30.01.2013 Aufrufe

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Romanistik und Anti-Kommunismus 307<br />

es nach Jauß zu rekonstruieren gilt 124 , und mit dessen Hilfe dann das<br />

eigentliche Ziel erreicht würde, eine Literaturgeschichte zu schreiben,<br />

die „im Gang der .literarischen Evolution* jene im eigentlichen Sinn<br />

gesellschaftsbildende Funktion aufdeckt, die der Literatur in der<br />

Emanzipation des Menschen aus seinen naturhaften, religiösen und<br />

sozialen Bindungen zukam 125 ".<br />

16. Der subtile Anti-Kommunismus<br />

Der Anspruch, den Jauß stellt, ist sehr groß. Einlösen freilich<br />

kann er ihn aus Gründen, die im folgenden angedeutet werden<br />

sollen, nicht. Dabei können nicht alle Aspekte seiner interessanten<br />

und auch wichtigen Schrift untersucht werden: es kommt im Rahmen<br />

dieser Untersuchung lediglich darauf an, zu zeigen, daß auch sie<br />

sich einreiht in die obligatorische reichs- und bundesdeutsche Philologen-Polemik<br />

gegen Marxismus und Kommunismus, deren Ursachen<br />

neben in den Schein der Wissenschaftlichkeit getretenen<br />

Klasseninteressen gleicherweise Ignoranz und Vorurteil sind, die<br />

auch in diesem Fall bewirken, daß erhebliche Zweifel angemeldet<br />

werden können, ob die Schrift von Jauß überhaupt Anspruch auf<br />

Wissenschaftlichkeit hat. Dabei kommt ihr auf jeden Fall ein besonderer<br />

Rang zu, da sie mit differenziertem Vokabular den Anschein<br />

der äußersten Kompetenz erweckt. In der Tat hat noch kein bundesdeutscher<br />

Romanist gleich soviel Autoritäten auf einmal in die literaturwissenschaftlichen<br />

und philosophischen Schranken gefordert wie<br />

Hans Robert Jauß, und gemessen an allen anderen Erscheinungsformen<br />

des romanistischen Anti-Kommunismus bzw. Anti-Marxismus<br />

gehört seine Schrift zweifellos zu den subtilsten Varianten, wie<br />

ein Vergleich zwischen der ersten Edition (Konstanz) und der zweiten<br />

von 1970 (im folgenden Frankfurt 12B ) deutlich macht.<br />

Statt der versprochenen Aufhebung des Widerspruchs zwischen<br />

der formalistischen und der marxistischen Schule gibt es bei Jauß<br />

das Schauspiel einer Gerichtsverhandlung über den Marxismus mit<br />

abschließendem Schuldspruch, wobei das elementarste Prinzip der<br />

Gerechtigkeit außer acht gelassen wird: das audiatur et altera pars.<br />

Während Jauß zur Abstützimg seiner Thesen unentwegt die Formalisten<br />

zitiert, kommt von der ebenso unentwegt kritisierten marxistischen<br />

Gegenseite auch nicht ein einziger zu Wort. Nicht einmal die<br />

unmittelbar am Streit beteiligten Vertreter der nicht-formalisti-<br />

124 Über den „Erwartungshorizont", den Jauß von Karl Mannheim<br />

übernimmt, gerät er offensichtlich in einen „Horizonte-Rausch": neben<br />

dem harmlosen „Horizontwandel" begegnet noch ein „Fragehorizont", eine<br />

„Horizontveränderung", eine „Horizontstiftung", ein „transsubjektiver<br />

Horizont", eine „Horizontstruktur", ein „retrospektiver Horizont" und in<br />

der zweiten Edition (edition suhrkamp, Bd. 418, Frankfurt/M. 1970, 157)<br />

ein „materieller Bedingungshorizont", der von Jauß offensichtlich als<br />

marxistisch verstanden wird.<br />

125 Konstanz <strong>72</strong>.<br />

126 Edition suhrkamp, Bd. 418, Frankfurt/M. 1970, 144—207.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!