Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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312 Michael Neriich<br />
Der Beitrag von Jauß ist allerdings doppelt gefährlich, da er in der<br />
hier unheilvollen Dialektik der Dinge nicht nur im Hinblick auf die<br />
bundesrepublikanische Romanistik und die Entwicklung ihres vielleicht<br />
bedeutendsten Vertreters Jauß einen unübersehbaren Fortschritt<br />
darstellt, sondern obendrein in einer leicht zugänglichen<br />
Schrift verbreitet wird, die neben Unseriösem über den Marxismus<br />
auch manches Wichtige und Bedenkenswerte enthält. Es wäre daher<br />
Jauß und uns zu wünschen, daß er ein wenig bei Marx und dem<br />
Marxismus verweilte, um ihn gründlicher zu studieren. Er könnte<br />
dann auch u. a. auf Engels stoßen, der bei Gelegenheit schrieb:<br />
wenn der Mann noch nicht entdeckt hat, daß, wenn die materielle<br />
<strong>Das</strong>einsweise das primum agens ist, das nicht ausschließt, daß<br />
die ideellen Gebiete eine reagierende, aber sekundäre Einwirkung<br />
auf sie hinwiederum ausüben, so kann er doch unmöglich den Gegenstand<br />
begriffen haben, worüber er schreibt 186 ."<br />
17. Bestandsaufnahme<br />
1. Die reichs- und bundesdeutsche Romanistik ist — mit wenigen<br />
Ausnahmen — bewußt oder unbewußt anti-aufklärerisch, antiemanzipatorisch,<br />
anti-sozialistisch, sogar z. T. offen anti-demokratisch:<br />
ohne Ausnahme aber anti-marxistisch. Sie beschneidet aufgrund<br />
ihres außerordentlich schmal-perspektivischen Klassenstandpunktes<br />
ihr wissenschaftliches Betätigungsfeld sowohl im Hinblick<br />
auf den Forschungsgegenstand als auch auf die Methoden mit verblüffender<br />
Skrupellosigkeit (ein Blick in bundesrepublikanische<br />
Vorlesungsverzeichnisse beweist das sofort). Sie operiert also politisch-strategisch.<br />
2. Die Vertreter der reichs- und bundesdeutschen Romanistik haben<br />
zwar weder Marx noch Engels noch Mehring noch Plechanow<br />
noch Lenin gelesen, aber sie stehen nicht an, diese permanent <strong>für</strong><br />
einseitig, „ideologisch", falsch und dogmatisch zu erklären. In allen<br />
nicht-faschistischen Staaten sind die grundsätzlichen Ideen des historischen<br />
und dialektischen Materialismus heute Allgemeingut nicht<br />
nur der Marxisten. In der BRD aber hat man sie nicht einmal im<br />
Anfänger-Manual studiert. (Die BRD ist das vielleicht einzige Land<br />
der Welt, in dem Intellektuelle, zumal Universitätsgelehrte das Wort<br />
„Marxist" bzw. „Kommunist" <strong>für</strong> ein Schimpfwort halten und zur<br />
Diffamierung und Denunziation benutzen. In Frankreich sind sehr<br />
viele Hochschullehrer Mitglieder des PC, darunter auch Romanisten.<br />
In Italien ist das nicht anders.)<br />
3. <strong>Das</strong> ist ein wissenschaftliches Problem und ein politisches: der<br />
bundesrepublikanische Romanist ist nicht mehr in der Lage, die<br />
Publikationen eines Roland Barthes, eines Lucien Goldmann, eines<br />
Pierre Macherey, eines Jean Duvignaud, eines Pierre Daix, eines<br />
Robert Escarpit usw., usf. überhaupt nur zu verstehen, geschweige<br />
136 Brief an Conrad Schmidt vom 5. 8. 1890, MEW Bd. 37, 435 bis<br />
438, 436.