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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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356 Besprechungen<br />

Zeitraum so gewählt wäre, daß Ausagen über eine konkrete Gesellschaft<br />

gemacht würden. So aber zeigt sich, daß der Begriff von Gesellschaftsgeschichte,<br />

der im Titel als Bezugsrahmen zugrunde gelegt<br />

wird, selber abstrakt ist, das heißt ungeschichtlich.<br />

Sinnfällig wird das z. B. in einem Aufsatz Walter Hincks, der bei<br />

Brecht ansetzend der Dynamik nachgeht, in die theatralische Form<br />

gerät, wenn sie Ausdruck politischen Engagements wird. Hincks Verfahren<br />

ist rein deskriptiv, ein politisches Erkenntnisinteresse ist bei<br />

ihm selber nicht wahrzunehmen. Brechts Problem, was die künstlerisché<br />

Form zur Veränderung der gesellschaftlichen Basis beitragen<br />

könne, wird beschrieben als Konflikt zwischen Unterhaltung und<br />

Belehrung, der dann an den Beispielen Frisch, Dürrenmatt, Hochhuth,<br />

Weiss und Handke verfolgt wird. Auf das Straßentheater, von dem der<br />

Titel „Von der Parabel zum Straßen theater" spricht und auf das in<br />

Klappentext und Vorwort hingewiesen wird, kommt der Aufsatz zu<br />

sprechen, indem Handke wörtlich genommen wird, der 1968 die Demonstrativ-Aktionen<br />

der damals antiautoritären Linken als Theatralisrerung<br />

der Realität beschrieb. Die Sorge des Germanisten wird<br />

erkennbar, daß einem ästhetischen Hedonismus, der sich in der Wirklichkeit<br />

befriedigt, das Studienobjekt der Wissenschaft zum Opfer<br />

fallen könnte. Auf die Frage der Genossen, die Straßentheater<br />

machen, nach der Rolle von Kunst im Prozeß von Bewußtseinsveränderung<br />

und revolutionärer Aktion hat der Germanist den Rat:<br />

„Es wird der jungen Generation nicht erlassen bleiben, <strong>für</strong> neue Wirkungsziele,<br />

<strong>für</strong> ein neues politisches Engagement auch neue ästhetische<br />

Formen zu suchen."<br />

Die Anthologie, die zugleich eine Art Festschrift-Ersatz zum 60.<br />

Geburtstag von Fritz Martini sein will, ist ein unfreiwilliges Dokument<br />

<strong>für</strong> den geschäftigen Leerlauf, den eine Germanistik zelebriert,<br />

die, wenn sie sich einmal gesellschaftsbezogen gibt, genötigt ist, Aufsätze<br />

zusammen zu publizieren, denen nur gemeinsam ist, daß in<br />

ihnen das Wort Kunst und das Wort Gesellschaft vorkommt. <strong>Das</strong> hat<br />

schließlich auch der Herausgeber gespürt, der schreibt: „Nicht wenige<br />

schieden aus, die zu einer thematisch unbeengten Festschrift gerne<br />

beigetragen hätten" und der doch eingestehen muß: „<strong>Das</strong> Gewicht<br />

der gestaltungs- oder der unmittelbar gesellschaftsgeschichtlichen<br />

Aspekte oder ihres Zusammenhanges variiert in den einzelnen Arbeiten<br />

(vielleicht zu sehr)." Unfähigkeit zur Kooperation kennzeichnet<br />

den Ansatz, von dem her diese Germanistik, selber Ornament,<br />

Gesellschaft in den Griff bekommen will. Lienhard Wawrzyn (Berlin)<br />

Glaser, Horst A., Peter Hahn u.a.: L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t<br />

und S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n . Grundlagen und Modellanalysen.<br />

J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1971 (488 S., brosch.,<br />

26,—DM).<br />

In der Einleitung zum vorliegenden Sammelband, die von der<br />

Hoffnungslosigkeit des Bemühens zeugt, das methodisch und thema-

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