Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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240 Gunter Giesenfeld<br />
gesetzte, von oben dirigierte und überwachte Prozesse lähmend auswirken.<br />
Denn es entsteht dadurch zu leicht der Eindruck einer allgegenwärtigen<br />
und nur im ganzen zu beseitigenden Machtkonstellation,<br />
gegen die jede politische Aufklärungsarbeit sinnlos wäre. Ziermanns<br />
Beschreibung des faktischen Funktionierens der Kulturindustrie<br />
ist nicht falsch, und gewiß gibt es auch, viele Beispiele <strong>für</strong><br />
die bewußte Verbreitung faschistischen, imperialistischen Ideengutes<br />
in der Trivialliteratur, z. B. in den in diesem Zusammenhang immer<br />
zitierten Landserheftchen oder in bestimmten Science-Fiction-<br />
Reihen. Aber sie machen nur einen kleinen Teil der gesamten Produktion<br />
aus (100 000 Landser-Romane von insgesamt wöchentlich<br />
6 000 000 Heftromanen). Für die übrigen gilt, daß das primäre Interesse<br />
des einzelnen Verlegers zunächst einmal der Profit ist und<br />
nicht die politisch-ideologische Beeinflussung in einer bestimmten<br />
Richtung. Die Einheitlichkeit der Produkte in bezug auf ihre ideologische<br />
Ausrichtung kommt zustande aufgrund der Einheit der institutionalisierten<br />
Bedürfnisse, die sie ausbeuten. Daß diese Einheit<br />
wiederum in der Tatsache der kapitalistischen Organisation unserer<br />
Gesellschaft begründet ist und in der Übermacht der diese Ordnung<br />
aufrechterhaltenden Kräfte, gerade das berechtigt Ziermann, die<br />
Trivialliteratur in den Zusammenhang des „staatsmonopolistischen<br />
Kapitalismus" einzuordnen, dessen Interesse direkt und indirekt die<br />
ganze Massehliteraturproduktion dient.<br />
Aber gerade bei dem differenzierenden Blick, den wir zum Zwecke<br />
der Erkenntnis zugrunde liegender Widersprüche auf diese Produkte<br />
zu richten haben, ist das Buch von Ziermann weit hilfreicher als<br />
alles, was in Westdeutschland zu diesem Thema bisher vorliegt. Die<br />
Informationen, die hier gegeben werden in Form genauen Zahlenmaterials<br />
über Produktion und Verbreitung, Herausarbeitung der<br />
ideologischen Funktion und historischen Entwicklung dieser Funktion<br />
im Rahmen des bürgerlichen Literaturbetriebs, sind in dieser<br />
Vollständigkeit nur schwer sonst erreichbar, wenn sie auch <strong>für</strong> die<br />
neueste Zeit bereits ergänzungsbedürftig sind 8 .<br />
Bei seinem Überblick über die „Grundrichtungen der neueren<br />
westdeutschen Massenliteratur-Forschung" zählt Ziermann drei<br />
Richtungen auf, wobei nur die dritte von der Einsicht ausgeht, daß<br />
die Massenliteratur in Westdeutschland „ein sozial und geschichtlich<br />
bedingtes Phänomen darstellt, das fest in der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur<br />
der Bundesrepublik, in der Politik der herrschenden<br />
Kreise verankert ist" (d 39).<br />
8 Eine neuere Zusammenfassung ist m. W. nicht mehr erfolgt. Aber da<br />
'Ziermann seine Quellen —<br />
„Buch und Buchhandel in Zahlen", jährlich Börsenverein, Frankfurt/M.<br />
Berichte des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> Buchmarktforschung, Hamburg. ADW-Zeitungskatalog,<br />
Frankfurt/M. Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik.<br />
— genau nennt, so lassen sich aktuellere Angaben mit einiger Mühe<br />
diesen Quellen selbst entnehmen.