Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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372 Besprechungen Badura, Bernhard: S p r a c h b a r r i e r e n . Zur Soziologie der Kommunikation. Fromman-Holzboog-Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971 (182 S., kart., 19,80 DM). Der Begriff Sprachbarrieren ist hier über seine schichtspezifische Provenienz erweitert zu einem Konzept des Nichtverstehens bzw. Mißverstehens im allgemeinen. Sprachbarrieren werden so beschreibbar als Resultate restriktiver Bedingungen von dialogischer Kommunikation zwischen Individuen und / oder Gruppen. Diese restriktiven Bedingungen sind aufzusuchen in „gesellschaftlichen Randbedingungen" (Kommunikationssituation, Informationsniveau, emotivem Erlebnishorizont, Interessen). Dialogpartner geraten aufgrund divergierender Teilhabe an diesen „Randbedingungen" in Verständigungsschwierigkeiten, d. h. sie unterliegen Sprachbarrieren. Wer sich mit Sprachbarrieren beschäftigt, beschäftigt sich somit mit Verständigungsschwierigkeiten. Wie äußern sich diese? Zunächst stellt Badura dar, daß es Wörter gibt, deren emotiver und deskriptiver Bedeutungsgehalt sich bei verschiedenen Sprechern nicht decken, und beschreibt dann die Rolle emotiver Konnotationen von Wörtern in sprachlicher Manipulation (taktisch-persuasiver und taktisch interessenbedingter Wortgebrauch). Weiter gibt es Schwierigkeiten, wenn Sprecher Probleme unterschiedlich beurteilen. Eine gravierende Art von Urteilsdifferenzen sind taktisch-interessenbedingte Urteile, die von Interessengruppen geäußert werden, um mit gegensätzlichen Interessen zu konkurrieren. Hierunter fallen ebenso die positionsinteressenbedingten Urteile. Mit diesem Terminus soll explizit öffentliches (Berufs-) Interesse ganzer Gruppen oder Organisationen gegen individuelles Interesse abgegrenzt werden. In Baduras Beispielen passieren viele Interessen Revue (der CDU, der Kirche, der gesellschaftlichen Klassen und noch einige mehr). Sie alle konkurrieren und schaffen Verständigungsschwierigkeiten. Ihr tertium comparationis aber ist das Interesse. Auf dieser Basis sind sie für die Analyse identisch. Verf. stellt sich die Frage, wie man die von ihm dargestellten Verständigungsschwierigkeiten aufheben kann. Er sieht drei Möglichkeiten: einmal die verbindliche Umdefinition bisheriger Interessen — auf welcher Grundlage dies erfolgen kann, bleibt ungesagt —, dann die Annäherung zweier Interessenvertreter durch Kompromisse und schließlich „hat Karl Marx vorgeschlagen" die Möglichkeit der „Beseitigung der sozialstrukturellen Ursachen von Interessenkonflikten". Keine der drei Möglichkeiten wird von Badura ausdrücklich abgelehnt. In der dritten Person entscheidet er sich für den zweiten Weg: „Hält man beides, den Weg gewaltsamer Veränderung und den folgenloser Reflexion (innerhalb spätkapitalistischer Gesellschaften vom Typus Bundesrepublik) für gleichermaßen unakzeptabel, dann bleibt nur noch die Möglichkeit, die Idee gesellschaftlicher, d. h. praktisch-politischer Emanzipation im Bereich entscheidungsrelevanter Dialoge zum Ausdruck zu bringen in der Hoffnung auf einen
Soziologie 373 allein durch Dialoge gesteuerten Emanzipationsprozeß" (172). Von entscheidungsrelevanten Dialogen erwartet Badura „nicht eine Überwindung im Sinne einer Beseitigung von interessenbedingten Sprachbarrieren (Urteilsdifferenzen)..., sondern bestenfalls ihre Überbrückung auf dem Wege von Kompromissen" (169). Was sachliche Information und die Gewinnung brauchbarer Aspekte für die Diskussion um die Funktion von Sprache im gesellschaftlichen Kontext anbetrifft, muß man die Nützlichkeit der besprochenen Untersuchung in Zweifel ziehen. Gängige linguistische und soziologische Kategorien werden in von anderswo bekannte Argumentation eingebracht. Zudem können sämtliche progressiven Formeln (degoutierte Hinweise auf Spätkapitalismus, Verflechtung zwischen Presse, Parteien, privatwirtschaftlichen Finanzinteressen u. ä.) nicht darüber hinwegtäuschen, daß Badura im Verhältnis von Sprache und Realität Sprache als Determinante hypostasiert. Gisela Schulz (Berlin) Gutt, Armin, u. Ruth Salffner: S o z i a l i s a t i o n u n d S p r a c h e . Didaktische Hinweise zu emanzipatorischer Sprachschulung. Europäische Verlagsanstalt (basis arbeitsergebnisse), Frankfurt/Main 1971 (111 S., kart., 5,— DM). Im ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit werden die bisherigen Ansätze zur schichtenspezifischen Soziolinguistik, insbesondere die Bernsteinsche Theorie der linguistischen Codes, kritisch behandelt. Die Diskussion der Bernsteinschen Untersuchungsergebnisse führt zur Ablehnung der dort implizierten normativen Setzung des elaborierten Codes der Mittelschicht und zeigt über den Nachweis des eingeschränkten Realitätsbezuges der mittelschichtspezifischen Sprechweise die soziale Restriktion auch des elaborierten Codes. Zudem versuchen die Autoren, die vorliegenden Forschungsergebnisse der Soziolinguistik aus dem Zusammenhang des bürgerlichen Schichtmodells zu lösen und auf die Marxsche Klassentheorie zu beziehen. Sie stellen dabei die Frage, inwieweit die verstärkte Rezeption dieser Ergebnisse in der traditionellen Didaktik des Sprachunterrichts nicht nur zur weiteren Qualifizierung der Ware Arbeitskraft taugt, sondern zugleich — zumindest potentiell — Möglichkeiten zu einer sprachlichen Fundierung proletarischen Klassenbewußtseins bietet. Im zweiten Abschnitt wird nun zunächst der traditionelle wie der „reformorientierte" Sprachunterricht in seiner ideologischen und systemfunktionalen Ausrichtung kritisiert: „Es geht bei der herkömmlichen Spracherziehung weder um inhaltliche Chancengleichheit noch um Förderung von Spontaneität und Kreativität, die unbedingt zu fördern wären, damit Emotionen verbalisiert werden können und problemlösendes Denken und Handeln sich tatsächlich an den Bedürfnissen der Schüler orientiert und frei wird von gesellschaftlich sanktionierten und infolgedessen qua ,Erziehung' oktroyierten Verhaltensmustern. Die heutige Spracherziehung ist vielmehr
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Badura, Bernhard: S p r a c h b a r r i e r e n . Zur Soziologie der Kommunikation.<br />
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Wer sich mit Sprachbarrieren beschäftigt, beschäftigt sich somit<br />
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Wie äußern sich diese? Zunächst stellt Badura dar, daß es Wörter<br />
gibt, deren emotiver und deskriptiver Bedeutungsgehalt sich bei verschiedenen<br />
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Weiter gibt es Schwierigkeiten, wenn Sprecher Probleme<br />
unterschiedlich beurteilen. Eine gravierende Art von Urteilsdifferenzen<br />
sind taktisch-interessenbedingte Urteile, die von Interessengruppen<br />
geäußert werden, um mit gegensätzlichen Interessen zu<br />
konkurrieren. Hierunter fallen ebenso die positionsinteressenbedingten<br />
Urteile. Mit diesem Terminus soll explizit öffentliches (Berufs-)<br />
Interesse ganzer Gruppen oder Organisationen gegen individuelles<br />
Interesse abgegrenzt werden.<br />
In Baduras Beispielen passieren viele Interessen Revue (der CDU,<br />
der Kirche, der gesellschaftlichen Klassen und noch einige mehr). Sie<br />
alle konkurrieren und schaffen Verständigungsschwierigkeiten. Ihr<br />
tertium comparationis aber ist das Interesse. Auf dieser Basis sind<br />
sie <strong>für</strong> die Analyse identisch.<br />
Verf. stellt sich die Frage, wie man die von ihm dargestellten Verständigungsschwierigkeiten<br />
aufheben kann. Er sieht drei Möglichkeiten:<br />
einmal die verbindliche Umdefinition bisheriger Interessen —<br />
auf welcher Grundlage dies erfolgen kann, bleibt ungesagt —, dann<br />
die Annäherung zweier Interessenvertreter durch Kompromisse und<br />
schließlich „hat Karl Marx vorgeschlagen" die Möglichkeit der „Beseitigung<br />
der sozialstrukturellen Ursachen von Interessenkonflikten".<br />
Keine der drei Möglichkeiten wird von Badura ausdrücklich abgelehnt.<br />
In der dritten Person entscheidet er sich <strong>für</strong> den zweiten<br />
Weg: „Hält man beides, den Weg gewaltsamer Veränderung und den<br />
folgenloser Reflexion (innerhalb spätkapitalistischer Gesellschaften<br />
vom Typus Bundesrepublik) <strong>für</strong> gleichermaßen unakzeptabel, dann<br />
bleibt nur noch die Möglichkeit, die Idee gesellschaftlicher, d. h.<br />
praktisch-politischer Emanzipation im Bereich entscheidungsrelevanter<br />
Dialoge zum Ausdruck zu bringen in der Hoffnung auf einen