Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman

Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman

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29.01.2013 Aufrufe

sensibel um zu glauben, 1977 sei nun alles in Ordnung, man könne die Vergangenheit vergessen. Tiefe Verstimmungen sind geblieben. Über die Jahre hatte Ingrid versucht, ihre Seele zu erleichtern, die Vergangenheit neu zu ordnen – aber der Schmerz blieb, nagend und quälend für beide. Hier nun kam die Gelegenheit, auf die Ingrid Bergman gewartet hatte. In ihrer Kunst, mit dem stärksten Mittel, das ihr zur Verfügung stand, wollte sie konfrontieren, gestehen, Vergebung suchen. So würde die tiefste Wunde ihrer Seele der Welt für immer offenbart. Sie würde zu guter Letzt – nach 43 Filmjahren – nicht nur eine Rolle spielen, sondern diese Rolle sein. Wie sie schon oft gesagt hatte, war die Welt voll von ungesühnter Schuld: konnte sie nicht ihre eigene Schuld mindern, die sie durch den Schmerz auf sich geladen hatte, den sie andern – nicht aus Bosheit, sondern aus Egoismus – zugefügt hatte? Sie konnte nichts anderes tun. Weltweit riefen die Menschen nach der Befreiung der Frau – aber war am Ende nicht die einzig wesentliche Befreiung die, welche von innen kam? Letztlich war es durch ihre Kunst, dass sie hinter die Wahrheit kam. "Ich fühlte mich immer schuldig – mein ganzes Leben lang schuldig für meine Abwesenheiten während meine Tochter aufwuchs. Das Wichtigste für mich war die Arbeit. Das ist vielleicht egoistisch. Meine Kinder und ich, wir verstehen uns nun, da sie erwachsen sind, aber ich weiss, dass sie mich während Jahren zuhause vermisst haben." Sie mag die Wirkung ihrer Abwesenheiten auf ihre Kinder überschätzt haben. Aber es war ihr Gefühl von Reue, das letztlich so tief ging. Mit dieser Last wollte sie nicht sterben. SO GESCHAH ES, als Ingrid in der folgenden Woche zur Arbeit zurückkehrte, dass sie einige Vorschläge zu machen hatte. Ingmar atmete tief durch und setzte sich, in Erwartung einer unmöglichen Diskussion, die das ganze Projekt womöglich zu Fall brachte. Ingrid habe einige ihrer Dialoge verschärft, sagte sie; sie habe einen tiefen Blick in ihre Seele geworfen, 582

um den Sinn der dunkeln Nacht im Script besser zu veranschaulichen. Sie fragte sanft aber bestimmt, ob Ingmar bereit wäre, ihre Vorschläge in Erwägung zu ziehen? Das war er – und er war erstaunt. Charlotte war jetzt mehr Charlotte, weil sie mehr Ingrid war. Die Zeit der Trennung von Mutter und Tochter müsse 7 Jahre betragen, sagte Ingrid (sie war von Pia von 1949 bis 1951 getrennt, und dann wieder von 1951 bis 1957). Und zu Charlottes Karriere: die müsse 45 Jahre dauern, ja (Ingrid sah den Beginn ihrer eigenen 1933 und "Herbstsonate" sollte 1978 herauskommen). Und anstelle von wiederholten, langen, manchmal ziellosen Dialogen müssten ätzende, schreckliche Eingeständnisse von Charlotte treten: "Ein schuldiges Gewissen – immer ein schuldiges Gewissen?" sinniert sie, und später (zu Eva), "Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen weil ich dich und Papa alleingelassen habe." An dieser Stelle des Scripts, schlug Ingrid vor, müsse ein Konzert in Los Angeles erwähnt werden; und an jener Stelle, warum könne Eva nicht Journalistin sein (wie Pia)? Und Charlotte müsse nervös quasseln – über ihre Kleider, ihr Haar, ihre Konzerttermine – und das Zentrum eines Wirbelwinds sein. "Würde sie mehr schlafen", sagt Eva, "würde sie alle durch die Mühle drehen – Schlaflosigkeit ist das Mittel der Natur, mit ihrer überschüssigen Energie fertig zu werden!" Das war Ingrid Bergman persönlich. Auf Ingrids Antrag gab Ingmar Liv eine schrecklich schmerzliche Aussage zu machen, die direkt von den Lippen von Ingrids eigener Tochter hätte kommen können: "Ich weiss nicht, was ich mehr hasste – wenn du zuhause oder wenn du auf Tour warst. Ich realisiere heute, dass du Papas und mein Leben zur Hölle gemacht hast. Du hast ihn betrogen. Ich war deine Puppe, mit der du spieltest, wenn du die Zeit dazu hattest. Ja, du warst immer nett, aber im Geist warst du anderwo." Aber den grössten Beitrag zum Film lieferte nicht ein spezieller Text oder eine umgestaltete Szene. Es war Ingrid 583

sensibel um zu glauben, 1977 sei nun alles in Ordnung, man<br />

könne die Vergangenheit vergessen. Tiefe Verstimmungen sind<br />

geblieben. Über die Jahre hatte <strong>Ingrid</strong> versucht, ihre Seele zu<br />

erleichtern, die Vergangenheit neu zu ordnen – aber der<br />

Schmerz blieb, nagend und quälend für beide.<br />

Hier nun kam die Gelegenheit, auf die <strong>Ingrid</strong> <strong>Bergman</strong><br />

gewartet hatte. In ihrer Kunst, mit dem stärksten Mittel, das<br />

ihr zur Verfügung stand, wollte sie konfrontieren, gestehen,<br />

Vergebung suchen. So würde die tiefste Wunde ihrer Seele der<br />

Welt für immer offenbart. Sie würde zu guter Letzt – nach 43<br />

Filmjahren – nicht nur eine Rolle spielen, sondern diese Rolle<br />

sein. Wie sie schon oft gesagt hatte, war die Welt voll von ungesühnter<br />

Schuld: konnte sie nicht ihre eigene Schuld mindern,<br />

die sie durch den Schmerz auf sich geladen hatte, den<br />

sie andern – nicht aus Bosheit, sondern aus Egoismus – zugefügt<br />

hatte?<br />

Sie konnte nichts anderes <strong>tu</strong>n. Weltweit riefen die Menschen<br />

nach der Befreiung der Frau – aber war am Ende nicht<br />

die einzig wesentliche Befreiung die, welche von innen kam?<br />

Letztlich war es durch ihre Kunst, dass sie hinter die Wahrheit<br />

kam. "Ich fühlte mich immer schuldig – mein ganzes Leben<br />

lang schuldig für meine Abwesenheiten während meine Tochter<br />

aufwuchs. Das Wichtigste für mich war die Arbeit. Das ist vielleicht<br />

egoistisch. Meine Kinder und ich, wir verstehen uns nun,<br />

da sie erwachsen sind, aber ich weiss, dass sie mich während<br />

Jahren zuhause vermisst haben." Sie mag die Wirkung ihrer<br />

Abwesenheiten auf ihre Kinder überschätzt haben. Aber es war<br />

ihr Gefühl von Reue, das letztlich so tief ging. Mit dieser Last<br />

wollte sie nicht sterben.<br />

SO GESCHAH ES, <strong>als</strong> <strong>Ingrid</strong> in der folgenden Woche zur<br />

Arbeit zurückkehrte, dass sie einige Vorschläge zu machen<br />

hatte. Ingmar atmete tief durch und setzte sich, in Erwar<strong>tu</strong>ng<br />

einer unmöglichen Diskussion, die das ganze Projekt womöglich<br />

zu Fall brachte. <strong>Ingrid</strong> habe einige ihrer Dialoge verschärft,<br />

sagte sie; sie habe einen tiefen Blick in ihre Seele geworfen,<br />

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