Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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30.01.2013 Aufrufe

248 Gerhard Voigt Erfahrungsbereichs, die gleichgewichtige Darstellung aller Details, der Versuch der Lösung von aller Individualität führt leicht zu einer passiven Objektivität, die, indem sie die Dinge nur noch zeigen will, der Erscheinung der Dinge verfällt und in der Feststellung ,so ist es' die eigene Begriffslosigkeit als scheinbar wahrheitsgemäße Unmittelbarkeit reproduziert. Diese Vereinzelung, Isolation der Objekte von jedem gesellschaftlichen Zusammenhang ist, wie W. Hütt dargelegt hat 17 , nur eine Variante des Idealismus in der Weltbetrachtung der bürgerlichen Künstler, der auch zuvor den Expressionismus kennzeichnete und als dessen Gegenbewegung die Neue Sachlichkeit gewöhnlich verstanden wird 18 , nur daß dieser bürgerliche Idealismus „sich in der Neuen Sachlichkeit mit anscheinender Objektivität umgab 19 ". Die Behauptung von der Undurchschaubarkeit der Welt wurde nicht ins Ungegenständliche transponiert, sondern im faszinierten Starren auf die unbegriffene Realität festgehalten. Schmied argumentiert als Sachwalter eines Begriffs von Neuer Sachlichkeit, der in der vorgeblich objektiven Wiedergabe des isolierten Dings ihre Leistung sieht. Die Neue Sachlichkeit war nach Schmied „der Versuch, . . . der Dinge aufs neue habhaft zu werden, sie wieder in Gewalt zu bekommen und mehr: . . . sie in ihrem eigenen Sein, in ihrem wahren Geheimnis . . . zu erfassen — um auf diese Weise . . . die Welt in ihrem innersten Zusammenhalt zu begreifen" (28), denn — so versteht er z. B. Dix — „der Gegenstand umschloß schon alles, was zu sagen war" (43). Das hat zur Folge, daß Schmied Maschinenbilder Grossbergs, die er als „reine Reportage industrieller Form" (56) beschreibt, deswegen lobt, weil Grossberg der „pathetischen Heroisierung des arbeitenden Menschen entgeht", „indem er den Menschen, wenn irgend möglich, ausspart und nur das Funktionieren der Werkzeugmaschinen und Fließbänder zeigte" (ebd.); derselbe Grossberg bevölkerte statt dessen seine Maschinensäle mit Fledermäusen und Lemuren und dementierte so rationale Beherrschbarkeit der Technik. Ebenso identifiziert Schmied sich mit der neusachlichen Selbstdarstellung, die eben bloß konstatiert, daß der Arbeiter Teil der Maschine, Staffage von Stadtlandschaften geworden ist und ihn „nüchtern" der Objektseite zuschlägt, wenn er die Trostlosigkeit von Wunderwalds Großstadtstraßen beschreibt und einschränkend bemerkt: „wäre da nicht die Heiterkeit der Reklame", „Verheißungen eines erfüllteren Lebens, das dieses unser Dasein durchstrahlt und durchwärmt" (53). Er ignoriert, daß auf den Bildern Wunderwalds die Menschen, denen diese Verheißungen gelten 17 Hütt, Wolfgang: Neue Sachlichkeit und darüber hinaus, in: Tendenzen Nr. 46, München 1967, S. 205—208; vgl. hier bes. S. 206. 18 So schon Roh im Titel „Nach-Expressionismus". Und Schmied: „Malerei..., der nichts so fern lag wie die Ekstasen des Expressionismus" (5), was nicht ganz falsch ist, aber oberflächliche Differenzen akzentuiert. 19 Hütt, S. 206.

Sachlichkeit und Industrie 249 sollen, fast gänzlich fehlen, daß die Hausfassaden nicht durch diese „Folklore der Großstadt" (ebd.) belebt werden, sondern die „leeren Flächen" eigens und ausschließlich für die Reklame gebaut scheinen. Trotzdem vermag sich Schmied eines bestimmten Eindrucks, den diese Bilder hervorrufen, nicht zu entziehen. „Es ist letztlich der Blick des kleinen Mannes, der sich den Phänomenen der modernen Welt ausgesetzt sieht, die er nicht geschaffen hat, die er nicht beherrscht und die er nicht zu deuten vermag." „Nicht der Mensch beherrscht hier . . . die Technik, er wird von ihr beherrscht" (27). Wenn diese Beobachtung auch bei Schmied ohne Folgen bleibt, so lohnt es doch, sie festzuhalten. Sie läßt schließen, daß das veristische Unbeteiligtsein nicht so hermetisch von der gesellschaftlichen Realität abschließt, daß nicht doch der alte Anspruch realistischer Kunst auf die Durchschaubarkeit der Welt und vernunftgemäße Beherrschung der Gesellschaft aufschiene. Wer — wie Hoerle und Seiwert — Arbeiter als aus vorgefertigten Maschinenteilen konstruiert, die Umwelt, Städte und Industrie als fremd und unmenschlichen Gesetzen unterworfen malt, kann noch provozieren, daß nach diesen Gesetzen gefragt wird; wer auch nur mitleidig Arbeiterkinder hohlwangig und mit überproportionierten Händen malt, nimmt für sie Partei und fordert andere zu einer gleichen Haltung auf. Es ist klar, daß solche „gemalte Entfremdung" die Unterdrückung zwar darstellt, sich aber nicht mit den Unterdrückten identifiziert, die gegen etwas Partei ergreift, ohne sich noch für etwas zu erklären 20 , keine Position von Dauer sein kann; von dort aus gibt es auf lange Sicht nur den Rückschritt in die gesellschaftslose Idylle oder den Fortschritt zum bewußt parteilichen Realismus. Insofern hätte eine Eingrenzung der Bezeichnung „Neue Sachlichkeit" auf diesen Schwebezustand ein gewisses Recht. Diese Problematik war aber schon der Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO) bewußt, die sich von der pseudo-objektiven Kälte der Neuen Sachlichkeit zu lösen versuchte, ohne dabei aber die veristische Schärfe einzubüßen, um so zu einem neuen proletarisch-revolutionären Realismus zu gelangen. Einer von ihnen, Hans Grundig, schrieb rückblickend treffend: „Das ist unser allgemeiner Feind, die Welt in Ausschnitte zu zerlegen, die noch dazu Abziehbilder des Wirklichen sind, sie zu entkleiden von ihren tieferen Zusammenhängen 21 ." Dieses Vorgehen aber ist es gerade, was nach Schmied die Größe der Neuen Sachlichkeit ausmacht, und es ist nur zu verständlich, warum er die Wege ihrer Weiterentwicklung nicht wahrhaben will. Zwei Punkte bleiben festzuhalten. Einmal wohnt der Neuen Sachlichkeit als einer realistischen Kunst eine Tendenz zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen, wenn auch oft noch so verkappt, inne; zum anderen scheint es, daß aus dieser Position zwei Entwicklungen entspringen konnten: eine Weiterführung zur aktiven 20 Vgl. Hütt, S. 206; ihm folgt hier die Argumentation. _ ' 21 Grundig, 1962, zit. nach Schmied, S. 250.

248 Gerhard Voigt<br />

Erfahrungsbereichs, die gleichgewichtige Darstellung aller Details,<br />

der Versuch der Lösung von aller Individualität führt leicht zu einer<br />

passiven Objektivität, die, indem sie die Dinge nur noch zeigen will,<br />

der Erscheinung der Dinge verfällt und in der Feststellung ,so ist<br />

es' die eigene Begriffslosigkeit als scheinbar wahrheitsgemäße Unmittelbarkeit<br />

reproduziert. Diese Vereinzelung, Isolation der Objekte<br />

von jedem gesellschaftlichen Zusammenhang ist, wie W. Hütt<br />

dargelegt hat 17 , nur eine Variante des Idealismus in der Weltbetrachtung<br />

der bürgerlichen Künstler, der auch zuvor den Expressionismus<br />

kennzeichnete und als dessen Gegenbewegung die Neue<br />

Sachlichkeit gewöhnlich verstanden wird 18 , nur daß dieser bürgerliche<br />

Idealismus „sich in der Neuen Sachlichkeit mit anscheinender<br />

Objektivität umgab 19 ". Die Behauptung von der Undurchschaubarkeit<br />

der Welt wurde nicht ins Ungegenständliche transponiert, sondern<br />

im faszinierten Starren auf die unbegriffene Realität festgehalten.<br />

Schmied argumentiert als Sachwalter eines Begriffs von Neuer<br />

Sachlichkeit, der in der vorgeblich objektiven Wiedergabe des isolierten<br />

Dings ihre Leistung sieht. Die Neue Sachlichkeit war nach<br />

Schmied „der Versuch, . . . der Dinge aufs neue habhaft zu werden,<br />

sie wieder in Gewalt zu bekommen und mehr: . . . sie in ihrem eigenen<br />

Sein, in ihrem wahren Geheimnis . . . zu erfassen — um auf<br />

diese Weise . . . die Welt in ihrem innersten Zusammenhalt zu begreifen"<br />

(28), denn — so versteht er z. B. Dix — „der Gegenstand<br />

umschloß schon alles, was zu sagen war" (43). <strong>Das</strong> hat zur Folge, daß<br />

Schmied Maschinenbilder Grossbergs, die er als „reine Reportage<br />

industrieller Form" (56) beschreibt, deswegen lobt, weil Grossberg<br />

der „pathetischen Heroisierung des arbeitenden Menschen entgeht",<br />

„indem er den Menschen, wenn irgend möglich, ausspart und nur das<br />

Funktionieren der Werkzeugmaschinen und Fließbänder zeigte"<br />

(ebd.); derselbe Grossberg bevölkerte statt dessen seine Maschinensäle<br />

mit Fledermäusen und Lemuren und dementierte so rationale<br />

Beherrschbarkeit der Technik. Ebenso identifiziert Schmied sich mit<br />

der neusachlichen Selbstdarstellung, die eben bloß konstatiert, daß<br />

der Arbeiter Teil der Maschine, Staffage von Stadtlandschaften geworden<br />

ist und ihn „nüchtern" der Objektseite zuschlägt, wenn er<br />

die Trostlosigkeit von Wunderwalds Großstadtstraßen beschreibt und<br />

einschränkend bemerkt: „wäre da nicht die Heiterkeit der Reklame",<br />

„Verheißungen eines erfüllteren Lebens, das dieses unser <strong>Das</strong>ein<br />

durchstrahlt und durchwärmt" (53). Er ignoriert, daß auf den Bildern<br />

Wunderwalds die Menschen, denen diese Verheißungen gelten<br />

17 Hütt, Wolfgang: Neue Sachlichkeit und darüber hinaus, in: Tendenzen<br />

Nr. 46, München 1967, S. 205—208; vgl. hier bes. S. 206.<br />

18 So schon Roh im Titel „Nach-Expressionismus". Und Schmied:<br />

„Malerei..., der nichts so fern lag wie die Ekstasen des Expressionismus"<br />

(5), was nicht ganz falsch ist, aber oberflächliche Differenzen<br />

akzentuiert.<br />

19 Hütt, S. 206.

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