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Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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groÑen Knall und die Matratze war geplatzt. Heute noch, wenn ich Wechseldruckmatratzen in<br />

die Betten lege, muss ich schmunzeln. Alle <strong>Kinder</strong> der Station kamen ins Zimmer gelaufen,<br />

<strong>den</strong>n endlich war etwas los bei uns. Jenny nahm <strong>den</strong> einen Arm in die HÄfte, guckte mich an<br />

und schÄttelte <strong>den</strong> Kopf: „Einer von uns bei<strong>den</strong> muss abnehmen.“ Ich musste herzlich lachen.<br />

Wie besonders doch diese <strong>Kinder</strong> sind …<br />

Und Sie sehen, beides geht, Weinen und Lachen.<br />

Jenny ging dann nach Hause zu ihrer GroÑmutter. Es hieÑ, wenn GroÑmutter nicht mehr kann,<br />

muss Jenny in ein Hospiz. Ich sagte dazu: „In ein <strong>Kinder</strong>hospiz.“ „Nein“, sagte mein Chef,<br />

„es gibt nur ein <strong>Kinder</strong>hospiz in Deutschland. Acht Betten fÄr 22.000 lebensbegrenzt erkrankte<br />

<strong>Kinder</strong> in Deutschland.“ Ich sah ihn an und erwiderte: „Das glaube ich nicht.“ „Sie kànnen<br />

ja eins bauen.“ – Bei der Eràffnung des <strong>Kinder</strong>hospizes SternenbrÄcke sagte er: „Ich hÇtte es<br />

wissen mÄssen. Ich kenne Sie schon lange genug.“ – Ich sagte: „Jenny ist neun Jahre alt.<br />

GroÑeltern zu haben, mit <strong>den</strong>en man sich wunderbar versteht, ist ein Geschenk fÄr <strong>Kinder</strong>,<br />

aber im Sterbeprozess gehàrt alt und jung nicht unmittelbar nebeneinander.<br />

Ich habe Jenny dann zu Hause begleitet mit Hilfe eines ambulanten <strong>Kinder</strong>pflegedienstes. Ich<br />

betreute sie fast ein halbes Jahr lang auf der Station und ich lernte sie und ihre Familie sehr<br />

gut kennen. Ich wollte sehen, ob es ihnen weiterhin gut ging. Aber wie mag es sein, wenn die<br />

Schmerzen kommen, wenn der niedergelassene <strong>Kinder</strong>arzt vielleicht gerade mitten in seiner<br />

Sprechstunde steckt und nicht kommen kann, wenn der ambulante Pflegedienst vielleicht gerade<br />

wieder weg ist? Wie ist das System, das diese Familien zu Hause auffÇngt und mit ihnen<br />

GesprÇche fÄhrt? Ich forschte nach und suchte ein Netzwerk, aber ich merkte, dass es keines<br />

gab. Nur lÄckenhaft, nur spontan fÄr einzelne Erkrankungen. FÄr stoffwechsel- und muskelerkrankte<br />

<strong>Kinder</strong> gibt es nur sehr wenig UnterstÄtzung. Wenn man an lebensbegrenzt erkrankte<br />

<strong>Kinder</strong> <strong>den</strong>kt, dann <strong>den</strong>kt man als erstes an krebserkrankte <strong>Kinder</strong>, die jedoch nur 20-30 %<br />

ausmachen. 70 % der <strong>Kinder</strong> sind muskel- und stoffwechselerkrankte <strong>Kinder</strong>! Dieses hatte ich<br />

bis dahin nicht gewusst.<br />

Dann kam die Situation: Abends um 22 Uhr in meinem Nachtdienst rief die GroÑmutter an<br />

und sagte: „Jenny hat Schmerzen und ich habe nur Paracetamol im KÄhlschrank, was vom<br />

<strong>Kinder</strong>arzt verschrieben wurde.“ Das hatte gar nicht geholfen. Ich hàrte Jenny im Hintergrund<br />

weinen. Ich holte unseren diensthaben<strong>den</strong> Arzt, wir packten eine Nierenschale mit schmerzstillen<strong>den</strong><br />

Medikamenten, riefen ein Taxi und schickten die Medikamente auf diesem Wege<br />

zu Jenny nach Hause. Eine Stunde spÇter rief die GroÑmutter erleichtert an. Jenny ging es<br />

besser.<br />

Diese Situation wiederholte sich mehrmals und es waren immer wieder Probleme in der Betreuung.<br />

Der siebenjÇhrige Bruder fing an, Fragen zu stellen. Die Mutter war an multipler<br />

Sklerose erkrankt und hatte sich von der Familie entfernt, weil sie pflegebedÄrftig war. Der<br />

Vater musste auf die Psychiatrie in ein Krankenhaus eingewiesen wer<strong>den</strong>. Er war mit der Situation<br />

Äberfordert und brauchte Hilfe. Ich war verzweifelt und dachte: „So geht das doch<br />

alles nicht. Sie brauchen andere Hilfe. Sie brauchen viele HÇnde. Wir kànnen sie doch nicht<br />

einfach alleine lassen, nur weil es heiÑt, dass wir fÄr das Kind nichts mehr tun kànnen. Wir<br />

kànnen doch noch ganz viel fÄr diese <strong>Kinder</strong> tun. Warum wird das immer so gesagt?“<br />

Ich besuchte eine Familie zu Hause mit einem drei Monate alten Baby, das eine Muskelatrophie<br />

hatte. Es konnte nicht einmal seinen Speichel herunterschlucken. 22 und 23 Jahre alt<br />

waren die Eltern. Tag und Nacht haben sie das Kind abgesaugt, damit es nicht an seinem<br />

Speichel erstickt. Sie wollten es tun. Bis zum Schluss. Sie schliefen drei Stun<strong>den</strong> und saÑen<br />

drei Stun<strong>den</strong> am Bett des Kindes, sechs Monate lang. Sie hatten ein unglaubliches Schlafdefizit,<br />

aÑen kaum noch und waren mit <strong>den</strong> Nerven vàllig am Ende. Der dreijÇhrige kleine Bruder<br />

lebte nur noch in seinem <strong>Kinder</strong>zimmer. Wer sollte ihn in <strong>den</strong> <strong>Kinder</strong>garten bringen oder mit<br />

ihm raus gehen? Wer war fÄr ihn da? Er wurde immer stiller, er fing wieder an einzunÇssen.<br />

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