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Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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lockern. Ihr Wienerisch machte Christine gute Laune und manchmal weinte sie auch mit dem<br />

verzweifelten Kind.<br />

Dass ihre KorkstÄckchen jetzt ihren Lebensweg an bei<strong>den</strong> Seiten sÇumten, war ein gutes<br />

Sinnbild fÄr ihre Beziehung.<br />

Aber auch alle anderen SammelstÄcke stan<strong>den</strong> fÄr kostbare Erinnerungen: Da gab es Steine,<br />

die das Kind von seinen wenigen Kurzreisen mitgebracht und bemalt hatte. Jeder Stein reprÇsentierte<br />

ein StÄck Lebensgeschichte, die sie mir nach und nach erzÇhlte. Es gab auch ein<br />

kleines japanisches Schirmchen, das <strong>den</strong> letzten Eisbecher im Sommer vor zwei Jahren gekrànt<br />

hatte, als ihre Mutter und sie in dem kleinen Lokal neben ihrem Schrebergarten sich<br />

miteinander Witzfiguren ausgedacht hatten. Eigentlich war sie im Krankenhaus gewesen, aber<br />

man hatte sie auf ihr Bitten hin fÄr einige Stun<strong>den</strong> beurlaubt. Und so war es dann auch gewesen:<br />

wie im Urlaub.<br />

Aber es gab auch zwei Katzen: eine gràÑere schwarz-weiÑe und eine kleinere schwarze.<br />

Das hatte etwas mit uns bei<strong>den</strong> zu tun. Ich hatte zu der Zeit einen witzigen, kleinen schwarzen<br />

Kater. Sie liebte es, wenn ich ihr seine Streiche als Comic zeichnete, und wÄnschte sich auch<br />

sehnlichst eine Katze. Sie bekam ein kleines schwarz-weiÑes KÇtzchen, das ihre ganze Freude<br />

war. Von da an erzÇhlten wir uns gegenseitig unsere Katzengeschichten. Ihr groÑer Wunsch<br />

war, dass beide einmal Junge zusammen haben sollten. „Dann bleibt doch etwas von uns,<br />

wenn ich tot bin“, sagte sie.<br />

So ging es weiter: Winzig kleine StrohblÄmchen stan<strong>den</strong> fÄr glÄckliche Tage, und eine gelbangemalte<br />

Streichholzschachtel war das Haus eines kleinen, geschnitzten HolzhÇschens, eine<br />

Erinnerung an ihre geliebte GroÑmutter, die oft an ihrem Krankenbett gesessen hatte, um ihr<br />

Geschichten zu erzÇhlen und ihr vorzusingen. Sie war zwei Jahre zuvor gestorben, kurz nach<br />

dem Tod des GroÑvaters, an <strong>den</strong> eine silberne Blume erinnerte, die am Haus, das auf der<br />

Grenze stand, wuchs. Im gelben HÇuschen des Holzhasen, er war sozusagen zu einem WÇchter<br />

gewor<strong>den</strong>, war eine âberraschung fÄr mich. Ich sollte es àffnen, wenn ich traurig sei, sagte<br />

sie, es solle mich tràsten. SpÇter fand ich darin einen winzigen Baum mit 15 Åpfeln, die Zahl<br />

ihrer Lebensjahre. Sie hatte ihn aus Fimo fÄr mich gemacht. Er tràstet mich noch immer. Sie<br />

ist jetzt 15 Jahre tot.<br />

Im oberen Drittel des Bildes hat sie horizontal einen Zaun aus abgebrannten Streichhàlzchen<br />

vom letzten Weihnachtsfest gemacht. In diesen Zaun integriert ist das rote Haus mit der geschlossenen<br />

TÄr. Neben ihr zwei Fenster mit silbernen Gardinen. Gold und Silber sind Farben,<br />

die auch Transzen<strong>den</strong>z reprÇsentieren. Sie war ja noch nicht tot, als sie das Bild machte,<br />

aber es war ihr Durchgang zu einer anderen Welt, ihr Lebensweg war an der geschlossenen<br />

TÄr zu Ende. Sie wÄrde sich àffnen, wenn es soweit war.<br />

Auch ein groÑer, ausla<strong>den</strong>der Baum war in <strong>den</strong> Zaun integriert, als gehàre er zu bei<strong>den</strong> Welten.<br />

Seine BlÇtter waren bunt, in verschie<strong>den</strong>en Farben, aber sie hatte auch die kleinen, silbernen<br />

und gol<strong>den</strong>en Deckel ihrer MedikamentenflÇschchen mit aufgeklebt.<br />

Als sie mir zu Weihnachten dieses schàne Bild schenkte, was so viel Lebensfreude ausstrahlte,<br />

habe ich mich gefragt, wie sie schaffen konnte, es herzustellen. Sie hatte kaum mehr Kraft,<br />

<strong>den</strong>n das Atmen selbst war fÄr sie eine groÑe Anstrengung. „Es schien als gÇbe ihr die Erinnerung<br />

alles Schànen in ihrem Leben, die Kraft die sie brauchte“, sagte ihre Mutter, „und es war<br />

ihr ungeheuer wichtig, dass auch das Schàne in ihrem Leben auf diese Weise sichtbar gemacht<br />

wurde.“<br />

Ich erinnerte mich, wie oft sie wÄtend sagte: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand mich<br />

so tragisch, traurig anschaut und sagt: „Ach, was hast du fÄr ein schweres Leben, als gÇbe es<br />

nichts Schànes darin!“<br />

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