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Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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Prof. Dr. Hartmut Radebold<br />

Katharina Emse vom Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag fÄhrte das Interview<br />

„Zeitgeschichte ist Erfahrungsgeschichte“<br />

66<br />

Ihre Kindheit und Jugend verbrachten sie im Dritten Reich oder wÇhrend des Zweiten<br />

Weltkrieges. Die Kriegskinder – lange sind sie kaum in Erscheinung getreten. Sie<br />

funktionierten und bauten Deutschland wieder auf. Einen Scha<strong>den</strong> schienen sie am Erlebten<br />

nicht genommen zu haben. Doch mit dem Alter kommen die Erinnerungen<br />

wieder hoch. Im GesprÇch mit Redaktionsmitglied Kathrin Emse erlÇutert der Kasseler<br />

Altersforscher, Psychiater und Psychoanalytiker Professor Hartmut Radebold, warum<br />

und wie die Kriegskinder bis heute von ihren damaligen Erfahrungen beeintrÇchtigt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Herr Radebold, als Psychoanalytiker beschÄftigen Sie sich vornehmlich mit der Generation<br />

der Öber 60-JÄhrigen. Es sind dies die JahrgÄnge derer, die ihre Kindheit und Jugend in <strong>den</strong><br />

Jahren vor und wÄhrend des Zweiten Weltkrieges verlebten. Ihnen ist aufgefallen, dass bei<br />

vielen von ihnen, die unter Depressionen oder Ähnlichem lei<strong>den</strong>, die Ursachen hierfÖr in eben<br />

diesen Kindheitserfahrungen zu suchen sind. Lebt der Zweite Weltkrieg in uns fort?<br />

Ich <strong>den</strong>ke ja. Denn solch’ traumatisierende Erfahrungen sind zeitlos. Das heiÑt, sie bleiben<br />

abgekapselt in <strong>den</strong> Individuen erhalten. Sie bleiben in der Familiengeschichte, selbst wenn<br />

diese abgespalten und verdrÇngt wird. Diese Erfahrungen sind also lebendig.<br />

Warum kommen sie ausgerechnet jetzt hoch?<br />

Das hat zum einen mit der Alterssituation zu tun. Diese Kriegskinder haben ein StÄck ihrer<br />

I<strong>den</strong>titÇt dadurch gewonnen, dass sie FamilienauftrÇge erfÄllt haben. Sie haben frÄh Verantwortung<br />

Äbernommen, waren kleine Erwachsene. Sie funktionierten. Jetzt entfÇllt die i<strong>den</strong>titÇtsstiftende<br />

BerufstÇtigkeit, die viele Jahre maÑgeblich war, und es gibt eine Form der Leere.<br />

Die Fragen „Wie geht es weiter?“, „Wie viel Lebenszeit habe ich noch?“, „Was habe ich weitergegeben?“<br />

tauchen auf. Zudem fangen Çltere Menschen unabhÇngig vom Krieg an, sich mit<br />

ihrer Familiengeschichte zu befassen. Es gibt im Alter also eine zweite Chance der Verarbeitung,<br />

doch es ist eine bedrohliche, beunruhigende Chance.<br />

Wie ÄuÑert sich dies?<br />

Ein bis anderthalb Jahre nach dem Ausschei<strong>den</strong> aus dem Beruf wird man durch seine Vergangenheit<br />

eingeholt. Zum Beispiel, indem man entsprechende Filme sieht (wie „Dres<strong>den</strong>“, Anm.<br />

d. Red.), man hàrt GerÇusche von Bomben- und SirenenklÇngen, es tauchen Fernsehbilder<br />

auf, die <strong>Kinder</strong> in Krieg, Hunger und Not zeigen, man erzÇhlt sich untereinander – und plàtzlich<br />

merkt man, dass da etwas in die TrÇume einsickert. Es wer<strong>den</strong> Erinnerungen wach. Etwas<br />

wird wiederbelebt. Fachleute sprechen von Trauma-Aktivierung.<br />

AuÑerdem gibt es die Màglichkeit der sogenannten Retraumatisierung. Das ist eine erneute<br />

Traumatisierung, die, gemessen an der frÄheren, eine Bagatelle ist. Zum Beispiel wird man<br />

mit dem Auto angefahren, es wird einem die Handtasche weggerissen, man erleidet einen<br />

Unfall oder eine schwere Operation – und auf einmal ist alles von frÄher, das scheinbar so gut<br />

weggepackt war, wieder da. In aller Frische und IntensitÇt.<br />

Oder wenn die schÄtzen<strong>den</strong> und stabilisieren<strong>den</strong> Beziehungspersonen aus der Umwelt wegsterben.<br />

Das kànnen die MÄtter sein – wir beobachten immer wieder, dass etwa ein Jahr nach<br />

dem Tod der Mutter plàtzlich etwas aufbricht. Sie definiert dann nicht mehr die Geschichte<br />

der Familie, sondern der Betroffene wird selbst gezwungen, das zu machen. Oder aber, wenn<br />

zwei Kriegskinder geheiratet haben und einer von bei<strong>den</strong> stirbt oder <strong>den</strong> anderen verlÇsst. Das

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