Kinder_erleben_den_T.. - Peter Godzik

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29.01.2013 Aufrufe

senen Kinderarzt hatten, der ganz andere Therapieziele hatte als die Eltern. Die Eltern waren beschÇftigt mit dem Thema „Wie wird mein Kind sterben? Wann wird es sterben und kann es wÄrdevoll sein?“ Der Kinderarzt war beschÇftigt mit dem Thema „Wir mÄssen Schienen anpassen.“ Die Mutter sagte: „Mein Kind wird nicht Laufen lernen.“ Der Kinderarzt sagte: „Sie mÄssen eine antibiotische Therapie machen lassen“ und die Mutter sagte: „Muss ich das? Und wenn ja, warum?“ Die Ångste der Eltern waren da und immer wieder gab es Probleme in der Kommunikation mit der Krankenkasse Äber die UnterstÄtzungsmàglichkeiten. In dieser Situation war ein Erwachsenenhospizdienst – es gab auf dem Land dort keinen Kinderhospizdienst – eine wunderbare UnterstÄtzung fÄr die Eltern. Am Schluss dieses Vortrags màchte ich betonen, was ich in diesen zwei Jahren am meisten schÇtzen gelernt habe: Wie wichtig es ist, wahrzunehmen, dass es eine nonverbale Kommunikation gibt, nicht nur unter uns sondern vor allen Dingen auch zwischen schwerstkranken, schwerstbehinderten Kindern und ihren Eltern. Wir mÄssen sie wahrnehmen und achten. Da ist Kilian, eine Woche vor seinem Tod. Es ist der Junge, den ich gerade beschrieben habe. Dieses Foto (PowerPoint-PrÇsentation, S. 25) zeigt wunderbar, dass es eine Kommunikation zwischen diesem sprachlosen, stimmlosen, gehàrlosen und blinden schwerstbehinderten Jungen und seiner Mutter gibt. Ich màchte Ihnen die Karte vorlesen, die die Eltern geschrieben haben zu seinem zweiten Geburtstag, den er nicht mehr erlebt hat. Die Eltern wissen, dass ich die Karte vorlese und das Foto zeige und sie freuen sich, weil dann fÄr sie Kilian ein StÄck weiter lebt. 28 Stille Erinnerungen an Kilian zum zweiten Geburtstag. Am 22. Februar 2005 wÄre Kilian zwei Jahre alt geworden, andere Wege waren bestimmt fÖr ihn, fÖr uns. Der Tag, an dem Kilian zur Welt kam, war sonnig und kalt. Alles war mit Schnee bedeckt und wir waren unendlich glÖcklich. WÖnsche, Erwartungen, Hoffnungen, TrÄume, soviel davon war in uns, doch all das zerbrach und unsere Welt verschwand in einem Nebel aus Schmerz, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Wut. Die Zeit, die wir mit Kilian verbringen durften, hat uns viel gelehrt und heute wissen wir, nicht wir haben ihn begleitet, sondern er hat uns begleitet in ein anderes Bewusstsein, in eine unendliche Liebe. Seine Stille war so laut. Seine Bewegungslosigkeit hat bewegt. Seine kurze Lebenszeit intensiv gelebt und doch dieser immerwÄhrende Schmerz, denn er fehlt. Er fehlt in jedem Lachen, in jedem Weinen, in jedem Sonnenstrahl, in jedem Regenschauer, in jedem Augenblick. Er fehlt uns in unserem Leben und nun ist er das, was er von Anfang an war und immer sein wird, ein Engel. Martin und Tanja mit Kilian im Herzen. Letztes Jahr im November hat dieses Paar sein zweites Kind getauft, und zwar am Todestag von Kilian. Sie haben in einer kleinen Kapelle in einem bayerischen Dorf die Trauerfeier fÄr Kilian und die Taufe in eine Feier gepackt, und 150 Menschen tummelten sich in dieser kleinen Kapelle, und was keiner der Anwesenden wusste, sie haben sich trauen lassen. WÇhrend einer unserer letzten Schulungen, die ziemlich zeitgleich mit der Endphase von Maurice stattfand, hat eine erfahrene Kinderkrankenschwester in der Pause zu mir gesagt: „Frau Duroux, bei dem, was Sie machen, haben Sie doch gar keine Freude am Leben. Sie wirken so deprimiert und traurig.“ Ich hoffe nicht, dass ich heute so auf Sie gewirkt habe, denn das bin ich ganz und gar nicht. Vielen Dank.

Elisabeth Wellendorf Die Bedeutung der Erinnerung im Sterbeprozess Eine 15jÇhrige Patientin schenkte mir drei Monate vor ihrem Tod ein Bild. Monatelang hatte sie daran gesessen, denn sie hatte nur noch wenig Kraft, aber wÇhrend sie es machte, war sie noch einmal ihr von auÑen gesehen kurzes, schweres Leben durchgegangen. Auf ihrem Bild stellte es sich als Garten dar in leuchtenden Farben. Hatte sie das Schwere verdrÇngt, hatte sie ihr Leben idealisiert? Das kànnte man im ersten Augenblick denken, denn sie war seit ihrer Geburt chronisch krank gewesen. Die Krankheit hatte ihr Leben immer mehr eingeschrÇnkt und setzte ihm, als sie 15 Jahre alt war, ein Ende. Ich hatte sie die letzten Jahre ihres Lebens begleiten kànnen, hatte ihre EinbrÄche und die Verzweiflung, die sie in ihr auslàsten, miterlebt, und auÑerdem ihr intensives Ringen darum, ihr immer wieder noch weiter eingeschrÇnktes Leben mit seinen verbliebenen Màglichkeiten zu nutzen. Christine war ein zartes, fast elfenartiges Geschàpf, dichtes, langes und schwarzes Haar umrahmte ihr blasses Gesicht mit den groÑen, dunklen Augen, die jeden Fremden funkelnd auf Distanz hielten, der sich ihr ungebeten nÇherte. Nicht nur ihr Kàrper war zart, offenbar auch ihre Seele. Die tÇglichen Unachtsamkeiten der gestressten Årzte und Schwestern verletzten sie. Sie schÄtzte sich durch Unnahbarkeit. Als ich sie zu Anfang unserer Beziehung fragte, wie es ihr ginge, schleuderte sie mir ein „gut“ entgegen, das mich irritierte, denn sie bekam kaum Luft und es ging ihr offensichtlich schlecht. Als ich sie spÇter fragte, warum sie „gut“ sage, wenn das nicht ihrem Zustand entsprÇche, sagte sie: „Warte mal einen Augenblick“. Vor der TÄr standen Årzte zur Visite. Als sie hereinkamen, sagte der Chef: „Nun, wie geht es uns heute?“ Schon schoss das „gut“ aus ihrem Mund. „Schàn“, sagte der Arzt und sprach weiter mit den Kollegen die Akte durch mit den miserablen Werten. Als sie gegangen waren, sagte sie: „Hast du verstanden? ‚Gut’ ist das kÄrzeste Wort und das einzige, was sie hàren wollen, also sage ich es.“ In ihrer Gegenwart wurde ich immer aufmerksamer fÄr das, was sie verletzte. Aber entsprechend offen war sie auch fÄr Schànes, was ihr begegnete. WÇhrend der Arbeit an ihrem Bild war sie mit einem Netz der Aufmerksamkeit durch ihr Leben gegangen und hatte nach Erinnerungen gefischt. Die krÇnkenden und bedrÄckenden Episoden waren offenbar nicht darin hÇngengeblieben. Das andere war in ihrer liebevollen Wahrnehmung groÑ geworden und brachte ihr einen reichen Fang ein. Das Bild kànnte man als ihren Lebensgarten bezeichnen, d. h. genaugenommen nur die unteren zwei Drittel, denn das obere Drittel scheint durch einen Zaun, ein in ihn integriertes Haus und einen groÑen Baum vom unteren Teil separiert zu sein. Hinter dem Zaun deuten getrocknete Farne eine andere Landschaft an. Im vorderen Teil sieht man einen krÇftigen, grÄnen Rasen. Vom unteren Bildrand windet sich ein Weg bis zur verschlossenen TÄr des Hauses. Der Weg ist mit kleinen Steinchen belegt, die Christine einmal vom Balkon ihrer Tante mitgenommen hat, die sie sehr gern hat. Sie erinnert sich an Sommerabende, an denen die Tante ein kleines Fest mit Lampions und Ballons fÄr ihre Nichte auf den Balkon arrangierte, nur fÄr sie beide! Christines Augen strahlten, als sie mir davon erzÇhlte. Der Rand des Weges ist gesÇumt von kleinen KorkstÄcken, die ihre Krankengymnastin ihr einmal mitgebracht hatte, weil sie ihre âbungen so gut mitgemacht hatte. Diese junge Frau war immer fÄr sie da, massierte sie, wiegte sie in einer HÇngematte, wenn sie nicht mehr konnte, oder klopfte ihren Brustkorb, um den zÇhen Schleim in ihrer Lunge zu 29

Elisabeth Wellendorf<br />

Die Bedeutung der Erinnerung im Sterbeprozess<br />

Eine 15jÇhrige Patientin schenkte mir drei Monate vor ihrem Tod ein Bild. Monatelang hatte<br />

sie daran gesessen, <strong>den</strong>n sie hatte nur noch wenig Kraft, aber wÇhrend sie es machte, war sie<br />

noch einmal ihr von auÑen gesehen kurzes, schweres Leben durchgegangen. Auf ihrem Bild<br />

stellte es sich als Garten dar in leuchten<strong>den</strong> Farben. Hatte sie das Schwere verdrÇngt, hatte sie<br />

ihr Leben idealisiert? Das kànnte man im ersten Augenblick <strong>den</strong>ken, <strong>den</strong>n sie war seit ihrer<br />

Geburt chronisch krank gewesen. Die Krankheit hatte ihr Leben immer mehr eingeschrÇnkt<br />

und setzte ihm, als sie 15 Jahre alt war, ein Ende. Ich hatte sie die letzten Jahre ihres Lebens<br />

begleiten kànnen, hatte ihre EinbrÄche und die Verzweiflung, die sie in ihr auslàsten, miterlebt,<br />

und auÑerdem ihr intensives Ringen darum, ihr immer wieder noch weiter eingeschrÇnktes<br />

Leben mit seinen verbliebenen Màglichkeiten zu nutzen.<br />

Christine war ein zartes, fast elfenartiges Geschàpf, dichtes, langes und schwarzes Haar umrahmte<br />

ihr blasses Gesicht mit <strong>den</strong> groÑen, dunklen Augen, die je<strong>den</strong> Frem<strong>den</strong> funkelnd auf<br />

Distanz hielten, der sich ihr ungebeten nÇherte.<br />

Nicht nur ihr Kàrper war zart, offenbar auch ihre Seele. Die tÇglichen Unachtsamkeiten der<br />

gestressten Årzte und Schwestern verletzten sie. Sie schÄtzte sich durch Unnahbarkeit. Als ich<br />

sie zu Anfang unserer Beziehung fragte, wie es ihr ginge, schleuderte sie mir ein „gut“ entgegen,<br />

das mich irritierte, <strong>den</strong>n sie bekam kaum Luft und es ging ihr offensichtlich schlecht. Als<br />

ich sie spÇter fragte, warum sie „gut“ sage, wenn das nicht ihrem Zustand entsprÇche, sagte<br />

sie: „Warte mal einen Augenblick“. Vor der TÄr stan<strong>den</strong> Årzte zur Visite. Als sie hereinkamen,<br />

sagte der Chef: „Nun, wie geht es uns heute?“ Schon schoss das „gut“ aus ihrem Mund.<br />

„Schàn“, sagte der Arzt und sprach weiter mit <strong>den</strong> Kollegen die Akte durch mit <strong>den</strong> miserablen<br />

Werten.<br />

Als sie gegangen waren, sagte sie: „Hast du verstan<strong>den</strong>? ‚Gut’ ist das kÄrzeste Wort und das<br />

einzige, was sie hàren wollen, also sage ich es.“ In ihrer Gegenwart wurde ich immer aufmerksamer<br />

fÄr das, was sie verletzte.<br />

Aber entsprechend offen war sie auch fÄr Schànes, was ihr begegnete.<br />

WÇhrend der Arbeit an ihrem Bild war sie mit einem Netz der Aufmerksamkeit durch ihr Leben<br />

gegangen und hatte nach Erinnerungen gefischt. Die krÇnken<strong>den</strong> und bedrÄcken<strong>den</strong> Episo<strong>den</strong><br />

waren offenbar nicht darin hÇngengeblieben. Das andere war in ihrer liebevollen Wahrnehmung<br />

groÑ gewor<strong>den</strong> und brachte ihr einen reichen Fang ein.<br />

Das Bild kànnte man als ihren Lebensgarten bezeichnen, d. h. genaugenommen nur die unteren<br />

zwei Drittel, <strong>den</strong>n das obere Drittel scheint durch einen Zaun, ein in ihn integriertes Haus<br />

und einen groÑen Baum vom unteren Teil separiert zu sein.<br />

Hinter dem Zaun deuten getrocknete Farne eine andere Landschaft an.<br />

Im vorderen Teil sieht man einen krÇftigen, grÄnen Rasen. Vom unteren Bildrand windet sich<br />

ein Weg bis zur verschlossenen TÄr des Hauses. Der Weg ist mit kleinen Steinchen belegt, die<br />

Christine einmal vom Balkon ihrer Tante mitgenommen hat, die sie sehr gern hat. Sie erinnert<br />

sich an Sommerabende, an <strong>den</strong>en die Tante ein kleines Fest mit Lampions und Ballons fÄr<br />

ihre Nichte auf <strong>den</strong> Balkon arrangierte, nur fÄr sie beide! Christines Augen strahlten, als sie<br />

mir davon erzÇhlte. Der Rand des Weges ist gesÇumt von kleinen KorkstÄcken, die ihre Krankengymnastin<br />

ihr einmal mitgebracht hatte, weil sie ihre âbungen so gut mitgemacht hatte.<br />

Diese junge Frau war immer fÄr sie da, massierte sie, wiegte sie in einer HÇngematte, wenn<br />

sie nicht mehr konnte, oder klopfte ihren Brustkorb, um <strong>den</strong> zÇhen Schleim in ihrer Lunge zu<br />

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