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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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274 Chup Friemert<br />

wurden. Deshalb war der nationalsozialistische Staat im Interesse<br />

der Erhaltung des Kapitalismus gezwungen, sich mit sozialem Schein<br />

zu umgeben, und auch das Kapital war diesem Zwang unterworfen.<br />

Es baute in seinem unmittelbaren Herrschaftsbereich, der Produktionssphäre,<br />

diesen sozialen Schein auf. Ein Hilfsmittel war das<br />

Amt „Schönheit der Arbeit". <strong>Das</strong> Kapital nahm soziale Forderungen<br />

der Arbeiter auf und löste sie teilweise ein. Dies teilweise Einlösen<br />

wurde dann als das Ganze ausgegeben und galt als der Beweis<br />

<strong>für</strong> das ganz Neue, <strong>für</strong> die „nationale Revolution". Auf der staatlichen<br />

Ebene, in der Sphäre der Politik, übernahmen die Faschisten<br />

Teile der Kampfformen und Symbole aus der Arbeiterbewegung. Sie<br />

trennten die Form vom Inhalt und stopften in die sinnlos gemachte<br />

Hülle ihre politischen Forderungen und Absichten. Sie überwanden<br />

die Arbeiter, indem sie ihnen den Sozialismus vorgaukelten. Dies ist<br />

die politische Funktion solcher Unternehmungen.<br />

Eine ökonomische Funktion der ästhetischen Inszenierungen ist,<br />

daß sekundäre Unzufriedenheitsfaktoren beseitigt werden, die sich<br />

negativ auf die Arbeitsproduktivität auswirken. Wenn sich Arbeiter<br />

über zu wenig Licht und Luft ärgern, so arbeiten sie unkonzentrierter.<br />

Werden diese Unzufriedenheitsfaktoren beseitigt, kann die<br />

Arbeitskraft des Arbeiters ungestört und konzentriert angewendet<br />

werden. <strong>Das</strong> ist vergleichbar mit Intensivierung der Arbeit, da während<br />

der ganzen Arbeitsperiode die Arbeitskraft mit konstanter<br />

Konzentration, die sich gegenüber der früheren als erhöhte darstellt,<br />

verausgabt werden.<br />

Eine andere ökonomische Funktion ist die Stützung und Verbesserung<br />

der Verwertungsbedingungen des Kapitals, die Effektivierung<br />

der Ausbeutung durch die Verbesserung der vergegenständlichten<br />

Produktionsfaktoren. Wenn die Fabriken so gebaut werden, daß die<br />

Lichtverhältnisse bei der Produktion sich verbessern, genauer gearbeitet<br />

werden kann und weniger Ausschuß produziert wird, so<br />

trägt diese ästhetische Inszenierung zur Erhöhung der Produktivkraft<br />

der Arbeit bei und ist vergleichbar mit jeder technischen Verbesserung.<br />

Eine dritte ökonomische Funktion ist die Repräsentation des Kapitals<br />

gegenüber Kreditgebern und Kunden. Unter den faschistischen<br />

Verhältnissen trat der Staat oft in diesen beiden Funktionen auf. Er<br />

vergab Kredite und Aufträge, meist solche, die mit der Rüstung verbunden<br />

waren. Für das Einzelkapital war es leichter, im Konkurrenzkampf<br />

um dieses Geld zu gewinnen, wenn es den Forderungen des<br />

Amtes „Schönheit der Arbeit" nachkam, obwohl das keine notwendige<br />

Bedingung war. Ein solcher Betrieb versprach mit Hilfe seiner<br />

Erscheinung die Bereitschaft, auch seinen individuellen Anteil zur<br />

Integration der Arbeiterklasse zu leisten.<br />

Bei der Produktion des sozialen Scheins in der Produktionssphäre<br />

spielten Großbetriebe die Hauptrolle, denn erstens arbeitete in ihnen<br />

der größte Teil der bewußten Arbeiterklasse, deren Klassenbewußtsein<br />

gebrochen werden sollte, und zweitens spielten sie in der Rüstungsproduktion<br />

die wichtigste Rolle. Deshalb war der Anteil von

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