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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sachlichkeit und Industrie 255<br />

ideologischen Gestalten abstreifte . . . , um sich unverhüllt in seiner<br />

ökonomischen Physiognomie darzustellen" (55) 29 .<br />

Was bei Lethen als ökonomische <strong>Argument</strong>ation begann — und<br />

dort problematisch ist, weil der deutsche Faschismus sehr wohl sein<br />

Teil zur Konzentration und Monopolisierung des Kapitals und so<br />

zur weiteren Entfaltung der Produktivkräfte beigetragen hat —,<br />

wird nun unversehens auf die Ebene politischer <strong>Argument</strong>ation geschoben<br />

und unter der Hand zur Bedingung der Revolution gemacht,<br />

daß der Kapitalismus nackt, ohne ideologische Verbrämung<br />

auftreten müsse, um geschlagen werden zu können. Diese Vorstellung,<br />

die die politische Realität der kapitalistischen Gesellschaft<br />

von ihren ideologischen Widersprüchen gereinigt sehen möchte,<br />

ist auch Ursache da<strong>für</strong>, daß Lethen, wo ihm die Veränderungen in<br />

der kapitalistischen Produktionsweise ins Blickfeld geraten, weder<br />

29 Als direkt nächster Satz folgt bei Lethen: „Der kapitalistische<br />

Staat läßt nicht zu, daß sein Wirtschaftssystem seines .Heiligenscheins'<br />

entkleidet wird, um, wie Marx und Engels es vorausgesagt hatten, ,an die<br />

Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung<br />

die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung zu setzen'". Es soll<br />

besagen, daß auch der Spätkapitalismus nicht von aller „feudalen Repräsentation"<br />

(ebd.) frei sei. Marx und Engels hatten aber an der Zitatstelle<br />

von der „höchst revolutionären Rolle der Bourgeoisie" bei der Durchsetzung<br />

des Kapitalismus gegen den Feudalismus gesprochen. Im Kommunistischen<br />

Manifest lautet dieser Zusammenhang:<br />

„Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre<br />

Rolle gespielt.<br />

Die Bourgeoisie, wo sie zu Herrschaft gekommen, hat alle feudalen,<br />

patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen<br />

Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen<br />

Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes<br />

Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte<br />

Interesse, als die gefühllose ,bare Zahlung'. Sie hat die heiligen<br />

Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung,<br />

der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer<br />

Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert<br />

aufgelöst und an die Stelle der zahllosen, verbrieften und<br />

wohlerworbenen Freiheiten die e i n e gewissenlose Handelsfreiheit<br />

gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit politischen<br />

und religiösen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte,<br />

direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.<br />

Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu<br />

betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat<br />

den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der<br />

Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt" (MEW,<br />

4, 464 f.).<br />

Während es Marx und Engels also um die deutliche Unterscheidung von<br />

religiös gerechtfertigter Fronarbeit und freier Lohnarbeit geht, identifiziert<br />

Lethen kurzerhand die Zerstörung des Feudalismus als herrschender<br />

Produktionsweise mit Elementen der Selbstdarstellung des hochentwickelten<br />

Kapitalismus. Er widerlegt so, was Marx und Engels nicht behauptet<br />

hatten, und macht sie zugleich zu Kronzeugen seiner These.

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