brennpunkt 1/2013
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Galeriebericht<br />
© Stéphane Couturier<br />
denn auch auf Pier Paolo Pasolini als<br />
Leit- und Leidbild seiner Lust-Schmerz-<br />
Obsessionen. Diese extremen Bilder<br />
gehören zum Stärksten, was uns dieser<br />
Monat der Fotografie beschert hat.<br />
D’Agata hat 1990 u.a. bei Larry Clark<br />
studiert, dem schonungslosen Chronisten<br />
des Drogenmilieus. Seitdem hat er<br />
12 Bücher und 3 Filme gemacht. Er hätte<br />
sicher einen größeren Rahmen für sein<br />
Werk verdient.<br />
Im Mainstream schwimmt er freilich<br />
nicht. Auch der Berliner Alexander<br />
Platz nicht. Dafür nehmen beide das<br />
Medium viel zu ernst. Im Café Berio<br />
spürt Platz bis 7. Januar <strong>2013</strong> »Berlins<br />
kreativen Gesichtern« nach, zu denen<br />
zweifellos auch das seine gehört. Auf<br />
hohem fotografischem Niveau, dem er<br />
sich verpflichtet fühlt, lichtet er seine<br />
Künstler ab, vorwiegend aus der Musikszene<br />
der Stadt, in intensivem Schwarzweiß.<br />
Natürlich haben seine »Motive«<br />
zur Vernissage temperamentvoll aufgespielt.<br />
Im Kiez an der »Nolle«, dem Nollendorfplatz,<br />
hat er bis 7. Januar ein tolerantes<br />
und neugieriges Publikum.<br />
Das Institut Francais am Ku-Damm trägt<br />
dem Blick des Anderen Rechnung mit<br />
dem Pariser Stéphane Couturier, der<br />
sich in seiner Heimatstadt und in Berlin<br />
der »Archéologie Urbaine« gewidmet<br />
hat. Er sieht die Stadt als lebenden<br />
Organismus, fern von Poetik und Nostalgie.<br />
Leider erliegt er der Faszination<br />
von Großbaustellen mit ihren geometrischen<br />
Strukturen und dem technischen<br />
Chaos so sehr, dass die Lebendigkeit zu<br />
kurz kommt.<br />
Sein Landsmann Georges Rousse bei<br />
Springer in der nahen Fasanenstraße<br />
Nr.13 geht einen verrückten Sonderweg.<br />
Statt seine großen Architekturtableaus<br />
am Computer zu bearbeiten, realisiert<br />
38 <strong>brennpunkt</strong> 1/<strong>2013</strong><br />
© Georges Rousse<br />
er seine Bildideen am Objekt, vor der<br />
Aufnahme, auf sehr hintergründige, aber<br />
im Grunde ehrliche Weise. Ihm gelingt<br />
eine irritierende Verschiebung der Perspektive,<br />
eine drastische Veränderung<br />
des Motivs, auf die man nicht gefasst<br />
ist. Da er das auch mit dem Galerieraum<br />
macht, in dem sich der Betrachter<br />
gerade befindet, ist die Wirkung frappant.<br />
Ich empfehle einen Selbstversuch.<br />
Der charmante Galerist Alessandro<br />
Rotondo wird Sie gestenreich in das<br />
Geheimnis einweihen. (Bis 12. Januar<br />
<strong>2013</strong>, Di-Fr 11-18, Sa 12-15 Uhr).<br />
Nach solcher Fantastik fallen die konventionellen<br />
Fotografen ein wenig ab,<br />
obwohl sie saubere Arbeit leisten. So<br />
Stephen Mooney in der aff-Galerie in<br />
Friedrichshain. Der Fotograf, Dichter<br />
und Filmemacher hat den »Jahrhundertwinter«<br />
2009/2010 in Berlin mit<br />
der 9x12-Kamera erwandert und schön<br />
frostig abgelichtet, im spärlichen Licht<br />
der Gaslaternen. Ganz hat er es nicht<br />
gepackt, sein Schnee ist selten weiß<br />
und die Gebäude stürzen etwas zu sehr.<br />
Die Stimmung der Winternächte aber<br />
kommt wunderbar rüber. Man denkt<br />
unwillkürlich an Andersens Mädchen<br />
mit den Schwefelhölzchen. Zuvor war<br />
Thomas Graichen hier vertreten, ebenso<br />
winterlich, viel weniger aufwendig in<br />
der Technik und gerade deshalb sehr<br />
sinnlich. Er hat seinem grauen Winter<br />
in »Die stille Stadt« Prosa von Ann-<br />
Christin Kumm zur Seite gestellt und in<br />
einem kleinen Heft vereinigt. Die aff =<br />
»Arbeitsgemeinschaft freier Fotografen«<br />
finanziert ihre Galerie über die Beiträge<br />
ihrer Mitglieder und sucht noch interessierte<br />
Kollegen, die sich beteiligen<br />
und hier ein Forum für ihre Bilder finden<br />
wollen (www.aff-berlin.com).<br />
Mehr Wärme bietet uns diesmal Potsdam<br />
mit der »Reise nach Jerusalem«<br />
von Frank Müller in der Galerie des<br />
Fotoclubs. Er hat mit seinen anrührenden<br />
Menschenbildern ein intensives<br />
Porträt dieses Schmelztiegels der Religionen<br />
geschaffen, voller Zuneigung<br />
und Humor. Jedes Bild erzählt uns eine<br />
Geschichte, auch von dem fundamentalistischen<br />
Hintergrund, der die Idylle<br />
bedroht. Müller weiß um die Wirkung<br />
eines perfekten Fotos und hilft mit behutsamer<br />
Regie oft ein wenig nach.<br />
Über fotografische Regeln braucht man<br />
sich mit Altmeister Walter Wawra nun<br />
wirklich nicht zu streiten. Er hat sie<br />
alle drauf als gestandener Fachmann<br />
und langjähriger Leiter des Fotoclubs<br />
Potsdam. Was es dann bringt, ist das<br />
gewisse bisschen drüber raus, der Pfiff.<br />
Als Glied der Photographen Lounge<br />
Potsdam beweist er das alljährlich. Zu<br />
seinem Siebzigsten zeigt er nun in der<br />
Kunstgalerie »Im güldenen Arm« seine<br />
sehr malerischen, herrlich ausgearbeiteten<br />
fotografischen Gedichte von<br />
der Schönheit im Verfall. Die Bildtitel<br />
helfen dem Betrachter bei der Interpretation.<br />
Sie könnten ihn auch blockieren.<br />
Man erkennt ein Kopftuch in<br />
der abgeblätterten Farbe. Titel: Anbetung.<br />
Ich sehe: Migration. Auch so ein<br />
anderer Blick. Das Motto des »Monats«<br />
bringt uns jedenfalls ständig zum Nachdenken.<br />
Hier weht uns auch ein Hauch<br />
von Europa an, selten in diesem europäischen<br />
Monat, denn die Fotos werden<br />
den Skulpturen der Bildhauerin Hisu<br />
Choi zur Seite gestellt, die in Potsdams<br />
Partnerstadt Perugia/Italien arbeitet.<br />
Daselbst hat auch Walter Wawra schon<br />
ausgestellt.<br />
Und wo bleiben die fleißigen Chronisten?<br />
Einer war bei Manfred Carpentier<br />
live zu erleben, 90 Jahre alt, mit seiner<br />
Frau Claudia: Jürgen Schadeberg.<br />
Nicht mit seinem Lebenswerk, das ist<br />
noch bis 16. März mit den »The concerned<br />
Photograph« bei argus in Zitaten<br />
zu bewundern und war zuvor<br />
Thema einer großen Retrospektive im<br />
Willy-Brandt-Haus, sondern mit »Zu<br />
Besuch in Deutschland 1942 bis 2012«,