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Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman

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sogar zu erlauben, auf ihren Lippen zu spielen, bevor sie sie<br />

aussprach.<br />

Sie beherrschte die Bühne, zum Beispiel wenn sie über<br />

das Publikum blickte – die Regieanweisung, vor- und zurück zu<br />

schreiten, missachtend – und mit Missbehagen sagte: "Das<br />

Leben muss ein endloses Abenteuer sein, sonst ist es nichts<br />

wert. Man muss seinen Horizont laufend erweitern mit neuen<br />

Erfahrungen, neuen Umgebungen, neuen Freunden. Das Einzige,<br />

was mich im Leben entsetzt, ist drohende Stagnation, Langeweile,<br />

Untätigkeit. Das nie, nie!" Und zur Verteidigung der<br />

unerwiderten Liebe, die besser sei, <strong>als</strong> gar keine Liebe, meinte<br />

sie sehr wehmütig: "Ich habe aus Liebe Dutzende Male geweint.<br />

Wir alle haben das. So ist das Leben." Ihr Tonfall war<br />

weder belehrend noch vage. Die gelassene Aufrichtigkeit ihrer<br />

Aussage betonte diese gefühlvoll – wie dies durch einen Anflug<br />

von Hoffnung und Reue auch im Falle ihres Sylvester-Toasts im<br />

zweiten Akt geschah:<br />

"Mitternacht! Sei gegrüsst und lebe wohl! Die Welt<br />

dreht sich, und unter dem Horizont, in der Dunkelheit,<br />

kommt der erste Tag des neuen Jahrs herauf, herauf<br />

ins Licht. Lasst mir meine Sentimentalität und Albernheit<br />

– ich kann nicht anders in der Sylvesternacht. Umsomehr<br />

<strong>als</strong> ich das Gefühl habe, unter guten Freunden<br />

zu sein. Möge das neue Jahr euch alle euern Herzenswünschen<br />

näherbringen. Mögen die, welche grosse Erwar<strong>tu</strong>ngen<br />

haben dürfen, nicht enttäuscht werden und<br />

mögen jene, die wenig haben, Zufriedenheit und Heiterkeit<br />

finden."<br />

Hatte das Publikum in dieser Saison leichte Komödie<br />

erwartet, war es vielleicht überrascht, in diesem nahezu vergessenen<br />

Stück einer sanften, ernsten Philosophie der Duldsamkeit<br />

zu begegnen, deren Kern in einer von Wendy Hillers<br />

grossen Szenen so bewegend zur Darstellung kam. Als Antwort<br />

auf die Klage, wonach das Leben unfair sei, erwidert sie mit<br />

unsentimentalem Mitgefühl: "Das Leben ist weder fair noch<br />

unfair, noch tragisch oder komisch oder was immer. Das Leben<br />

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