Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Sachlichkeit und Industrie 253<br />
pretation neusachlicher Romane schon zu ersehen, schließlich auf<br />
den dezisionistischen Sprung des Intellektuellen ins Proletariat.<br />
Waren Blochs Erwägungen damit kurz abgewiesen worden, daß er<br />
„die .schlummernden Potenzen' der Menschheit in die mittelständischen<br />
Massen hineinontologisiert [habe], um mit einem derart konstruierten,<br />
illusionären Subjekt ein Bündnis zu schließen" (113), so<br />
wird Brechts Technik des „soziologischen Experiments" im „Drei-*<br />
groschenprozeß" als „Prozeß mit den Illusionen des Liberalismus"<br />
(114), als Prozeß Brechts selbst „mit seinen liberalen Illusionen" (118)<br />
dargestellt. „Brecht behandelt die Bourgeoisie [dabei] nicht als einheitlich<br />
reaktionäre Masse, sondern er drängt darauf, die Widersprüche<br />
im Lager der Bourgeoisie zu verschärfen, die Widersprüche<br />
der Praxis der Disziplinierungsorgane des Staates zu den noch nicht<br />
restlos aufgehobenen Verfassungsgarantien agitatorisch auszubeuten"<br />
(ebd.). Ausgenutzt werden zur „Politisierung der Intelligenz"<br />
(ebd.) sollen „die Widersprüche des kapitalistischen Bürgertums auf<br />
der Plattform einer staatlichen <strong>Institut</strong>ion vor der Öffentlichkeit der<br />
Republik" (117). Hinter dieser Methode, die demokratischen Elemente<br />
bei bürgerlichen Intellektuellen wenigstens zur Verteidigung<br />
der Republik vor dem Faschismus zu mobilisieren, „verbarg sich",<br />
wie Lethen an anderer Stelle 27 ausführt, „die Hoffnung auf das Eingreifen<br />
einer Instanz . . . . die angesichts der dargestellten Kluft zwischen<br />
Verfassungswirklichkeit und republikanischer Verfassung einschreiten<br />
müßte" (101). Kann er diese Illusion über den bürgerlichkapitalistischen<br />
Staat auch Brecht nicht direkt anlasten, so bezeichnet<br />
es Lethen als Brechts Fehleinschätzung, „nicht mit der melancholischen<br />
Verfassung linksliberaler Intellektueller gerechnet zu haben"<br />
(118). Brecht habe sich nicht vorstellen können, daß der Widerspruch<br />
zwischen demokratischen Idealen der Intellektuellen und antidemokratischer<br />
Praxis des Staates anders als revolutionär aufgehoben<br />
werden könne. „Daß sich die Liquidation faschistisch vollzog . . . ,<br />
macht auf die Grenzen von Brechts Strategie aufmerksam" (126).<br />
Brecht scheine „der Großbourgeoisie einen so .dreckigen' Verrat<br />
ihrer klassischen .Idealität' nicht zugetraut zu haben" (126). Seinem<br />
Versuch der politischen Mobilisierung des demokratischen Anspruchs<br />
bürgerlicher Intellektueller wird Brecht von Lethen entgegenhalten,<br />
den Faschismus falsch eingeschätzt und im Prinzip falsch bekämpft<br />
zu haben.<br />
<strong>Das</strong> verweist darauf, daß generell in Lethens Buch der Eintritt<br />
der Herrschaft des Faschismus in Deutschland als weiterer Beleg<br />
da<strong>für</strong> fungiert, daß bürgerliche Aufklärung über den Kapitalismus,<br />
von bürgerlicher Apologie nur graduell, in ihren politischen Folgen<br />
überhaupt nicht unterschieden sei, ja daß diese aufklärerische Haltung<br />
gefährlicher als die konservative sei, weil sie das schlechte<br />
Gewissen der Intellektuellen salviere, statt sie dem Proletariat oder<br />
der offenen Reaktion zuzutreiben. „Die emphatische Bejahung des<br />
,Amerikanismus' begriff sich zwar als Widerspruch, zur obsoleten<br />
27 Bei der Einschätzung von Dokumentarstücken.