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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sachlichkeit und Industrie 257<br />

Entwicklung der Produktivkräfte. Fremd und nicht faßbar sind dieser<br />

Kunst als einer Form bürgerlichen Denkens die Gesetze der<br />

gesellschaftlichen Entwicklung; die Menschen treten, wenn sie<br />

überhaupt erscheinen, als Opfer der technischen Entwicklung auf.<br />

Während Schmied nun sich von der Objektivität dieser Kunst begeistert<br />

zeigt, so ist ihre vorgebliche Unparteilichkeit <strong>für</strong> Lethen sehr<br />

zu recht der Hauptangriffspunkt. „Es wäre ...", warnt Lethen, „ein<br />

heikles Verfahren, vor dem finsteren Fond von Blut-und-Boden-<br />

Ideologie und reaktionärer Kulturkritik eine ,urbane' literarische<br />

Mode, die eine winzige Schicht in der Angestellten-Metropole Berlin<br />

erfaßt hatte, zu .retten'. Wichtig war, das Typische der intellektuellen<br />

Moden kapitalistischer Gleichzeitigkeit herauszuarbeiten, um Möglichkeiten<br />

zu erkennen, ihre materialistisch brauchbaren Momente<br />

.umzufunktionieren'" (57).<br />

Die Kritik an Schmied wie an Lethens ebenso material- wie kenntnisreicher<br />

Untersuchung zielt nicht darauf ab, die Künstler der Neuen<br />

Sachlichkeit zu „retten", sondern ihrer bloßen Verdammung entgegenzuwirken.<br />

Was gegenüber Lethens Ergebnis, daß es sich bei<br />

dieser Kunst um eine arbeiterfeindliche Apologie des Kapitals handelt,<br />

genauer bestimmt werden muß, ist der immanente Widerspruch<br />

dieser gegenüber der Reaktion relativ fortgeschritteneren „Urbanen<br />

Mode", und zwar weniger auf ihre „Umfunktionierung" hin als auf<br />

die Anwendung ihrer aufklärerischen Elemente 32 und die Möglichkeit<br />

der Weiterentwicklung des Anspruchs der Neuen Sachlichkeit<br />

auf realistische Darstellung zu einer sozialistischen Kunst. Die forcierte<br />

Radikalität von Lethens Kritik ist aber begründet in ihrer<br />

mangelnden Fähigkeit, die Widersprüche in der Kunst der Neuen<br />

Sachlichkeit selbst festzuhalten. Wo ihm die Ausdrucksformen der<br />

Haltung dés ,nicht mehr mit dem Kapital' und ,noch nicht mit dem<br />

Proletariat' entgegentreten, vermag er sie nicht als Produkt einander<br />

widerstreitender Momente zu fassen, sondern er wendet seine<br />

Mühe darauf, den Widerspruch zu eliminieren zugunsten seiner Veräußerlichung<br />

und Polarisierung. Lethens verächtliche Beurteilung<br />

„linksliberaler Intellektueller.... <strong>für</strong> die der Abschied von der<br />

Illusion des .Rechtsstaates' das Medium ihrer Existenz ist, das sie sich<br />

nicht rauben lassen" (118), verkennt die Bedeutung der Differenz<br />

zwischen dem Staat der parlamentarischen Demokratie und dem der<br />

faschistischen Diktatur nicht nur <strong>für</strong> diese Intellektuellen, <strong>für</strong> die<br />

dieser schmale Grad sicher die Handlungsvoraussetzung ist, sondern<br />

auch <strong>für</strong> das Proletariat. Nicht die bürgerliche Republik, wie arbeiterfeindlich<br />

sie auch war, hat die Kader, die Organisationen und das<br />

Klassenbewußtsein des Proletariats so nachhaltig zerstört: das war<br />

die Leistung des Faschismus.<br />

32 Einsichten Brechts und Benjamins in dieser Richtung, die sich aus<br />

deren Lektüre Marxscher Schriften ergaben, referiert Lethen und stellt<br />

dabei auch durchaus deren prinzipiellen Versuch dar, aus der kapitalistischen<br />

Gegenwart heraus revolutionäre Tendenzen abzuleiten (vgl. 122,<br />

129). Ihre Modelle will er aber nur dort akzeptieren, wo sie sich auf die<br />

Konstituierung einer proletarischen Massenkunst beziehen.

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