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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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284 Michael Neriich<br />

Vom „wahren Nationalismus" hat der Bonner Gelehrte festumrissene<br />

Vorstellungen: er muß sein wie „im August 1914", als man<br />

jubelnd gegen Frankreich zu Felde zog, „keine Parteien mehr", so<br />

wünscht Curtius diese unglückliche Epoche zurück, „nur noch Deutsche":<br />

„Jene nationale Begeisterung ist damals freilich bald zerstoben",<br />

fügt er betrübt hinzu, „aber in der Elite der Frontkämpfer<br />

hat sie sich erhalten." Zu dieser „nationalen Begeisterung", zu diesem<br />

„vaterländischen Geist", sagt Curtius, müssen wir zurück:<br />

„Wenn dieses Programm Nationalismus heißen soll, so bin ich überzeugter<br />

Nationalist 36 ." Curtius, der natürlich nicht versäumt, auch<br />

den Langemarck-Blut-Mythos gemein-kitschig zu beschwören 37 , war<br />

überzeugter Nationalist: seine „Kritik" an den Nationalsozialisten<br />

wird erst aus der Perspektive seiner „Frontkämpfer"-Philosophie<br />

verständlich, denn alles, was er letztlich den Nàtionalsozialisten, die<br />

er (wahrscheinlich im Namen des später suggerierten Widerstandes)<br />

sogar „Schwärmer" zu nennen wagt, vorzuwerfen hat, ist ihre Verachtung<br />

<strong>für</strong> den „Geist", worunter selbstverständlich immer der<br />

seine zu verstehen ist: <strong>für</strong> den Nationalisten Curtius ist der Nazi-<br />

Slogan: „Der Intellekt ist eine Gefahr <strong>für</strong> die Bildung des Charakters"<br />

nichts weiter als ein ,,naive[s] Bekenntnis' 8 "!<br />

6. Der anti-kommunistische Geist<br />

Es sei noch einmal notiert: die hier vorgestellten Schriften von<br />

Curtius erschienen nicht etwa im Dritten Reich, sondern vor der sogenannten<br />

„Machtübernahme": was er den Nazis vorzuwerfen hat,<br />

ist ihre Unschuld, mit der sie kommunistischer Propaganda aufsäßen,<br />

und er belehrt sie, daß es dem nationalen deutschen Wesen<br />

fremd ist, Kulturhaß zu entwickeln, zumal der „Bildungsabbau", wie<br />

er glaubt, doch gegen die eigenen Interessen, die Interessen der<br />

Bourgeoisie verstößt 39 : „Er wird aus Gründen politischer Natur von<br />

verschiedensten Interessengruppen gewollt. In diesem Sinne ist der<br />

Bildungsabbau Ausdruck eines echten, politisch handelnden Kulturhasses.<br />

In monumentaler Form tritt das in Rußland zutage 40 ." Und<br />

damit sind wir beim Kern aller Ängste des Bonner Romanisten angelangt:<br />

die Gefahr <strong>für</strong> den „deutseihen Geist", vor der er warnt und<br />

aufgrund derer er sich zwanzig Jahre später als Widerstandskämpfer<br />

36 Ib. 35.<br />

37 In Krisis der Universität? in: Deutscher Geist in Gefahr, ed. cit., 52:<br />

„Damals schuf Norbert von Hellingrath mit fehlloser Methodenbeherrschung<br />

die <strong>kritische</strong> Ausgabe von Hölderlin, die zugleich ein Denkmal<br />

ergriffener Huldigung war. <strong>Das</strong> ist die deutsche Jugend, die bei Langemarck<br />

verblutete und deren Bild heute so oft verzerrt wird." (Cf. zum<br />

Langemarck-Effekt W. F. Haug, Der hilflose Antifaschismus, 1. c., 90 ff.)<br />

38 Bildungsabbau und Kulturhaß, in: Deutscher Geist in Gefahr, ed.<br />

cit., 20, 30.<br />

39 Ib. 21 ff. Daß nationalistisches Denken und Bildungsschwärmerei<br />

kein Widerspruch zu sein brauchten, zeigt E. Loewy, Literatur unterm<br />

Hakenkreuz, Frankfurt/M. 1966, 53 f.<br />

40 Ib. 21.

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