Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zum Stand der Trivialliteratur-Forschung 239<br />
tur von den Vertretern dieser Grundordnung „wertmäßig" allerdings<br />
„bejaht" werden.<br />
Die Art und die Gründe der bestehenden Nachfrage, also das<br />
diese Produktion aufrechterhaltende Bedürfnis ist Symptom f ü r<br />
Zwänge der gesellschaftlichen Situation, <strong>für</strong> die Kompensation notwendig<br />
wird. Die Kompensation geschieht im fiktiven Bereich, der<br />
einerseits Züge der Realität übernimmt, andererseits die Vorstellung<br />
von der Realität im Bewußtsein des Lesers mit fiktiven Elementen<br />
harmonisierend verfälscht. Für die Wirkung ist es allerdings<br />
wichtig, daß ein solches Kompensationsmittel nicht falsch dosiert<br />
wird, daß das Gleichgewicht zwischen Fiktion und Realität im Weltbild<br />
des Lesers soweit erhalten bleibt, daß eine kritisch-rationale<br />
Reflexion der eigenen Situation verhindert wird. Dem Wissenschaftler<br />
käme die Aufgabe zu, das Bedürfnis nach der Ware Literatur als<br />
Ausfluß und Erscheinungsform eines allgemeinen diffusen und durch<br />
die Literatur diffus gehaltenen Bedürfnisses nach Aufhebung der<br />
erlebten realen Zwänge zu interpretieren, eines Bedürfnisses nach<br />
Veränderung dieser Gesellschaft.<br />
Eine Wissenschaft, die diese Zusammenhänge verdrängt oder unkritisch<br />
hinnimmt, die selber harmonisiert, statt aufzuklären, die<br />
selber die bestehende Ordnung bestätigt und die reale Erfahrung der<br />
Ausbeutung — der ihre Vertreter und die meisten ihrer Zuhörer ja<br />
auch real nicht ausgesetzt sind, weil sie den privilegierten Schichten<br />
angehören —, eine solche Wissenschaft verlängert nur die Funktion<br />
der Trivialliteratur auf die Zielgruppe z. B. der Germanisten, Volkskundler,<br />
Lehrer, Intellektuellen, der Macher der öffentlichen Meinung.<br />
Für die politische Intention des Buches von Klaus Ziermann:<br />
„Romane vom Fließband" kann es nicht so sehr darauf ankommen,<br />
ideologiekritisch die Haltung der Germanistik der Trivialliteratur<br />
gegenüber zu analysieren. Dieses Buch bezieht eine deutliche Stellung<br />
im politischen und ideologischen Kampf gegen die Bundesrepublik.<br />
Von daher ist das Erkenntnis- und Darstellungsinteresse Ziermanns<br />
bedingt: „Die Stellung zur imperialistischen Massenliteratur<br />
ist weder in erster Linie eine literaturpädagogische noch lediglich<br />
eine Bildungsfrage — sie ist zuerst eine politische Frage" (d 42). Für<br />
ihn erscheint die Massenliteratur in Westdeutschland als „Mittel zum<br />
Zweck, das Bewußtsein der Volksmassen zu manipulieren, es mit<br />
militantem Antikommunismus und Neonazismus zu vergiften" (d 41).<br />
Es ist die Frage, ob dieser aus der Sicht der DDR und der politischen<br />
Situation in der BRD erwachsende Standpunkt auch <strong>für</strong> eine<br />
Methode fruchtbar zu machen ist, die sich im Bewußtsein der momentanen<br />
Unmöglichkeit, das System insgesamt gewaltsam zu bekämpfen,<br />
auf eine Differenzierung der Phänomene im Sinne der<br />
Erkenntnis einzelner Punkte beschränken muß, an denen und mit<br />
Hilfe derer Aufklärung geleistet werden kann. Für eine solche politische<br />
Strategie, wie sie z. B. in der Schule denkbar ist, kann sich eine<br />
starre Darstellung dieser Erscheinungen als geplante, bewußt ein-