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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Romanistik und Anti-Kommunismus 279<br />

2. Der französische Geist<br />

Natürlich waren nationale Borniertheit und Arroganz kein ausschließlich<br />

deutsches Privileg®, und tatsächlich ist nicht zu leugnen,<br />

daß viele deutsche Romanisten nach dem Ersten Weltkrieg durchaus<br />

guten Willens und zur Verständigung zwischen den beiden Nationen<br />

bereit waren. Freilich kam ihnen der Gedanke nie, daß eine solche<br />

Verständigung mit einer <strong>kritische</strong>n Überprüfung der eigenen Vergangenheit<br />

hätte beginnen müssen. So zeigten sie sich bisweilen<br />

äußerst empört und gekränkt, wenn sie bei ihren Freundschaftsbekundungen,<br />

die meist darin bestanden, zu zeigen, wie sehr man<br />

sich doch im Geiste ähnlich sei, nicht so recht auf Gegenliebe, geschweige<br />

denn auf Begeisterung stießen 10 . <strong>Das</strong> war besonders hart,<br />

ging es doch um so subtile Dinge wie den „deutschen" und den „französischen<br />

Geist" und vor allem um die Aussöhnung zwischen den<br />

beiden „Geistern".<br />

Auf diese „Geisteswissenschaft", deren Völkerpsychologismen einer<br />

einfaltsreichen Landeskunde den Weg bahnten, als dessen monumentalstes<br />

Werk der berühmte „Curtius-Bergsträsser" zu gelten<br />

hat 11 , der auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch als Albtraum in<br />

der Ausbildung junger Romanisten seine obligatorische Rolle<br />

spielte 12 , soll hier nur kurz hingewiesen werden. Daß auch sie ihren<br />

son enfance, suspendu au rêve du retour de l'Alsace par toutes les fibres<br />

de son coeur'". Natürlich war Knatschke eine erfundene Gestalt. Nicht<br />

erfunden aber ist, was Ernst Robert Curtius vierzehn Jahre später (1926)<br />

an Romain Rolland schrieb und wiederum 26 Jahre später dem bundesrepublikanischen<br />

Publikum als Dokument seiner damals bereits außerordentlich<br />

entwickelten europäischen Reife präsentierte (Rückblick 1952 in<br />

Französischer Geist im zwanzigsten Jahrhundert, Bern/München * 1960,<br />

513—527, 514): „Lieber Romain Rolland! Sie werden sich kaum mehr jenes<br />

Frühlingsnachmittags des Jahres 1912 erinnern, an dem unsere erste<br />

persönliche Berührung stattfand. Für den jungen Deutschen, der sich<br />

damals das Herz faßte, Sie anzureden, und der in seiner Erregung nur<br />

Verwirrtes stammeln konnte, war es ein denkwürdiger Lebenstag. Er kam<br />

aus seiner elsässischen Heimat. Er lebte seit Jahren in der befruchtenden<br />

und quälenden Spannung dieser Erde, wo deutsches und französisches<br />

Wesen in den ehrwürdigen Denkmälern der Geschichte und im Pulsen<br />

gegenwärtigen Lebens sich gegenübertraten, sich verstrickten, anzogen<br />

und abstießen. Er suchte nach einer Lösung, nach einer Harmonie, nach<br />

einem Lebenswort, das diese Spannungen ausgleichen und die entzweiten<br />

Volksgeister zusammenführen würde."<br />

9 Cf. André Gide, Réflexions sur l'Allemagne in Incidences.<br />

10 Cf. u. a. Otto Grautoff, Die Wiederaufnahme der geistigen Beziehungen<br />

zwischen Deutschland und Frankreich, in: <strong>Das</strong> gegenwärtige<br />

Frankreich, Halberstadt 1926, 204—217.<br />

11 E. R. Curtius/A. Bergsträsser, Frankreich, Berlin/Leipzig 1930, 2 Bde.<br />

12 In der noch 19<strong>72</strong> gültigen „vorläufigen" Westberliner Staatsexamensprüfungsordnung<br />

von 1958 wird gefordert „Bekanntschaft mit den geographischen,<br />

regionalen und (!) politischen Verhältnissen Frankreichs, soweit<br />

(!) sie zum Verständnis des französischen Volkes (!) notwendig sind".<br />

13 Cf. V. Klemperer, <strong>Das</strong> neue Frankreichbild, 1. c.

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