Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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348 Peter Eisenberg und Hartmut Haberland liehe Analyse von Werbesprache im Sinne eines emanzipatorischen Auftrags an die Linguistik für unerläßlich hält. Ob aber Methoden von Linguist A oder B tatsächlich bei den Werbetextern angewendet werden, hängt nur davon ab, wie brauchbar sie sind und nicht, mit welcher Intention die Methoden entwickelt wurden. Es ist auch gleichgültig, ob die Grundlagen für den Entwurf von formalen Sprachen und damit für einen wesentlichen Fortschritt in der elektronischen Datenverarbeitung aus den Laboratorien von IBM oder von der Chomsky-Gruppe stammen, die sich für die Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse nicht interessiert. Ähnliches gilt für das Selbstverständnis der Soziolinguistik, das in seinen fortgeschrittensten Formen am konsequentesten innerhalb der Linguistik die Tatsache reflektiert, daß ungebrochener gesellschaftlicher Nutzen aus wissenschaftlicher Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen nicht zu ziehen ist. Für die bürgerliche Soziolinguistik bedeutet das nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen der immer differenzierteren Interpretation des eigenen Anspruches eine Tendenz zur Resignation, für die „linke" dagegen die folgerichtige Verlängerung des emanzipatorischen Anspruches der bürgerlichen Soziolinguistik: Diese sei der Unterwerfung unter das Kapital immer ausgeliefert; eine wahrhaft, nun aber wirklich wahrhaft emanzipatorische Wissenschaft habe sich davon zu befreien, und es wird so getan, als sei das auch möglich. „Wir weisen unsere Kollegen darauf hin, daß eine Sichtung der Projekte angewandter Linguistik und eine Überprüfung der dabei verwendeten Methoden . . . dringend erforderlich ist. Es geht darum, die Linguistik nicht einer systemstabilisierenden Verwertung auszuliefern, sondern sie in den Dienst einer emanzipatorischen Veränderung unserer Gesellschaft zu stellen"." „Eine Soziolinguistik, die sich der kapitalistischen Verwertung nicht ausliefern will, hat die Aufgabe, Sprache im Kontext gesellschaftlichen Handelns zu sehen 64 ." Der Analyse, die bei Ehlich u. a. für die Rolle der Soziolinguistik als einer dem Kapitalinteresse untergeordneten Wissenschaft gegeben wird, ist weitgehend zuzustimmen, ebenso daß die Untersuchung des Verhältnisses von „Sprache, Denken und Wirklichkeit" als eine mögliche Aufgabe der Linguistik definiert wird, denn unter den gegebenen Verhältnissen muß es in der Tat darum gehen, ein in den Kommunikationsmitteln, insbesondere auch der Sprache, geronnenes Zerrbild der Realität mit dieser zu konfrontieren. In solcher Allgemeinheit ist die Forderung aber schon von der bürgerlichen Wissenschaft erhoben worden. Eine Kritik, die nur an der Subsumption der Wissenschaft unter das Kapital festgemacht wird, entfernt sich notwendig von der gesellschaftlichen Realität und den Möglichkeiten, die zu ihrer Veränderung gegeben sind. Eine Konsequenz daraus, die aber in den genannten Arbeiten nicht aufgezeigt 63 Offener Brief der Vollversammlung der Mitarbeiter und Studenten am Lehrstuhl für Linguistik der TU Berlin. Linguistische Berichte 8, S. 59 (1970). 64 Ehlich usw., a.a.O., S. 57.
Das gegenwärtige Interesse an der Linguistik 349 wird, wäre zwangsläufig, daß die Arbeitskraft unqualifiziert bleiben müßte und die abstrakte, weil nur am Fernziel der sozialistischen Revolution ausgerichtete Vermittlung von Klassenbewußtsein Vorrang hätte. Instanz der Vermittlung soll die kommunistische Partei sein, denn „Die Einschätzung von Sprache und Bewußtsein im Kapitalismus ist in erster Linie Sache der kommunistischen Partei 65 ". Die Unverbindlichkeit dieser Aussage ist offensichtlich. Welche der „kommunistischen Parteien" gemeint ist 66 , wie sie ihren Anspruch legitimiert und woher sie die Kriterien zur Einschätzung von Sprache und Bewußtsein gewinnt, wird nicht gesagt. Solcher Verbalradikalismus bleibt folgenlos, bis auf den Nutzen, daß das Einrücken der Direktiven einer „kommunistischen Partei" an der Stelle, wo die Ziele und Methoden sprachwissenschaftlicher Forschung im Kapitalismus zu bestimmen wären, das Problem so formal löst, daß die bisherige wissenschaftliche Arbeit neu gerechtfertigt fortgesetzt werden kann. Der objektive Zusammenhang, in dem die Entwicklung der Linguistik steht und der ihre heutige Funktion bestimmt, darf weder ausgeklammert noch als durch die eigene Praxis schon sprengbar betrachtet werden. Weder hilft es weiter, die Tatsache, daß Teile der Linguistik für den Kapitalismus direkt verwertbar sind, zu unterschlagen oder einfach abzuleugnen, noch berechtigt diese Einsicht zum resignativen Einverständnis mit der politischen Herrschaft des Kapitals. Von dieser Voraussetzung muß eine Diskussion der Linguistik, die auch Folgen f ü r die Praxis der sie Studierenden haben soll, ausgehen. 65 Konrad Ehlich, Frank Müller, Dietmar Wiehle: Soziolinguistik als bürgerliches Herrschaftswissen — Marxistische Sprachanalyse. In: Wolfgang Klein und Dieter Wunderlich (Hrsg.): Aspekte der Soziolinguistik. Frankfurt 1971, S. 108. 66 Der Kreis der möglichen Kandidaten wird lediglich dadurch eingeschränkt, daß etwas später von der „Deformation des Sozialismus in der DDR" die Rede ist. Die Kommunistische Partei wird also kaum gemeint sein.
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der Soziolinguistik, das in seinen fortgeschrittensten Formen am konsequentesten<br />
innerhalb der Linguistik die Tatsache reflektiert, daß<br />
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unter kapitalistischen Verhältnissen nicht zu ziehen ist. Für die bürgerliche<br />
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Versuchen der immer differenzierteren Interpretation des eigenen<br />
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Linguistik und eine Überprüfung der dabei verwendeten Methoden<br />
. . . dringend erforderlich ist. Es geht darum, die Linguistik nicht<br />
einer systemstabilisierenden Verwertung auszuliefern, sondern sie<br />
in den Dienst einer emanzipatorischen Veränderung unserer Gesellschaft<br />
zu stellen"." „Eine Soziolinguistik, die sich der kapitalistischen<br />
Verwertung nicht ausliefern will, hat die Aufgabe, Sprache<br />
im Kontext gesellschaftlichen Handelns zu sehen 64 ."<br />
Der Analyse, die bei Ehlich u. a. <strong>für</strong> die Rolle der Soziolinguistik<br />
als einer dem Kapitalinteresse untergeordneten Wissenschaft gegeben<br />
wird, ist weitgehend zuzustimmen, ebenso daß die Untersuchung<br />
des Verhältnisses von „Sprache, Denken und Wirklichkeit"<br />
als eine mögliche Aufgabe der Linguistik definiert wird, denn unter<br />
den gegebenen Verhältnissen muß es in der Tat darum gehen, ein in<br />
den Kommunikationsmitteln, insbesondere auch der Sprache, geronnenes<br />
Zerrbild der Realität mit dieser zu konfrontieren. In solcher<br />
Allgemeinheit ist die Forderung aber schon von der bürgerlichen<br />
Wissenschaft erhoben worden. Eine Kritik, die nur an der Subsumption<br />
der Wissenschaft unter das Kapital festgemacht wird,<br />
entfernt sich notwendig von der gesellschaftlichen Realität und den<br />
Möglichkeiten, die zu ihrer Veränderung gegeben sind. Eine Konsequenz<br />
daraus, die aber in den genannten Arbeiten nicht aufgezeigt<br />
63 Offener Brief der Vollversammlung der Mitarbeiter und Studenten<br />
am Lehrstuhl <strong>für</strong> Linguistik der TU Berlin. Linguistische Berichte 8,<br />
S. 59 (1970).<br />
64 Ehlich usw., a.a.O., S. 57.