30.01.2013 Aufrufe

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Romanistik und Anti-Kommunismus 291<br />

die alten, reaktionären Wissenschaftsideologen erhoben erneut ihre<br />

Stimme. Beinahe unübersehbar sind die Aufsätze und Aufsatzsammlungen,<br />

Essays und Kommentare, die z. B. von Vossler und Curtius<br />

unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches veröffentlicht<br />

wurden. Und nichts hatte sich verändert: am 21. Februar<br />

1946 hält Vossler in der Großen Aula der Münchner Universität eine<br />

Rede über Forschung und Bildung an der Universität: „Eitelkeit und<br />

Streberei sind . . . nirgends so lächerlich wie im Tempel der Wissenschaft<br />

. . . Mögen solche Leidenschaften sich im politischen Leben<br />

austoben... Unsere Universität aber als Stätte der Forschung und<br />

Bildung hat alles zu verlieren und gar nichts zu gewinnen, wenn<br />

man sie politisiert. Es mag sein, daß bei solcher Abgewandtheit vom<br />

politischen Leben die Universität keine sehr starke Charakterbildung<br />

vermittelt, aber die Richtung, in der sie sich bewegt, zielt auf<br />

Unerschütterlichkeit und Gleichmut, auf das Stoische 75 ." Mit dem<br />

ihm eigenen „chevaleresken" Charme und seiner „eleganten Männlichkeit"<br />

76 setzt er hinzu: „Vielleicht teilt sich einiges davon auch<br />

den Damen mit, die hier [in der Universität] ein- und ausgehen 77 ."<br />

Es ist heute im Rückblick unfaßbar, daß nach allem, was passiert war,<br />

ein Mann wie Vossler noch immer ungestraft, zumindest unkritisiert<br />

seine reaktionären Ideologeme vortragen durfte. Die Erklärung<br />

dürfte z. T. in der totalen geistigen Entmündigung der deutschen Intellektuellen<br />

durch die anti-aufklärerische, anti-wissenschaftliche<br />

und anti-sozialistische Goebbels-Propaganda zu suchen sein, die bewirkte,<br />

daß man nun — 1946 — diese Sprüche über den „Tempel der<br />

Wissenschaft" und die politische Enthaltsamkeit und endlich auch die<br />

unerhörte Diffamierung der Frau nicht nur über sich ergehen ließ,<br />

sondern auch noch druckte, weil man sie allem Anschein nach <strong>für</strong><br />

besonders bedeutend und befreiend hielt. Daß es sich um Entgleisungen<br />

eines senilen Mannes handeln könnte, wird mit einem Blick<br />

auf ähnliche denkerische Leistungen Vosslers aus vorhergehenden<br />

Jahrzehnten widerlegt.<br />

Über den Rückzug auf die Stoa, bei dem noch heute unerfindlich<br />

bleibt, was denn 1946 die deutsche Universität nach ihrer totalen<br />

„Gleichschaltung" bzw. „Selbstgleichschaltung" an den Faschismus<br />

Vossler zufolge eigentlich noch hätte verlieren können, vergißt der<br />

deutsche Gelehrte natürlich die Leitschnur seines moralischen und<br />

politischen, sprich: wissenschaftlichen Handelns nicht: dem Sozialismus<br />

und Kommunismus wird so, als sei gar nichts geschehen, erneut<br />

der Kampf angesagt: „Wenn man gesehen und begriffen hat, daß der<br />

tiefere Haß, den soziale Schichten und nationale Gruppen gegeneinander<br />

hegen, auf Unterschieden der Denkart, des Glaubens und<br />

der Bildung viel mehr als auf materiellen Gütern beruht, und wie<br />

die stärksten Gegensätze im geistigen, nicht im irdischen Erbgut und<br />

75 München 1946, 24.<br />

76 So Hugo Friedrich in: Karl Vossler (18<strong>72</strong>—1949), in: Karl Vossler,<br />

Die Romanische Welt, München 1965, 7—10, 7.<br />

77 Forschung und Bildung an der Universität, 1. c., 24.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!