Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Romanistik und Anti-Kommunismus 283<br />
ernsten und hundertfach erhärteten Willen, den politischen Kampf<br />
aus der Universität fernzuhalten 30 ".<br />
5. Der Frontkämpfergeist<br />
Es gibt einen Mythos, eine Ernst-Robert-Curtius-Legende: 1932, so<br />
etwa lautet sie, stand der Bonner Gelehrte mannhaft auf und schleuderte<br />
den Nationalsozialisten sein romanistisches „J'accuse" entgegen.<br />
Dann freilich kamen die Nazis trotzdem, und Curtius verstummte<br />
und wandte sich voll Ekel von der Gegenwart ab und dem<br />
Mittelalter zu. Curtius ging in die innere Emigration. Kein bundesdeutscher<br />
Romanist, der nicht mit Curtius erzogen wäre, kein oder<br />
doch kaum ein bundesdeutscher Romanist, der diese Curtius-Legende<br />
nicht kennt, denn er, der große Curtius selbst hat sie uns allen<br />
erzählt: 1952, zwanzig Jahre später schrieb er in vollendeter Bescheidenheit<br />
über das „Büchlein Deutscher Geist in Gefahr", es habe ihm<br />
„im März 1933 eine Rüge des Völkischen Beobachters" eingetragen:<br />
„Ich war und blieb zwölf Jahre hindurch persona ingrata .. . 31 ." Auf<br />
den geistigen Widerstand des Bonner Gelehrten waren wir stolz: so<br />
integer war die Romanistik, so integer war der große Curtius, daß er<br />
zwölf Jahre hindurch von den Nazis zum Schweigen verurteilt war<br />
(auf die eine vornehm-warnende Stimme von Werner Krauss aditeten<br />
wir nicht: wer glaubt in der BRD schon einem Kommunisten?) 32 .<br />
Und es ist ja auch richtig: Curtius wendet sich in seinem „Büchlein",<br />
das im Gegensatz zu vielen anderen seiner Schriften nach<br />
1945 keine Neuauflage erlebt hat, gegen die Bildungs- und Kulturfeindlichkeit<br />
der Nationalsozialisten, deren Haß auf die „westliche<br />
Zivilisation" er zum Teil verurteilt. Die Probleme der Bildung, so<br />
schreibt er, könnten im Grunde am besten vom „Zentrum" betreut<br />
und gelöst werden, doch wenn diese Partei auch „heute zum Vorkämpfer<br />
der bedrohten Wissenschaft und Forschung geworden" sei,<br />
sei sie doch insgesamt unbrauchbar, denn das „Zentrum" „versteht"<br />
„freilich", „seine eigenen Geschäfte (unauffällige Personalpolitik!)<br />
zu besorgen 38 ". <strong>Das</strong> „Heil" kann daher von dieser Partei nicht ausgehen<br />
34 ; es kann erst aus neuer, nationaler Besinnung erwachen!<br />
„Aber wie steht es mit dem Kulturbegriff der nationalen Bewegung?",<br />
fragt Curtius besorgt: „Die Frage ist nicht leicht zu beantworten.<br />
Denn die Parteien, Gruppen und Kreise, die sich als .national'<br />
bezeichnen, weisen die stärksten Unterschiede und Gegensätze<br />
auf. Ich schließe daraus, daß wir heute in Deutschland den wahren<br />
Nationalismus noch gar nicht haben 85 ."<br />
30 Stuttgart/Berlin (2. Aufl.) 1932, 75.<br />
31 Rückblick 1952 in Französischer Geist im zwanzigsten Jahrhundert,<br />
1. c., 527.<br />
32 Cf. W. Krauss, Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag, in:<br />
Studien und Aufsätze, Berlin 1959,19—71, 58—59.<br />
33 Bildungsabbau und Kulturhaß, in: Deutscher Geist in Gefahr, ed.<br />
cit., 36.<br />
34 Cf. ib. 44—46.<br />
35 Ib. 34.