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Zwischenzustände und Metamorphosen - Brennpunkt

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Galerien<br />

Emanuel Raab<br />

»Winterwald«<br />

Die stillen, fast monochromen Fotoarbeiten<br />

der neuen Serie Winterwald von<br />

Emanuel Raab zeigen den Formenreichtum<br />

eines Naturraumes, der sich erst im<br />

winterlichen Erscheinungsbild offenbart.<br />

Die Reduktion der Darstellung verstärkt<br />

die Konzentration auf die ästhetische<br />

Konstruktion der Bildelemente, die bis<br />

zur Abstraktion geraten. Ein Gewirr aus<br />

wild wuchernden Ästen <strong>und</strong> Zweigen<br />

fügt sich zu einem Muster, das sich wie<br />

Haargeflecht oder Spinnweben über<br />

die dahinter liegende Waldlandschaft<br />

spannt. Die feingliedrigen Linien verbinden<br />

sich wie eine filigrane Zeichnung<br />

zur detailreichen Oberflächenstruktur,<br />

das Chaos fügt sich nach längerem<br />

Hinschauen zur Ordnung. Bei aller<br />

Sachlichkeit dringt in den subtil komponierten<br />

Waldbildern eine romantisch<br />

geprägte Auffassung von Natur durch.<br />

Indem die fotografische Gestaltung<br />

malerischen Prämissen folgt, wird die<br />

Natur als geheimnisreicher Ort beschrieben<br />

<strong>und</strong> der Wald zur beseelten Landschaft<br />

transformiert. Wald ist in Deutschland<br />

nicht einfach ein Naturraum sich<br />

wandelnder gesellschaftlicher <strong>und</strong> ökonomischer<br />

Nutzungen <strong>und</strong> Interessen,<br />

sondern ein Identitätssymbol schlechthin.<br />

Kaum ein deutsches Märchen, eine<br />

Volkserzählung oder eine deutsche<br />

Sage ohne Wald. Vor allem die Maler<br />

<strong>und</strong> Dichter der Romantik erhoben den<br />

deutschen Wald zur Seelenlandschaft<br />

<strong>und</strong> beschworen das Bild unberührter,<br />

geheimnisreicher Natur. Der Wald<br />

wurde zum Ort, in dem sich die Natursehnsucht<br />

der Städter vermischte mit<br />

dem Ursprungsmythos von <strong>und</strong>urchdringlichen<br />

Urwäldern. Trotz der realen<br />

Bedrohung der Wälder durch Waldsterben<br />

<strong>und</strong> wachsende kommerzielle Interessen<br />

hält sich die Vorstellung vom Wald<br />

als heilige Stätte <strong>und</strong> als Zufluchtsort für<br />

Einsamkeit <strong>und</strong> Selbstfindung.<br />

Emanuel Raabs Serie Winterwald knüpft<br />

an diese ambivalenten Naturvorstellungen<br />

an. Seine Bilder einer scheinbar<br />

<strong>und</strong>urchdringlichen Natur wirken wie<br />

der Realität gänzlich entrückt <strong>und</strong> voller<br />

Geheimnis. Eine melancholische Poesie<br />

überzieht die winterlichen Ansichten, in<br />

28 brennpunkt 1/2012<br />

Emanuel Raab, Winterwald #22, 2009, Fine Art Pigment Print, 45 x 60 cm © the artist<br />

welchen der Keim des nächsten Erwachens<br />

nahezu unbemerkt unter der<br />

Oberfläche schlummert. Gleichzeitig<br />

scheint im Dickicht der Natur eine<br />

latente Bedrohung herauf, die nicht mit<br />

Bestimmtheit zu verorten ist. Hier kann<br />

man sich verirren, manchmal auch verloren<br />

gehen. Nichts ist nach menschlichen<br />

Bedürfnissen geordnet, nichts<br />

weist einen Weg. Das Ursprüngliche<br />

ist in seiner archaischen Präsenz immer<br />

auch mächtig <strong>und</strong> der menschlichen<br />

Dimension entwachsen. In der Tiefe<br />

des Waldes angekommen, werden die<br />

kollektiven Bilder seiner mythischen<br />

Geschichte unwillkürlich lebendig.<br />

Ausgehend von seinem fotografischen<br />

Entwurf stimmungsvoller Landschaftsbilder<br />

entwirft er eine Art Typologie des<br />

Naturhaften. In der Betrachtung der winterlichen<br />

Landschaft offenbart sich ein<br />

überraschend detailreiches Formen- <strong>und</strong><br />

Strukturgefüge, welches das Wesenhafte<br />

des Waldes offenbart. Hinter der scheinbaren<br />

Monotonie von unbelaubtem Astwerk,<br />

Unterholz <strong>und</strong> Gestrüpp entfaltet<br />

sich der überwältigende Formenreichtum<br />

der Natur, die ihrer eigenen Logik<br />

<strong>und</strong> Gesetzmäßigkeit folgt. Der populären<br />

Auffassung von ‚toter Natur’ stellt<br />

der Künstler die nahezu unerschöpfliche<br />

Vielfalt organischer Erscheinungsformen<br />

gegenüber <strong>und</strong> entführt den Betrachter<br />

auf diese Weise im doppelten Sinne in<br />

eine verborgene Sphäre einer ihm vermeintlich<br />

bekannten Welt.<br />

Emanuel Raab studierte Fotografie <strong>und</strong><br />

Film an der Hochschule für Gestaltung<br />

in Darmstadt. Seit 1994 beteiligte er<br />

sich an zahlreichen Einzelausstellungen<br />

im In- <strong>und</strong> Ausland (u.a. 2011, MenschenBild,<br />

Museum Wiesbaden; 2007,<br />

heimat.de, Goethe-Institute London<br />

<strong>und</strong> Neapel; 2004, Nachtland, Kunsthalle<br />

Bielefeld; 2002, heimat.de, Landesmuseum<br />

Oldenburg, Kunstverein<br />

Ulm; 1999, Blick-Wechsel, Frankfurter<br />

Kunstverein; 1996, Wegen Umbauten<br />

geschlossen, Schirn Kunsthalle) sowie<br />

an verschiedenen Gruppenausstellungen<br />

(u.a. 2008, Vertrautes Terrain, ZKM<br />

Zentrum für Kunst <strong>und</strong> Medientechnologie<br />

Karlsruhe; 2007, OWL1, MARTa<br />

Museum, Herford; 2005, Landschaft<br />

als Metapher, Ursula Blickle Stiftung;<br />

2002, Heimat, Kunsthaus Dresden;<br />

1996, Deutschland erotisch, Museum<br />

für Kunst <strong>und</strong> Gewerbe, Hamburg).<br />

Seit 2001 lehrt er als Professor an der<br />

Fachhochschule Bielefeld Fotografie<br />

<strong>und</strong> Bildmedien.<br />

21. Januar bis 29. April 2012<br />

Alfred Ehrhardt Stiftung<br />

Auguststraße 75<br />

10117 Berlin-Mitte<br />

Di – So 11 – 18 Uhr<br />

Do 11 – 21 Uhr

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