Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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29.01.2013 Aufrufe

Diese Erinnerung kommt ihr, als sie einen Schluck Wasser trinkt, in einer bedrÄckenden Situation: Signora Freddo Die strenge Stimme der jungen, hochgewachsenen Frau riss sie aus ihren Gedanken. Ein FrÅsteln Öberzog ihre Haut und sie schaute auf den Regen, der gegen die Fenster peitschte. „Ich habe sie nicht zum Wassertrinken eingestellt!“ sagte die Frau. Ihr Gesicht war starr und kalt. Maria zuckte zusammen. Das Wasser hatte die Erinnerung auf ihrer Zunge geweckt, eine ihrer kostbarsten Erinnerungen. DreiÑig Jahre her und doch so warm und frisch, als brauche sie nur einen halben Schritt zu tun, um in ihrer Kindheitswelt zu stehen. Die Stimme der Frau, bei der sie putzte, hatte die TÖr zu dieser Welt zugeknallt. „Deutschland ist wie kaltes Wasser ohne Sonne“, dachte sie. Sie warf einen schnellen Blick auf ihren 2jÄhrigen Sohn, der still auf einem Hocker in der Ecke saÑ. Sie hatte ihn mitbringen mÖssen, weil er krank war und ihr Mann arbeitete. Als sie mit ihm kam und „Entschuldung“ stammelte, hatte die junge Frau sie konsterniert angeschaut, hatte mit dem Finger auf das fiebernde Kind gewiesen und hatte gesagt: „Setzen sie ihn in die StraÑenbahn und schicken sie ihn nach Hause, und Öberhaupt, was heiÑt hier „Entschuldung, lernen sie erst mal richtig Deutsch, wenn sie hier arbeiten wollen. Entschuldigung heiÑt das!“ Maria wollte ihr Kind nehmen und gehen, aber die junge Frau packte sie beim Arm und zog sie herein. Dann schob sie den Hocker in die KÖchenecke, setze den Kleinen unsanft darauf und sagte streng: „So, da bleibst du sitzen bis deine Mutter fertig ist.“ Als sie mit ihrem Sohn allein war, strich sie liebevoll Öber die schwarzen, dichten Haare des Kleinen und ging dann schnell zum SpÖlbecken, damit das Kind die TrÄnen der Wut, die ihr Öber die glatten Wangen liefen, nicht sehen musste. Ja, sie brauchten das Geld, sie brauchten jeden Cent und sie musste um jede Stelle froh sein, an der sie arbeiten konnte. Sie war arbeiten gewÅhnt und es gab kaum etwas, was sie ablehnte, aber die DemÖtigungen, die sie immer wieder erfuhr, schmerzten sie wie Pfeffer, den man in eine offene Wunde streut. Am schlimmsten war es, wenn sie ihr Kind nicht schÖtzen konnte. Sie drehte sich nicht um, weil sie die erstarrte kleine Gestalt in der Ecke nicht sehen wollte. Rinaldo war wie eine kleine Wildkatze. Maria war nicht zimperlich. Wenn er es zu doll trieb, klatschte sie ihm eins auf seinen kleinen, festen Po, ihre dunklen Augen funkelten sich an. Wenn er begriff, dass jetzt Ruhe zu sein hatte, lachte sie wieder mit ihm. Sie versuchte, schnell mit ihrer Arbeit fertig zu werden, nahm den Hocker mit dem Kind mit von einem Zimmer zum nÄchsten und als die Frau sagte, der Kleine habe in der KÖche zu bleiben, tat sie, als verstehe sie nicht, und arbeitete weiter. Sie verdiente 5 Euro weniger als sonst fÖr die gleiche Zeit, weil sie ja, wie die Frau sagte, sich um das Kind habe kÖmmern mÖssen. Sie schluckte, auch wenn sie es gewollt hÄtte, sie hatte keine Worte, um sich zu wehren. Sie hielt die kleine feste Hand Rinaldos in ihrer. Sie hatte zwei Kinder, was fÖr ein Schatz! Die andere schÖttelte den Kopf, als sie Maria lÄcheln sah und sagte mit ihrer kalten, abgehackten Sprache, wiederum mit erhobenen Zeigefinger: „Das kommt mir aber nicht noch mal vor!“ Das „Si, si Signora“ wurde vom Krachen der TÖr, die ins Schloss fiel, abgeschnitten. Ich lieÑ mir gern etwas von ihr erzÇhlen. Es faszinierte mich, mit welcher Leidenschaft sie Äber das Schmerzliche, aber auch Äber das Schàne sprach, alles baute sie zusammen, nie haftete sie lange an etwas. Im Licht ihrer Aufmerksamkeit fing alles an zu leuchten und als sie starb, schien mir ihr Lebenshaus bedeutsam. Oft war ich in ihm zu Gast und es ist nun ein StÄck meiner Erinnerung. 36

Viele Menschen haben das Erinnern wenig geÄbt. Als Maria noch klein war, saÑen die Frauen abends zusammen auf der StraÑe mit ihrer Arbeit und erzÇhlten sich etwas vom Tag. Eine solche tÇgliche ErinnerungsÄbung haben wir nicht mehr. Unsere Abende sind Äber das Fernsehen gefÄllt mit noch mehr Informationen, manchmal bis uns die Augen zufallen. Wo ist der Raum, in dem es Platz gibt fÄr das am Tag Erfahrene? Wo kann die WÄrdigung des Tagesgeschehens stattfinden, damit wir unsere Dankbarkeit fÄr das Empfangene Äben kànnen oder wo wir uns im ErzÇhlen das MitgefÄhl der Zuhàrenden als StÄtze holen oder, wenn uns etwas bedrÄckt, als Hilfe, wenn wir Erlittenes nicht verstehen kànnen? Reich sind nicht die, die Anerkennung, Bedeutung, Ruhm, Ehre und Besitz haben am Ende ihres Lebens, sondern die, die all das, was ihnen begegnet ist, wie Bausteine fÄr ihr Erinnerungshaus genutzt haben, dann kann es, wie bei Christine und Maria, ein groÑes und weites sein, in dem man gern zu Gast ist, denn die Bedeutung unseres Lebens- und Erinnerungshauses geben wir ihm selbst. Wer bewusst den letzten Stein einbaut mit dem letzten Atemzug, kann leicht gehen, sein Haus ist vollendet. 37

Diese Erinnerung kommt ihr, als sie einen Schluck Wasser trinkt, in einer bedrÄcken<strong>den</strong> Situation:<br />

Signora Freddo<br />

Die strenge Stimme der jungen, hochgewachsenen Frau riss sie aus ihren Gedanken. Ein FrÅsteln<br />

Öberzog ihre Haut und sie schaute auf <strong>den</strong> Regen, der gegen die Fenster peitschte.<br />

„Ich habe sie nicht zum Wassertrinken eingestellt!“ sagte die Frau. Ihr Gesicht war starr und<br />

kalt. Maria zuckte zusammen. Das Wasser hatte die Erinnerung auf ihrer Zunge geweckt, eine<br />

ihrer kostbarsten Erinnerungen. DreiÑig Jahre her und doch so warm und frisch, als brauche<br />

sie nur einen halben Schritt zu tun, um in ihrer Kindheitswelt zu stehen. Die Stimme der Frau,<br />

bei der sie putzte, hatte die TÖr zu dieser Welt zugeknallt. „Deutschland ist wie kaltes Wasser<br />

ohne Sonne“, dachte sie. Sie warf einen schnellen Blick auf ihren 2jÄhrigen Sohn, der still auf<br />

einem Hocker in der Ecke saÑ. Sie hatte ihn mitbringen mÖssen, weil er krank war und ihr<br />

Mann arbeitete. Als sie mit ihm kam und „Entschuldung“ stammelte, hatte die junge Frau sie<br />

konsterniert angeschaut, hatte mit dem Finger auf das fiebernde Kind gewiesen und hatte<br />

gesagt: „Setzen sie ihn in die StraÑenbahn und schicken sie ihn nach Hause, und Öberhaupt,<br />

was heiÑt hier „Entschuldung, lernen sie erst mal richtig Deutsch, wenn sie hier arbeiten wollen.<br />

Entschuldigung heiÑt das!“<br />

Maria wollte ihr Kind nehmen und gehen, aber die junge Frau packte sie beim Arm und zog<br />

sie herein. Dann schob sie <strong>den</strong> Hocker in die KÖchenecke, setze <strong>den</strong> Kleinen unsanft darauf<br />

und sagte streng: „So, da bleibst du sitzen bis deine Mutter fertig ist.“<br />

Als sie mit ihrem Sohn allein war, strich sie liebevoll Öber die schwarzen, dichten Haare des<br />

Kleinen und ging dann schnell zum SpÖlbecken, damit das Kind die TrÄnen der Wut, die ihr<br />

Öber die glatten Wangen liefen, nicht sehen musste. Ja, sie brauchten das Geld, sie brauchten<br />

je<strong>den</strong> Cent und sie musste um jede Stelle froh sein, an der sie arbeiten konnte. Sie war arbeiten<br />

gewÅhnt und es gab kaum etwas, was sie ablehnte, aber die DemÖtigungen, die sie immer<br />

wieder erfuhr, schmerzten sie wie Pfeffer, <strong>den</strong> man in eine offene Wunde streut. Am schlimmsten<br />

war es, wenn sie ihr Kind nicht schÖtzen konnte. Sie drehte sich nicht um, weil sie die<br />

erstarrte kleine Gestalt in der Ecke nicht sehen wollte. Rinaldo war wie eine kleine Wildkatze.<br />

Maria war nicht zimperlich. Wenn er es zu doll trieb, klatschte sie ihm eins auf seinen kleinen,<br />

festen Po, ihre dunklen Augen funkelten sich an. Wenn er begriff, dass jetzt Ruhe zu sein hatte,<br />

lachte sie wieder mit ihm.<br />

Sie versuchte, schnell mit ihrer Arbeit fertig zu wer<strong>den</strong>, nahm <strong>den</strong> Hocker mit dem Kind mit<br />

von einem Zimmer zum nÄchsten und als die Frau sagte, der Kleine habe in der KÖche zu<br />

bleiben, tat sie, als verstehe sie nicht, und arbeitete weiter.<br />

Sie verdiente 5 Euro weniger als sonst fÖr die gleiche Zeit, weil sie ja, wie die Frau sagte,<br />

sich um das Kind habe kÖmmern mÖssen. Sie schluckte, auch wenn sie es gewollt hÄtte, sie<br />

hatte keine Worte, um sich zu wehren.<br />

Sie hielt die kleine feste Hand Rinaldos in ihrer. Sie hatte zwei <strong>Kinder</strong>, was fÖr ein Schatz!<br />

Die andere schÖttelte <strong>den</strong> Kopf, als sie Maria lÄcheln sah und sagte mit ihrer kalten, abgehackten<br />

Sprache, wiederum mit erhobenen Zeigefinger: „Das kommt mir aber nicht noch mal<br />

vor!“ Das „Si, si Signora“ wurde vom Krachen der TÖr, die ins Schloss fiel, abgeschnitten.<br />

Ich lieÑ mir gern etwas von ihr erzÇhlen. Es faszinierte mich, mit welcher Lei<strong>den</strong>schaft sie<br />

Äber das Schmerzliche, aber auch Äber das Schàne sprach, alles baute sie zusammen, nie haftete<br />

sie lange an etwas. Im Licht ihrer Aufmerksamkeit fing alles an zu leuchten und als sie<br />

starb, schien mir ihr Lebenshaus bedeutsam. Oft war ich in ihm zu Gast und es ist nun ein<br />

StÄck meiner Erinnerung.<br />

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