Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Romanistik und Anti-Kommunismus 299<br />
liehen Curtius-Schule kann man nur schwer sprechen 105 , aber sein<br />
Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, die Pflichtlektüre<br />
ganzer bundesrepublikanischer Studentengenerationen bis<br />
heute, hat — wie H. R. Jauß zu Recht feststellt — eine ganze „Legion<br />
von epigonischen Toposforschern ins Brot gesetzt 106 ". Die motivgeschichtlich-psychologistische<br />
Forschung von Hellmuth Petriconi<br />
fiel bereits zu seinen Lebzeiten dem mangelnden Interesse und dem<br />
Vergessen anheim, und die Schule von Hugo Friedrich trat erst mit<br />
der Einrichtung der Freiburger Schriften zur Romanischen Philologie<br />
1965 ans Licht, wenn auch in ein theoretisch-methodisch undefinierbares.<br />
Den vielen Schülern von Fritz Schalk gelang es nicht, auch<br />
nur einen einzigen interessanten, geschweige (wie es nötig gewesen<br />
wäre) <strong>kritische</strong>n Funken aus dem brisanten Gebiet der von ihm<br />
ganz speziell betriebenen Wortforschung zu schlagen.<br />
Der einzige bundesrepublikanische Schüler von Werner Krauss,<br />
Erich Köhler, zog sich auf die anscheinend gefahrlose Position der<br />
soziologischen Erforschung mittelalterlicher Literatur zurück, von<br />
der er von Zeit zu Zeit vorsichtige Exkursionen in andere Gebiete<br />
unternahm. Dabei war er geradezu ängstlich bemüht (und daß es<br />
da<strong>für</strong> berechtigte Gründe gab, liegt auf der Hand), die wahren Ahnherren<br />
seiner Wissenschaftskonzeption nicht beim Namen zu nennen.<br />
Die einzige Autorität, die er nicht versteckte, war Lukâcs, aber bereits<br />
das genügte, um entweder auf die Nichtbeachtung durch die<br />
bundesrepublikanische Romanistik oder aber auf diffamierende<br />
„Kritik" zu stoßen, was um so bezeichnender ist, als Erich Köhler zu<br />
den ganz wenigen aufgrund ihrer Forschung international bekannten<br />
und anerkannten bundesrepublikanischen Geisteswissenschaftlern<br />
gehört. Es ist daher geradezu selbstverständlich, daß die Zahl der<br />
ausländischen Besprechungen seiner Bücher die der deutschen und<br />
gar der fachwissenschaftlichen bei weitem übersteigt: die namhaften<br />
Vertreter des Faches Romanistik nahmen (bis auf eine Ausnahme)<br />
Köhlers Arbeiten entweder nicht zur Kenntnis oder überließen die<br />
Besprechungen seiner Werke (damals noch) unbekannten Assistenten,<br />
zu denen auch H. R. Jauß gehörte, der das Verdienst hat, im<br />
Jahr 1959 eine positive Besprechung von Köhlers Ideal und Wirklichkeit<br />
in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artus- und<br />
Gralsdichtung (Tübingen 1958) angefertigt zu haben (in der GRM).<br />
Ilse Nolting-Hauff hingegen spricht in ihrer Rezension des gleichen<br />
Buches von der „kühnen Hypothese" des Verfassers, „die trotz<br />
weitgehend dogmatischer Darstellung wohl auch <strong>für</strong> den V e r -<br />
fasser] Hypothese bleibt 107 "; in das gleiche Horn stößt der Schweizer<br />
W. Ziltener in einer deutschen Fachzeitschrift: „Für die Literatursoziologie<br />
des Verfassers ist der eigentlich literarische Aspekt eines<br />
105 Ein Curtius-Schüler, der die Forschung des Lehrers unfreiwillig<br />
nahezu karikiert, ist Heinrich Lausberg, dessen zweibändiges Handbuch<br />
der literarischen Rhetorik bei aller oft behaupteten Nützlichkeit diese<br />
spezielle Topos- und Rhetorikforschung in sich selbst ad absurdum führt.<br />
106 Literaturgeschichte als Provokation, ed. cit., 154.<br />
107 Archiv, 1961, 236—240, 237.