Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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268 Chup Friemert<br />
1. „Freude am Schaffen"<br />
Die kapitalistische Produktion wird bekanntlich nicht in Gang gesetzt,<br />
um Gebrauchswerte herzustellen und im Gefolge damit die<br />
Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder zu befriedigen, sondern um<br />
Kapital zu verwerten, Mehrwert zu liefern. Die Arbeiter, die diese<br />
Selbstverwertung des Werts besorgen, tun dies, weil sie freie Lohnarbeiter<br />
sind. Die Arbeit, die sie verrichten, kann <strong>für</strong> sie unter kapitalistischen<br />
Verhältnissen nichts anderes sein als Mittel, um an das<br />
notwendige Geld zu kommen, um sich und ihre Familie zu erhalten.<br />
In der Sphäre der materiellen Produktion zeigt sich der Widerspruch<br />
zwischen Lohnarbeit und Kapital <strong>für</strong> die Arbeiter am deutlichsten.<br />
Sie sind unmittelbar unter das Kommando des Kapitals subsummiert,<br />
zusammengefaßt zu einem riesigen Produktionskollektiv<br />
unter fremder Leitung. Alle Fähigkeiten und Kräfte, die sie entfalten,<br />
erscheinen als Fähigkeiten und Kräfte des Kapitals, das Ergebnis<br />
ihrer Arbeit gehört nicht ihnen, sondern dem Kapital. All die Potenzen,<br />
die die Arbeiter unter kapitalistischen Verhältnissen bei der<br />
Produktion entfalten, erhalten ihren Sinn dadurch, daß sie Mehrwert<br />
<strong>für</strong> das Kapital produzieren. Dieser der Arbeiterklasse äußerliche<br />
Sinn der Produktion muß nun verschleiert werden, es muß<br />
versucht werden, ihm einen kollektiven Sinn zu geben, um die absolute<br />
Herrschaft einer Minderheit, der Bourgeoisie, über die absolute<br />
Mehrheit, die Lohnabhängigen, zu verschleiern, die Ausbeutung<br />
muß so dargestellt werden, daß sie <strong>für</strong> die Arbeiterklasse nicht<br />
erfahrbar wird 9 .<br />
Deshalb versuchten die Faschisten, den Sinn der kapitalistischen<br />
Produktion umzudefinieren, „ . . . denn der deutschen Menschen wegen<br />
wird ja die ganze Produktion überhaupt ins Werk gesetzt" (30).<br />
Die Produktionssphäre sollte nicht länger der gesellschaftliche Ort<br />
der Ausbeutung sein, sondern der Lebensraum gemeinsam schaffender<br />
Menschen" (30). Auf dieser Ideologie aufbauend, mußten die<br />
Faschisten auch die Arbeit, die unter kapitalistischen Bedingungen<br />
Mehrwert liefert und nur in dieser Funktion von der Bourgeoisie<br />
anerkannt wird, umdefinieren. „Wir sehen in jeder Arbeit das gestaltende<br />
Schaffensprinzip . . . " (193) war eine Formulierung, die dies<br />
besorgen sollte. Die Arbeiter sollten die Ausbeutung als „Freude am<br />
Schaffen" (98) erleben, die historische Überlebtheit des Systems nicht<br />
erkennen, sondern in ihm den „Sinn des <strong>Das</strong>eins" (193) sehen. „Der<br />
Betrieb muß so schön, so gepflegt und so leistungsfähig sein, daß<br />
jeder Gefolgsmann stolz sein kann auf das Werk, dem er seine<br />
Arbeitskraft zur Verfügung stellt und in dem er den größten Teil<br />
seines Lebens verbringt" (27). „<strong>Das</strong> Ziel ist, in schönen und würdigen<br />
Arbeitsstätten den Betriebstätigen eine Umgebung zu schaffen,<br />
in der sie ihrem Tagewerk mit Freude und Stolz nachgehen<br />
können" (9). Die Gestaltung der vergegenständlichten Produktionsfaktoren<br />
war also das Mittel, um die Inhumanität der Ausbeutung zu<br />
verschleiern. „Leben ist Arbeit, Arbeit ist Glück" (218). Die Arbeit<br />
9 Vgl. W. F. Haug, Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/M. 1971, S. 152 f.