Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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29.01.2013 Aufrufe

Ute Nerge Kinderhospiz SternenbrÄcke Ich freue mich Äber das wunderbare Haus – das Kinderhospiz SternenbrÄcke – und màchte Ihnen gern etwas darÄber erzÇhlen. Die Zeit ist fÄr mich eigentlich sehr knapp, denn wenn man 3 Jahre – wir sind seit dem 17. Mai 3 Jahre alt – Kinder begleitet, bei mir sind es mit dem letzten kleinen Baby 50 Kinder, die ich in der Lebensendphase begleitet habe, ist man unglaublich voll von diesen Kindern. Man hat sie im Herzen, man hat sie im Bauch. Gerade auf der Fahrt nach Sankelmark habe ich unserem Assistenten, Herrn Mosebach, sehr viel erzÇhlt von einem groÑen 16-jÇhrigen Jungen, der zurzeit im Kinderhospiz SternenbrÄcke ist. Man kann sie nicht abschÄtteln, diese Kinder, und ich màchte es auch nicht. FÄr mich ist es eine wunderbare Arbeit und ein Geschenk dazu, die Familien begleiten zu dÄrfen. Ich màchte Ihnen auch erzÇhlen, warum wir Kinderhospize brauchen. Wie ist die Situation von Familien in den Kinderkliniken? Wie ist sie zu Hause und wie unterstÄtzt ein Kinderhospiz dieses Zuhause? Und vor allem: Wo ist der Unterschied zwischen einem Erwachsenen- Hospiz und einem Kinder-Hospiz? Kinderhospize arbeiten vàllig anders, was die wenigsten Menschen eigentlich wissen. In der Pause werde ich einen Film vom Kinderhospiz SternenbrÄcke laufen lassen, und Sie kànnen sehen, wie wir arbeiten, im Tag- und Nachtdienst, mit ElternbeitrÇgen, und Sie kànnen Kinder erleben. Der Film dauert 23 Minuten, und Sie sind herzlich eingeladen, die Pause mit Ihrer Tasse Kaffee hier bei dem Film zu verbringen. Am Ende meines Vortrages zeige ich Ihnen dann noch Bilder von unserem Haus. Ich bin Kinderkrankenschwester seit 26 Jahren und das mit Leib und Seele. Zum Schluss habe ich 16 Jahre lang auf einer Kinderchirurgie in einer Kinderklinik in Hamburg gearbeitet. Auf dieser Kinderchirurgie war es nicht Äblich, dass dort lebensbegrenzt erkrankte Kinder gepflegt wurden, aber ab und zu kamen sie doch zu uns auf die Station Äber die Kinderambulanz. Ich gebe immer gern das Beispiel von einem kleinen MÇdchen, 9 Jahre alt, sie hieÑ Jenny und sie wuchs mit ihrem Bruder bei der GroÑmutter auf. Jenny kam eines Tages zu uns in die Ambulanz, weil sie humpelte. Die Omi dachte, sie hÇtte sich wohl beim Sport in der Schule den FuÑ vertreten. Wir fanden aber nichts an dem FuÑ. Der eine drÄckte, der andere drÄckte, es wurde alles Màgliche untersucht, es wurden Ràntgenaufnahmen gemacht. Wir fanden aber nichts, bis die Omi in einem GesprÇch erzÇhlte: „Jenny hat mit 4 Jahren eine Luftgewehrkugel vom Nachbarjungen abbekommen. Man hat sie im Bauchraum belassen, weil eine OP zu gefÇhrlich gewesen wÇre.“ Die Årzte wurden hellhàrig und sagten: „Wir sollten sie vielleicht entfernen, weil sie eventuell auf einen Nerv drÄckt.“ Die OP wurde fÄr den nÇchsten Tag anberaumt und es wurde alles vorbereitet. Jenny fand das Ganze oberspannend, zumal als sie in den OP kam und niemanden erkannte mit dem Mundschutz und den Handschuhen. Omi hatte groÑe Angst. Nach drei Stunden sagte die GroÑmutter zu mir auf der Station: „Die haben noch gar nicht angerufen aus dem OP. Meinen Sie, es ist alles in Ordnung?“ In dem Moment klingelte das Telefon. Der OP rief an und sagte: „Bringen Sie uns schnell die GroÑmutter an die OP-TÄr. WÇhrend der Operation haben wir einen groÑen Tumor gefunden. Die Omi muss noch eine Unterschrift leisten.“ Das war alles! Mir ging es gar nicht gut dabei, denn ich musste jetzt an die GroÑmutter herantreten und ihr etwas erklÇren, wovon ich selbst noch nicht viel wusste. Ich ging zu der GroÑmutter, sagte ihr kurz auf dem Weg zum OP, um was es ging, und merkte gleich, so kann das nicht gehen. Im VorÄbergehen – einfach so. Die GroÑmutter war aufgelàst und sagte: „Haben sie auch das richtige Kind? Man liest ja immer wieder, dass Patienten verwechselt werden. Doch nicht Jenny. Die war doch mopsfidel. Schwester Ute, meinen Sie wirklich, dass das so alles richtig 70

ist?“ Ich habe sie beruhigen kànnen, so gut es ging. Sie kam an die TÄr. Ein grÄn vermummter Mensch reichte uns einen Zettel und sagte: „Unterschreiben Sie unten rechts“, nahm den Zettel und die TÄr ging zu. „Wer war das denn? Den habe ich ja noch nie gesehen? Ist das der Arzt, der Jenny operiert? Ist das ein guter Arzt?“ Ich versuchte wieder, sie zu beruhigen, aber ich merkte, das war eigentlich nicht das, was die GroÑmutter brauchte. Sie ging mit mir auf die Station zurÄck. Ich setzte sie in eine Sitzecke, brachte ihr eine Tasse Kaffee und mehr Zeit hatte ich an diesem Morgen nicht fÄr sie. Wir waren eine Kinderchirurgie mit zehn bis fÄnfzehn ambulanten Operationen am Tag, ein „Verschiebebahnhof“, wie wir Schwestern immer sagten. Die Betten wurden hin und her geschoben, und auf die GroÑmutter in der Ecke konnte kaum jemand achten. Zeit fÄr sie gab es nicht. Immer wieder ging ich mit hÇngendem Kopf an ihr vorÄber, fasste sie an die Schulter und ich konnte nur sagen: „Kopf hoch, wir haben gute Årzte hier fÄr Jenny.“ Mein Dienst ging zu Ende und der Operateur hatte immer noch nicht angerufen. Sechs Stunden waren nun schon vergangen. Ich rief dort an und die Krankenschwester sagte mir: „Das dauert noch.“ Aber ich konnte doch die Omi jetzt nicht so sitzen lassen. Ihre Tempo-TaschentÄcher waren schon vàllig zerknÄllt in ihrer Hand, und sie weinte stÇndig vor sich hin. Ich lud sie ein, eine Tasse Tee bei mir zu Hause zu trinken und miteinander zu reden. Ich nahm sie kurzerhand mit nach Hause. Ich habe sie aufs Sofa „drapiert“ unter einer Wolldecke, wir haben Tee getrunken und haben ganz viel gesprochen, bis sie irgendwann erschàpft einschlief. Nach 11 ê Stunden rief der OP mich an: „Jenny ist verlegt auf die Intensivstation.“ Ich weckte die GroÑmutter und fuhr mit ihr zurÄck in die Klinik auf die Intensivstation. Ich versuchte ihr zu erklÇren, wie sie Jenny vorfinden wird. Sie wird blass sein, grau im Gesicht, sicherlich beatmet nach der langen Operationszeit, Äberall SchlÇuche, in denen vielleicht Blut steht, GerÇte, und sicherlich sieht sie nicht aus wie die Jenny, die sie eigentlich kennt. Aber wer einen lieb gewordenen Menschen auf der Intensivstation schon einmal besucht hat, auch wenn man vielleicht aus diesem Arbeitsbereich kommt, vergisst diese Bilder nicht so schnell wieder. Man kann es wohl erzÇhlen, aber es erleben, das ist noch einmal etwas ganz anderes. Man kommt auf eine Station, wo alle hektisch herumlaufen, die Patienten fast nackt sind, kaum ansprechbar sind und alle TÄren offen stehen. Man bekommt dann das GefÄhl, als wenn hier ein Wendepunkt ist zwischen Tod und Leben, man spÄrt es schon an der TÄr. Als Jennys Oma an ihr Bett trat, knickten ihr die Beine weg und ich konnte ihr gerade noch einen Stuhl unter den Po schieben. „Jenny, was haben sie mit dir gemacht?“ Sie sah genau so aus, wie ich sie beschrieben hatte. Eine halbe Stunde durfte die Oma auf der Station bleiben. Es war eine Erwachsenen-Intensivstation und auf GroÑmÄtter und Eltern waren sie dort nicht eingestellt. Dass unsere Eltern auf der Station immer dabei waren, konnte ich diesen Schwestern und Årzten so schnell nicht beibringen. Nach einer halben Stunde gingen wir wieder auf die Station und ich erklÇrte ihr, dass Jenny zwei bis drei Tage spÇter wieder bei uns sein wird. So war es auch. Nach drei Tagen kam Jenny mit aufgeblasenen Handschuhen, wie man das so macht fÄr Kinder in der Klinik, in einem Rollstuhl und sie sagte: „Ich habe etwas ganz Spannendes erlebt. Da piepst es an allen Ecken und Kanten. Das ist da spannend wie in einem Unfallwagen.“ Ich sagte: „Jenny, wie geht es dir?“ „Na ja, mein rechtes Bein und mein rechter Arm schlafen noch. Das kommt wohl von der Narkose, haben die Årzte gesagt.“ Ich guckte sie an und sagte: „Nach drei Tagen?“ Eine groÑe Angst war in meinem Bauch, denn ich wusste, dass der Arm und das Bein nicht schlafen. Aber wer nimmt das Wort in den Mund und spricht mit dem Kind? Jenny sagte, sie mÄsse erst einmal ausschlafen, dann wÄrden der Arm und das Bein auch wieder aufwachen, das hat der Doktor auch gesagt. Omi war ÄberglÄcklich, Jenny endlich wieder bei sich zu haben. Sie kam in ein Einzelzimmer, nicht zu anderen Kindern. Es hieÑ, sie brauchte Ruhe. Ich dachte: „Aber sie ist ein Kind und sie will Kontakt zu anderen Kindern haben. Sie war schon eine lange Zeit zwischen Erwachsenen.“ Jenny fiel das erst einmal nicht auf. Aber ihr fiel auf, dass das Bein und der Arm nach 71

ist?“ Ich habe sie beruhigen kànnen, so gut es ging. Sie kam an die TÄr. Ein grÄn vermummter<br />

Mensch reichte uns einen Zettel und sagte: „Unterschreiben Sie unten rechts“, nahm <strong>den</strong><br />

Zettel und die TÄr ging zu. „Wer war das <strong>den</strong>n? Den habe ich ja noch nie gesehen? Ist das der<br />

Arzt, der Jenny operiert? Ist das ein guter Arzt?“ Ich versuchte wieder, sie zu beruhigen, aber<br />

ich merkte, das war eigentlich nicht das, was die GroÑmutter brauchte. Sie ging mit mir auf<br />

die Station zurÄck. Ich setzte sie in eine Sitzecke, brachte ihr eine Tasse Kaffee und mehr Zeit<br />

hatte ich an diesem Morgen nicht fÄr sie.<br />

Wir waren eine <strong>Kinder</strong>chirurgie mit zehn bis fÄnfzehn ambulanten Operationen am Tag, ein<br />

„Verschiebebahnhof“, wie wir Schwestern immer sagten. Die Betten wur<strong>den</strong> hin und her geschoben,<br />

und auf die GroÑmutter in der Ecke konnte kaum jemand achten. Zeit fÄr sie gab es<br />

nicht. Immer wieder ging ich mit hÇngendem Kopf an ihr vorÄber, fasste sie an die Schulter<br />

und ich konnte nur sagen: „Kopf hoch, wir haben gute Årzte hier fÄr Jenny.“ Mein Dienst<br />

ging zu Ende und der Operateur hatte immer noch nicht angerufen. Sechs Stun<strong>den</strong> waren nun<br />

schon vergangen. Ich rief dort an und die Krankenschwester sagte mir: „Das dauert noch.“<br />

Aber ich konnte doch die Omi jetzt nicht so sitzen lassen. Ihre Tempo-TaschentÄcher waren<br />

schon vàllig zerknÄllt in ihrer Hand, und sie weinte stÇndig vor sich hin. Ich lud sie ein, eine<br />

Tasse Tee bei mir zu Hause zu trinken und miteinander zu re<strong>den</strong>. Ich nahm sie kurzerhand mit<br />

nach Hause. Ich habe sie aufs Sofa „drapiert“ unter einer Wolldecke, wir haben Tee getrunken<br />

und haben ganz viel gesprochen, bis sie irgendwann erschàpft einschlief.<br />

Nach 11 ê Stun<strong>den</strong> rief der OP mich an: „Jenny ist verlegt auf die Intensivstation.“ Ich weckte<br />

die GroÑmutter und fuhr mit ihr zurÄck in die Klinik auf die Intensivstation. Ich versuchte<br />

ihr zu erklÇren, wie sie Jenny vorfin<strong>den</strong> wird. Sie wird blass sein, grau im Gesicht, sicherlich<br />

beatmet nach der langen Operationszeit, Äberall SchlÇuche, in <strong>den</strong>en vielleicht Blut steht, GerÇte,<br />

und sicherlich sieht sie nicht aus wie die Jenny, die sie eigentlich kennt. Aber wer einen<br />

lieb gewor<strong>den</strong>en Menschen auf der Intensivstation schon einmal besucht hat, auch wenn man<br />

vielleicht aus diesem Arbeitsbereich kommt, vergisst diese Bilder nicht so schnell wieder.<br />

Man kann es wohl erzÇhlen, aber es <strong>erleben</strong>, das ist noch einmal etwas ganz anderes. Man<br />

kommt auf eine Station, wo alle hektisch herumlaufen, die Patienten fast nackt sind, kaum<br />

ansprechbar sind und alle TÄren offen stehen. Man bekommt dann das GefÄhl, als wenn hier<br />

ein Wendepunkt ist zwischen Tod und Leben, man spÄrt es schon an der TÄr. Als Jennys Oma<br />

an ihr Bett trat, knickten ihr die Beine weg und ich konnte ihr gerade noch einen Stuhl unter<br />

<strong>den</strong> Po schieben. „Jenny, was haben sie mit dir gemacht?“ Sie sah genau so aus, wie ich sie<br />

beschrieben hatte. Eine halbe Stunde durfte die Oma auf der Station bleiben. Es war eine Erwachsenen-Intensivstation<br />

und auf GroÑmÄtter und Eltern waren sie dort nicht eingestellt.<br />

Dass unsere Eltern auf der Station immer dabei waren, konnte ich diesen Schwestern und Årzten<br />

so schnell nicht beibringen. Nach einer halben Stunde gingen wir wieder auf die Station<br />

und ich erklÇrte ihr, dass Jenny zwei bis drei Tage spÇter wieder bei uns sein wird.<br />

So war es auch. Nach drei Tagen kam Jenny mit aufgeblasenen Handschuhen, wie man das so<br />

macht fÄr <strong>Kinder</strong> in der Klinik, in einem Rollstuhl und sie sagte: „Ich habe etwas ganz Spannendes<br />

erlebt. Da piepst es an allen Ecken und Kanten. Das ist da spannend wie in einem Unfallwagen.“<br />

Ich sagte: „Jenny, wie geht es dir?“ „Na ja, mein rechtes Bein und mein rechter<br />

Arm schlafen noch. Das kommt wohl von der Narkose, haben die Årzte gesagt.“ Ich guckte<br />

sie an und sagte: „Nach drei Tagen?“ Eine groÑe Angst war in meinem Bauch, <strong>den</strong>n ich wusste,<br />

dass der Arm und das Bein nicht schlafen. Aber wer nimmt das Wort in <strong>den</strong> Mund und<br />

spricht mit dem Kind? Jenny sagte, sie mÄsse erst einmal ausschlafen, dann wÄr<strong>den</strong> der Arm<br />

und das Bein auch wieder aufwachen, das hat der Doktor auch gesagt.<br />

Omi war ÄberglÄcklich, Jenny endlich wieder bei sich zu haben. Sie kam in ein Einzelzimmer,<br />

nicht zu anderen <strong>Kinder</strong>n. Es hieÑ, sie brauchte Ruhe. Ich dachte: „Aber sie ist ein Kind und<br />

sie will Kontakt zu anderen <strong>Kinder</strong>n haben. Sie war schon eine lange Zeit zwischen Erwachsenen.“<br />

Jenny fiel das erst einmal nicht auf. Aber ihr fiel auf, dass das Bein und der Arm nach<br />

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