brennpunkt 1/2013
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© Aenne Burghardt<br />
sie sich in glücklicher Weise mit ihrem<br />
künstlerischen Anspruch, der zugleich<br />
für das bisschen Abstand sorgt, den auch<br />
der Betrachter braucht. Sie hat Betreuer<br />
und Betreute der Reha-Einrichtungen in<br />
Steglitz mit großer Achtsamkeit porträtiert<br />
und, wie Klaus Eschen in der Laudatio<br />
sagte, die sonst als behindert oft Ausgegrenzten<br />
als starke Persönlichkeiten<br />
dargestellt. Das macht die Menschen<br />
glücklich, wie man zur Vernissage in<br />
der alten Hauptpost beobachten konnte.<br />
Und den Betrachter auch.<br />
Wenn das Konzept überwiegt und sich<br />
die Porträtierten dem Formwillen der<br />
Fotografin unterordnen, muss ihnen das<br />
nicht ihre Würde nehmen. So hat Mirjana<br />
Vbraski für ihre »Verses of Emptiness«<br />
bei exp12 (siehe <strong>brennpunkt</strong> 3/12)<br />
Frauen aus ihrem sozialen Kontext herausgelöst<br />
und sie auf altmeisterliche<br />
Art wunderschön und zugleich scheinbar<br />
unnahbar dargestellt, wie Ikonen, in<br />
meditativer Entrückung. Sie strebt nach<br />
eigenen Worten eine Entindividualisierung<br />
an, eine Typisierung also. Aber der<br />
oft direkte Blick hat eine so hypnotische<br />
Wirkung, dass man verzweifelt versucht,<br />
das Rätsel zu lösen.<br />
Rätsel gibt uns auch Bettina Rheims auf<br />
mit ihren großformatigen »Gender Studies«<br />
bei Camera Work. Bei der Betrachtung<br />
dieser kaum bekleideten schönen<br />
Körper ist uns unsere Kultur und<br />
vor allem unsere Sprache im Wege, die<br />
uns ständig zur Einordnung zwingt: Frau<br />
oder Mann? Rheims mutet uns auch die<br />
Übergänge zu, die Verwandlung von<br />
einem Geschlecht ins andere.<br />
Ihre Menschen zeigen Mut, Beklommenheit,<br />
Angst. Aber sie schafft die<br />
nötige Distanz durch eine coole, fast kli-<br />
© Mirjana Vbraski<br />
nische Ästhetik. Die erreicht sie durch<br />
totale, schattenlose Ausleuchtung. Sie<br />
meint, dass sexuelle Flexibilität dem<br />
Individuum viel Freiheit bringt. Nur:<br />
Dafür braucht es ein tolerantes Umfeld.<br />
Das könnte in Berlin am ehesten zu<br />
finden sein, es ist ein Merkmal der Urbanität.<br />
Und die künstlerische Freiheit geht<br />
damit einher. In der Fotografie, die mit<br />
der Digitalisierung nun endgültig zum<br />
Massenmedium wurde, eindeutig auf<br />
Kosten der Qualität. Eine bewusste Bildgestaltung<br />
ist weitgehend verpönt. Das<br />
Banale, Beliebige wird gern mit dem<br />
Begriff »atmosphärisch« aufgewertet. In<br />
einer Zeit, in der von der Zukunft wenig<br />
Gutes zu erwarten ist, scheint das dem<br />
Lebensgefühl, vor allem dem der jungen<br />
Leute, angemessen zu sein. Trendbewusst<br />
beurteilen sie ein Foto eher nach<br />
dem Grad seiner »Erregungsintensität«<br />
als nach klassischen Regeln. Mögen uns<br />
die Galeristen erhalten bleiben, die uns<br />
Gelegenheit bieten zur unaufgeregten<br />
Betrachtung fotografischer Botschaften.<br />
Die können schon mal Sehgewohnheiten<br />
auf den Kopf stellen. Ein Hüter<br />
der traditionellen SW-Fotografie, Norbert<br />
Bunge (argus), hat es vorgemacht.<br />
Er hat den 1967 in Tel Aviv geborenen<br />
Michael Ackerman auf seine Galeriewände<br />
losgelassen und der hat seine<br />
impulsiven »Half Life«-Fotos drangeklebt,<br />
ohne Glas noch Rahmen, dass<br />
es eine Art hatte. Immerhin, die kleineren<br />
Formate waren argus-gemäß Barytabzüge.<br />
Bunge war bass erstaunt, dass<br />
© Michael Ackerman<br />
© Oscar Lebeck (O.i.F.)<br />
Galeriebericht<br />
er plötzlich bis zu 100 Besuchern am<br />
Tag hatte in seiner sonst eher verträumten<br />
Galerie. Ackerman ist ja kein junger<br />
Wilder mehr, aber er hat Fans, die seine<br />
frechen Gesellschaftssplitter lieben<br />
(siehe <strong>brennpunkt</strong> 4/12). Dazu kam der<br />
Sog dieses besonderen Monats.<br />
Ein echter junger Wilder ist Oscar<br />
Lebeck, geboren 1993, der für das Stadtmagazin<br />
»zitty« in Berlin unterwegs ist.<br />
Im Photoplatz des Hotel Bogotá hängen<br />
seine unbekümmerten bunten Schnappschüsse<br />
der frivolsten Art noch bis 29.<br />
Januar <strong>2013</strong>, unter dem Titel »The<br />
Future is unwritten«. Für Ästheten sind<br />
sie eine absolute Zumutung. Zum Ausgleich<br />
serviert uns Hotelier und Kurator<br />
Joachim Rissmann im »Kabinett« parallel<br />
den Franzosen Antoine d’Agata,<br />
dessen aufregenden und beklemmenden,<br />
fast gewalttätigen Körperbildern<br />
man in dem intimen Raum schutzlos<br />
ausgeliefert ist. Der Autor beruft sich<br />
<strong>brennpunkt</strong> 1/<strong>2013</strong><br />
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