Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Geschichte 377<br />
teidiger Dresdens im Mai 1849, sondern die einmarschierenden Preußen,<br />
in denen er die „Einer" Deutschlands erblickte — weshalb, bleibt<br />
unklar, es wird nur gesagt, daß er schon früh das seherische „Sprachrohr"<br />
seiner Zeit war (vgl. <strong>72</strong>, 83). Er stellte sich ganz auf die Seite<br />
Preußens und Bismarcks (vgl. 75) und geriet so in Konflikt mit seinem<br />
Vater. „Und da der Sohn nun auch vor massiven Beleidigungen<br />
des sächsischen Königshauses nicht zurückschreckte, sagte er sich<br />
öffentlich von ihm los. Im Jahr darauf starb er" (77). Hier drängt<br />
sich eine diskriminierende Kausalverknüpfung auf, die <strong>für</strong> den moralisierenden<br />
Tenor des Abschnittes charakteristisch ist. Die politischen<br />
Bewegungen sind allzu einseitig dargestellt. So ist von „Bismarcks<br />
überlegener Staatskunst" im Zusammenhang mit 1870/71 die Rede,<br />
weiter „begrüßten alle (!) Deutschen die Kaiserproklamation mit jubelnder<br />
Begeisterung", und die Pariser Kommune und deren durch<br />
Bismarck ermöglichte Niederschlagung werden nicht erwähnt (77 f.).<br />
Treitschkes Funktionen werden bis auf seine Mitgliedschaft im Kolonialverein<br />
genannt, seine Forderungen nach Annexion Elsaß-Lothringens<br />
(79), seine militaristische Haltung (83), seine Forderung nach<br />
Kolonien (84), seine Vorstellung vom Staat als bürgerlichem Klassenstaat<br />
mit diktatorischen Befugnissen (83, 86) werden erwähnt, ohne<br />
daß die Art der Funktion Treitschkes anders bezeichnet wird, als daß<br />
sich die Geschichtswissenschaft zur „Magd der Politik" (80) mache.<br />
Diese tendenziell richtige Feststellung wird jedoch durch ihre unpolitische<br />
Seite in den Dienst des westdeutschen Revanchismus gestellt.<br />
Prügel zitiert nämlich gleich anschließend einen Ausspruch von<br />
Renan aus dem Jahre 1871 — „Anstelle von Maßstäben einer liberalen<br />
Politik habt ihr Deutschen ethnographische und archäologische<br />
Begriffe in die Waagschale geworfen. <strong>Das</strong> aber wird euer Verhängnis<br />
sein, denn die Slawen werden sich eure Politik begeistert zu eigen<br />
machen. . . . Was werdet ihr dann sagen, wenn sie kommen und das<br />
eigentliche Preußen, Pommern, Schlesien und Berlin beanspruchen,<br />
weil deren Namen slawisch sind?" (80) — und schließt daran lapidar<br />
an: „Doch die Deutschen hörten nicht auf solche Warnungen" (81). Als<br />
ob Erkenntnis von allein praktisch würde! Für Prügel bleibt die<br />
affirmative Haltung Treitschkes und der meisten Zeitgenossen zu der<br />
deutschen Machtpolitik „unbegreiflich" (81). So kann er auch den<br />
Antisemitismus Treitschkes nur ablehnen, kann ihn nicht erklären,<br />
wodurch seine gesellschaftlichen Ursachen deutlich würden, und<br />
bleibt so letztlich ihm gegenüber hilflos (84 ff.). Über Treitschkes<br />
Methode findet man in dem Aufsatz nur Versatzstücke in den reichlichen<br />
Zitaten. Diese werden jedoch von Prügel nicht dazu benutzt,<br />
die Methode selbst darzulegen und zu kritisieren. Dessen „Deutsche<br />
Geschichte im 19. Jahrhundert" wird vielmehr als „eines der bedeutendsten<br />
Geschichtswerke der Deutschen" charakterisiert (307). Die<br />
Geschichtswissenschaft als „Magd der Politik" — und zwar einer<br />
reaktionären — wird somit nach „<strong>kritische</strong>r" Prüfung dem Lesei;<br />
wieder anempfohlen.<br />
<strong>Das</strong> Nachwort des Herausgebers macht die Absicht dieses Buches<br />
deutlich: ein Blick in „diese Schreckenskammer der Gedanken" soll