Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Bernd Jürgen Warneken<br />
Abriß einer Analyse literarischer Produktion*<br />
1. Literaturproduktion als eine Form gesellschaftlicher Arbeit<br />
207<br />
Nach einer Formulierung von Friedrich Engels liegt der Schlüssel<br />
zum Verständnis der gesamten Geschichte der Gesellschaft in der<br />
Entwicklungsgeschichte der Arbeit 1 — damit auch der zur Geschichte<br />
von Literatur und Kunst. So stützt sich denn die These von<br />
der „Übereinstimmung zwischen geschichtlichem und ästhetischem<br />
Gehalt" weder auf „die Hegeische Objektivierung des absoluten<br />
Geistes in der Kunst" 2 noch gar auf eine Einflußtheorie, die von<br />
Einzeleinwirkungen äußerer gesellschaftlicher Faktoren auf eine genetisch<br />
isolierte Welt der Literatur redet, sondern auf die Tatsache,<br />
daß es sich, wie Marx bemerkte, bei Kunst und Poesie um „geistige<br />
Produktionszweige" handelt, die dem allgemeinen Gesetz der Produktion<br />
unterliegen 8 . Nicht erst das technisch oder künstlerisch reproduzierte<br />
Werk, also etwa Buch und Theateraufführung, sondern<br />
bereits die bloße Niederschrift eines Autors — und darauf werden<br />
wir uns hier konzentrieren — ist Produkt gesellschaftlicher Arbeit,<br />
der Verausgabung gesellschaftlich produzierter Arbeitskraft in bewußter<br />
und zweckmäßiger Tätigkeit mit Hilfe von Arbeitsmitteln; sie<br />
ist Vergegenständlichung einer geistigen Aneignung der Realität in<br />
einem Werk, das damit nicht nur erkennender Tätigkeit, sondern der<br />
Bearbeitung eines Materials entspringt und unabhängig vom Bewußtsein<br />
des Produzenten existiert. Ausgangspunkt einer Analyse<br />
kann deshalb weder ein ästhetischer Gegenstand in der Realität sein,<br />
den der Künstler durch bewußte und unbewußte Einfühlung oder<br />
Empfindung wesentlich passiv rezipierte, noch ein künstlerisches<br />
Subjekt, das aufgrund eines transzendental oder biologisch gefaßten<br />
Vermögens die ästhetischen Techniken aus sich erzeugte. Anzusetzen<br />
* Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags. Sie bleibt<br />
an dem Zweck orientiert, einem nicht dezidiert vorinformierten Publikum<br />
einen ersten Überblick zu geben. Die dazu vorgenommene Zergliederung<br />
der Probleme macht es kaum vermeidbar, daß manchmal der gleiche<br />
Komplex unter anderem Aspekt wieder auftaucht.<br />
1 Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen<br />
deutschen Philosophie. Marx/Engels, Werke (MEW) Bd. 21, S. 307.<br />
2 <strong>Das</strong> behauptet O. K. Werckmeister in seinem Aufsatz „<strong>Das</strong> Kunstwerk<br />
als Negation. Zur Kunsttheorie Theodor W. Adornos"; u. a. in: Die<br />
neue Linke nach Adorno, ed. Wilfried F. Schoeller, München 1969, S. 101.<br />
3 Cf. Karl Marx, <strong>Theorie</strong>n über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 257;<br />
desgl. Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844,<br />
MEW Ergänzungsband I, S. 537.