Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Zum Stand der Trivialliteratur-Forschung 241<br />
Diese Einteilung erweckt den falsdien Eindruck, die dritte, tendenziell<br />
antikapitalistisch orientierte Massenliteratur-Forschung, sei<br />
in der BRD ebenso gewichtig vertreten wie die beiden anderen<br />
Grundrichtungen, in die die bürgerlichen Interpretationen eingeteilt<br />
werden. Falsch ist dieser Eindruck leider schon, wenn man nur die<br />
Zahl und den Umfang der Schriften dieser „Richtung" betrachtet.<br />
Es handelt sich dabei nur um zwei Artikel aus der Zeitschrift „kürbiskern"<br />
von Jakob Mader „Parabase auf einen traumatischen Zustand"<br />
in Heft 1, 1965 und von Karl Burg „Mit dem Herzblut der<br />
Autoren — Heftroman-Fabriken in Westdeutschland" in Heft 1,<br />
1967 — sowie um einen „Zeit"-Artikel vom 15. 10. 1965 von Carl<br />
Amery mit dem Titel „Zwischenbilanz <strong>für</strong> Intellektuelle", wobei<br />
zwei der Aufsätze das Massenliteraturproblem nur nebenbei berühren.<br />
Für die Germanistik bleibt also die Aufgabe noch offen, unter Benutzung<br />
des Ziermannschen Materials <strong>für</strong> politische Arbeit an Universitäten<br />
und Schulen geeignete Methoden der Massenliteratur-<br />
Forschung zu entwickeln. Für dieses Gebiet würde in besonderer<br />
Weise gelten müssen, was man von der Germanistik seit langem<br />
fordert, nämlich die Einsicht in die gesellschaftlichen Funktionen<br />
von Literatur und der Wissenschaft von ihr. Diese Einsicht könnte<br />
erleichtert werden durch die Betrachtung der aus vorwiegend kommerziellen<br />
Interessen hergestellten Literatur und müßte dann methodisch<br />
auf den gesamten Bereich der Literatur und Kunst ausgedehnt<br />
werden. Eine erste Differenzierung müßte über Ziermann hinaus<br />
versuchen, die rein vom System bedingten ideologischen Funktionen<br />
von den direkten politischen Ausrichtungen zu trennen. Dabei wäre<br />
auszugehen von der Grunderkenntnis, daß im florierenden Kapitalismus<br />
das Profitinteresse immer das primäre ist noch vor dem der<br />
ideologischen Manipulation. Die systemerhaltende Wirkung der auf<br />
Profitbasis hergestellten Massenliteratur ist ohne politischen Eingriff<br />
schon dadurch gewährleistet, daß die Ausbeutung bestimmter<br />
Bedürfnisse, die direkt aus den Widersprüchen des kapitalistischen<br />
Arbeitsprozesses entstehen, immer, zwecks Erhaltung der Absatzmöglichkeiten,<br />
auf Harmonisierung und Aufrechterhaltung dieser<br />
Bedürfnisse gerichtet sein wird, ganz abgesehen davon, daß die sie<br />
hervorrufenden Widersprüche auch nicht ohne Veränderung des<br />
Systems beseitigbar sind. So schafft das System, allgemein gesehen,<br />
stets neu die Bedürfnisse, die die Grundlage, speziell gesehen, <strong>für</strong><br />
die Massenliteraturproduktion sind. Die Massenliteraturproduktion,<br />
speziell gesehen, schafft dauernd durch ihr Angebot von Harmonisierungsmustern<br />
die Möglichkeit der Verdrängung von Widersprüchen,<br />
die der Aufrechterhaltung des Systems, allgemein gesehen,<br />
entgegenstehen könnten.<br />
Die Bedingung <strong>für</strong> die Existenz dieser Art von Massenliteratur ist<br />
• also das kapitalistische System ebenso, wie die Bedingung <strong>für</strong> ihre<br />
systemstabilisierende Wirkung ihre eigene Herstellung nach den<br />
Prinzipien der kapitalistischen Produktionsweise ist. Aufgrund der