufgescheuchte<br />
Krähen durch den Schnee tollen. Dem<br />
steht die erschütternde Reihe »Der Tod<br />
wird kommen« aus einem Hospiz in<br />
Senigallia gegenüber.<br />
Den größten Raum nehmen ganz ungewöhnliche<br />
Landschaftsstrukturen ein,<br />
knochenhart vergrößert, Ackerfurchen<br />
wie brutale Kratzspuren, tiefe W<strong>und</strong>en,<br />
die der Mensch der Erde zugefügt hat.<br />
Hier könnte Robert Häusser Pate gestanden<br />
haben. Das Italien unserer Träume<br />
sieht anders aus.<br />
Im selben Haus bis 15. Januar ein Meister<br />
aus Deutschland, der zu seinem 80.<br />
Geburtstag auch leibhaftig in seine Heimatstadt<br />
Berlin zurückgekehrt ist: Jürgen<br />
Schadeberg. Seine Bilder waren hier<br />
noch nie zu sehen. Sie sind in Berlin,<br />
London, Paris <strong>und</strong> vor allem in Südafrika<br />
entstanden, denn Schadeberg war in den<br />
fünfziger Jahren Cheffotograf des Magazins<br />
»Drum«, der ersten Illustrierten für<br />
Schwarze von Schwarzen, die 1964 verboten<br />
wurde. Mit der Leica dokumentierte<br />
er das Leben in den Townships<br />
<strong>und</strong> begleitete zudem kritisch die politische<br />
Entwicklung, den Kampf gegen die<br />
Apartheid. Über 50 Jahre hat er Nelson<br />
Mandela porträtiert, vom jungen Freiheitskämpfer<br />
bis zum ersten schwarzen<br />
Präsidenten Südafrikas. Seine allerersten<br />
Fotos hat er 1943 im Berliner Luftschutzkeller<br />
gemacht. Es gab einen fürs<br />
Vorderhaus, da bedrückte den 12-jährigen<br />
die Stille zu sehr. Er hielt sich lieber<br />
in dem für die Hinterhäusler auf, wo<br />
man die Angst vor Bombeneinschlägen<br />
mit Musik <strong>und</strong> Bier vertrieb. Parallel<br />
zeigt das Institut Francais bis 15.<br />
Januar seinen Bericht aus einem 600-<br />
Seelen-Dorf in der französischen Provinz.<br />
In Frankreich wollte das niemand<br />
ausstellen, in Berlin gibt es ein Publikum<br />
dafür, das hiermit die reizvolle<br />
Möglichkeit hat, Schadebergs französisches<br />
mit Smith’ spanischem <strong>und</strong> Giacomellis<br />
italienischem Dorf zu vergleichen.<br />
Wer dann noch Gerhard Weber<br />
oder Roger Melis im Bücherbord hat,<br />
kann das deutsche hinzufügen.<br />
Von der großen Fotoreportage ist es nur<br />
ein kleiner Schritt zur sympathischen<br />
Street-Fotografie, die immer schon<br />
ein humorvoller oder nachdenklicher<br />
Spiegel unseres Alltags war. Vor allem<br />
zu Zeiten, als das Recht am eigenen<br />
Bild noch nicht so überbetont wurde.<br />
Wie sonst hätten uns Friedrich Seidenstücker<br />
<strong>und</strong> Eva Besnyö so herrlich<br />
spontane Schnappschüsse überliefern<br />
können, wie sie die Berlinische<br />
Galerie noch bis Februar zeigt. Die 120<br />
Vintage- Prints von Eva Besnyö (1910 –<br />
2003) stammen aus der Sammlung des<br />
Verborgenen Museums in der Schlüterstraße.<br />
Sie floh mit zwanzig aus dem<br />
faschistischen Ungarn nach Berlin,<br />
kam hier vom Regen in die Traufe <strong>und</strong><br />
ging 1932 nach Amsterdam. Sie stand<br />
dem Bauhaus nahe <strong>und</strong> dem »Neuen<br />
Sehen«, beeinflusst von ihren Landsleuten<br />
Moholy-Nagy <strong>und</strong> Munkacsi. Wir<br />
müssen es den Kuratoren wohl nachsehen,<br />
wenn sie aus Stolz auf ihre originalen<br />
Schätze zuviel Material an die<br />
Wand bringen. Es sind nicht alles Perlen.<br />
Seidenstückers berühmter »Sprung über<br />
die Pfütze« ist in 7 Variationen zu sehen.<br />
Der Wert der Pfütze wird damit – pardon<br />
– etwas verwässert.<br />
Ein beliebtes Pflaster für die Street-Fotografen<br />
war stets New York. Im Photoplatz<br />
des Hotel Bogotá brachte Joachim<br />
Rissmann zwei Autoren zusammen.<br />
Einmal Ronnie Farley mit »Diary<br />
of a Pedestrian«, ihrem fotografischen<br />
Tagebuch aus den achtziger <strong>und</strong> neunziger<br />
Jahren. Inzwischen ist sie eine<br />
gestandene Fotografin, sieht aus wie ein<br />
Westernheld <strong>und</strong> engagiert sich unter<br />
anderem für die Indianerreservate in<br />
den USA. Ihre Bilder haben eine starke<br />
Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen<br />
kann. Da hat es Bernd Obermann<br />
nicht leicht, sich neben ihr zu<br />
behaupten. Seine meist quadratischen<br />
SWs berichten aus Hell’s Kitchen, einem<br />
anrüchigen Quartier New Yorks, zu heutiger<br />
Zeit. Es kommt was rüber von der<br />
Szene, von sozialer Not <strong>und</strong> Kriminalität,<br />
aber auch von der Faszination für<br />
Künstler <strong>und</strong> Intellektuelle.<br />
Seit November beherrscht das Thema<br />
»Nacht« die Räume des Hotels, bis<br />
15. Januar. Besonders sehenswert sind<br />
Amélie Losiers »Berliner Nachtarbeiter«,<br />
edle SW-Prints, drei davon sehr<br />
wirksam im Leuchtkasten als Dia.