Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Romanistik und Anti-Kommunismus 301<br />
sehen Fachpresse nur einmal besprochen worden ist: von Franz<br />
Niedermayer in einer Sammelrezension zu Aufsatz-Editionen von<br />
Auerbach, Hess und Köhler unter dem anspruchsvollen Titel Deutsche<br />
Romanistik zwischen Metaphysik und Soziologie (Die Neueren<br />
Sprachen, 1969, 394—399): Niedermayer stellt fest: „ . . . der sich als<br />
solcher bekennende Schüler von Krauss in Leipzig .erhebt die historische<br />
Literatursoziologie definitiv zum Rang einer Literaturwissenschaft',<br />
will ihr das Recht auf ein verbindliches ästhetisches Urteil<br />
einräumen." Nicht daß Werner Krauss nun bereits seit vielen Jahren<br />
in Berlin lebt und lehrt, ist der Aufmerksamkeit wert, auch nicht,<br />
daß Niedermayers Staunen über den Anspruch der Literatursoziologie<br />
den Zustand der bodenlosen Provinzialisierung der bundesrepublikanischen<br />
Romanistik adäquat widerspiegelt, sondern daß man<br />
sich in der BRD als Schüler von Werner Krauss „bekennen" muß!<br />
Doch folgen wir Niedermayer bei seiner nächsten Entdeckung:<br />
„Unter anderem wird Georg Lukâcs aus Budapest, dem die Wortführer<br />
der deutschen Literaturkritik des längeren schon stark verpflichtet<br />
sind, nun audi zum Berater der Romanisten erhoben [!],<br />
u. a. aufgrund seiner Balzac- und Flaubert-Untersuchungen." Wenngleich<br />
Niedermayer zwar eben erst entdeckt hat, daß Lukâcs aus<br />
Budapest stammt, so weiß er doch bereits, daß er ein „Hegel-Epigone"<br />
ist, was ja im Grunde schon alles (auch über Köhler) sagt. Doch<br />
Lukâcs hin und Soziologie her: wenn es fein wird, dann haben beide<br />
nichts mehr in der Wissenschaft zu suchen: „Bei einem Aristokraten<br />
des Geistes wie der Gesinnung, nämlich Saint-John Perse, verzichtet<br />
Köhler . . . auf mögliche soziologische Assistenz, wodurch ihm<br />
eine recht beschwingte, ideologisch unbelastete Skizze gelang und<br />
das Leben wie von selbst ins Werk mündet."<br />
In einer anschließenden, umfassenderen Polemik gegen Köhlers<br />
Arbeit erwähnt Niedermayer auch „Mißverständnisse und scharfe<br />
Polemik", die es gegeben habe: „u. a. gegen den Herausgeber des<br />
ersten Werkes [Schalk: Auerbach], der eine ,soziologistische' Betrachtungsweise<br />
abgelehnt hatte". Lassen wir Niedermayers nicht erstaunliche<br />
Verwechslung von Angriff und Verteidigung: er beendet<br />
seine Rezension mit Bemerkungen über Auerbach, Vossler und<br />
Curtius, die er gegen Köhler mobilisiert. Sie alle hätten bereits die<br />
„soziologische Perspektive" (siehe oben: H. G. Tuchel) gekannt, diese<br />
„aber nicht <strong>für</strong> so wichtig" gehalten, „wie dies heute der Fall zu<br />
sein scheint". „Auch ein Curtius handelte schon in seinen ersten<br />
Büchern von geistig-soziologischen Problemen Frankreichs, sprach<br />
früher als andre vom Katheder über Mannheim, Lévy-Brûhl, Horckheimer<br />
oder Scheler", erzählt Niedermayer und vergißt nur hinzuzufügen,<br />
daß Lévy-Briihl <strong>für</strong> Curtius „doch wohl" ein „zugewanderter"<br />
und Karl Mannheim ein „submarxistischer Jude" war. Doch was<br />
bedeutet das, gemessen an der Tatsache, daß Curtius „gegen die<br />
internationalen wie die nationalen Soziologen . . . mit der lapidaren<br />
Feststellung" „zielt", „daß das Kunstwerk die Leistung eines einzelnen<br />
und nicht die einer Gruppe sei". Wenn Köhler das soziologisch<br />
hartnäckig nicht als endgültige Niederlage versteht, dann ist er