Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
208 Bernd Jürgen Warneken<br />
ist vielmehr bei der Subjekt-Objekt-Vermittlung durch sinnlichgegenständliche<br />
Tätigkeit, die vom jeweiligen Stand der Arbeitsteilung<br />
abhängt: einer Arbeitsteilung, die ein bestimmtes Verhältnis<br />
von körperlicher und geistiger Arbeit sowie eine bestimmte Organisation<br />
dieser Arbeit und damit auch der Verfügung über ihre Produkte<br />
einschließt: ,,... die Menschen, die entsprechend ihrer materiellen<br />
Produktivität die gesellschaftlichen Beziehungen produzieren,<br />
[produzieren] auch die Ideen, die Kategorien, d.h. den abstrakten,<br />
ideellen Ausdrude eben dieser gesellschaftlichen Beziehungen [.. ,] 4 ",<br />
und zwar „[ergibt sich] aus der bestimmten Form der materiellen<br />
Produktion [...] eine bestimmte Gliederung der Gesellschaft [...],<br />
zweitens ein bestimmtes Verhältnis zur Natur. Ihr Staatswesen und<br />
ihre geistige Anschauung ist durch beides bestimmt. Also auch die<br />
Art ihrer geistigen Produktion 43 ". Diese ist also nicht zu begreifen,<br />
wenn man gesellschaftliche Praxis in Arbeit und Interaktion, instrumentelles<br />
und kommunikatives Handeln aufspaltet und zuletzt geistige<br />
Tätigkeit als Selbstreflexionsprozeß versteht, der sich wesentlich<br />
unabhängig von einer auf technisches Verhalten reduzierten<br />
Produktionstätigkeit vollziehen soll. Ohne Veränderungen der<br />
menschlichen Beziehungen in der materiellen Produktion sind die<br />
Möglichkeiten der Selbstentfaltung in anderen Bereichen nicht<br />
grundsätzlich zu verbessern.<br />
Literatur in dieser Weise nicht bloß, wie es schon zur Phrase geworden<br />
ist, mit „der Gesellschaft", sondern aufs engste mit Fragen<br />
der ökonomischen Gesellschaftsformation zusammenzubringen, bedeutet<br />
jedoch keinesfalls, nun geistige und materielle Produktion<br />
oder auch theoretische und praktische Tätigkeit, sei es durch ein falsches<br />
Verständnis von Literatur, sei es durch eine Erweiterung der<br />
Begriffe Produktion und Praxis ins Nichtssagende, zu konfundieren.<br />
Die Abwehr bürgerlicher Auffassungen, welche menschliche Aktivität<br />
in äußerlich-technische Arbeit hier, voraussetzungslos und autonom<br />
geglaubtes Handeln und Denken da zu trennen neigen, bleibt<br />
sich bewußt, daß literarische Produktion nicht Umwälzung der äußeren<br />
Realität in produzierender oder politischer Tätigkeit, also nicht<br />
selber Praxis ist. Sie dient vielmehr dem Bedürfnis, diese Realität —<br />
wenn auch mehr oder minder in praktischer Absicht — zu erkennen:<br />
da Literatur solche spezifisch ästhetische Erkenntnis zu objektivieren<br />
hat, kann ihre Herstellung auch nicht völlig mechanisiert werden.<br />
So notwendig das Heranziehen des Arbeitsbegriffs ist, um die soziale<br />
Vermitteltheit der Literatur präzise formulieren zu können, tritt<br />
dieser Ansatz doch keineswegs mit der Ambition auf, die ihren Gegenstand<br />
unter anderem Aspekt befragenden Begriffe von Basis/<br />
Überbau und Sein/Bewußtsein ersetzen zu können. Die Kritik an<br />
vormarxistischen Materialismus- und Abbildvorstellungen sowie<br />
ihren noch existierenden Varianten vorausgesetzt, ist die Alternative<br />
zwischen einer „Philosophie der Praxis" und einer „Philosophie der<br />
4 Marx, Brief an P. W. Annenkow vom 28. Dez. 1846, MEW Bd. 4, S. 554.<br />
4a Marx, <strong>Theorie</strong>n über den Mehrwert, a.a.O., S. 257.