Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman

Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman

ingrid.bergman.ch
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29.01.2013 Aufrufe

für sie: sie hatte die Prüfung bestanden und sollte sich am nächsten Tag zur 2. Prüfung einfinden; die Experten hatten sie unterbrochen, weil sie sofort von Ingrids Talent und Potential überzeugt waren. So wurde der schlimmste Tag ihres bisherigen Lebens zum glücklichsten. Ihr zweimonatiges Studium begann sich in den folgenden Tagen bezahlt zu machen, denn nach ihrem Strindberg-Vortrag und der anschliessenden, extrem kontrastierenden und urkomischen Interpretation eines Bauernmädchens, das über Bäche springend seinem fliehenden Liebhaber nachsetzt, erhielt sie einen Platz im September-Semester. "Da sie in ihrer äusseren Erscheinung so sehr an ein Landmädchen erinnert" sagte einer ihrer Lehrer, "ist sie auch sehr natürlich und benötigt weder im Gesicht noch im Geist jedwelches Makeup." Eine schreckliche, weltweite Wirtschafts-Depression hielt die Welt im Herbst 1933 in Atem, aber für Schweden war das Schlimmste bereits vorbei, da seine Exporte von Eisen, Nähmaschinen, medizinischen und Dental-Instrumenten, Öfen, Dynamit und Papier hohe Preise erzielten. Ausserdem erreichte der Tourismus in diesem Jahr Rekordwerte. Durch die starke Verbreitung des Telefons und des Automobils, wie auch den rapiden Ausbau des nationalen Strassennetzes wuchsen Dörfer und Städte zusammen, und die wachsende Macht der Sozialdemokratie führte zu einer Reihe von sozialen Entwicklungen in Medizin, Schulwesen, Altersfürsorge und anderen Bereichen, von welchen jeder schwedische Bürger, ob jung oder alt, profitierte. (Präsident Roosevelts Wiederaufbau-Strategie war stark auf diese schwedischen Massnahmen ausgerichtet, die von amerikanischen Fachleuten in Schweden sehr genau studiert wurden.) Ausserdem hatte in Stockholm ein neuer Geist von Freiheit und Experimentierfreude Kunst, Handel und Industrie erfasst, und die Menschen empfanden das tägliche Leben als spannende Herausforderung. "Die Strassen waren einfach voll von gutgekleideten Leuten," erinnerte sich der Künstler Diet- 50

ich, dessen Karriere damals in Stockholm ihren Anfang nahm. "Die Läden platzten aus den Nähten und das Theater florierte. Es gab damals einen ganz speziellen Trend – das war die ungarische Csardas mit Zigeunerviolinen, und wo immer man sich gerade hinwandte, gab es ein Restaurant, das Goulasch anbot." Die Arbeitsmarktlage in Budapest war wesentlich schlechter als die in Schweden, was viele Arbeitnehmer nach Skandinavien trieb, und so wurden osteuropäische Musik, Tänze und Gerichte die Renner der Saison. Auch Ingrid erinnerte sich an die plötzliche Schwemme von ungarischen Cafés und Tschechischen Modeläden. Deren exotischer Reiz sprach vor allem die jungen Leute an, die eine buntere, kosmopolitischere Lebensart suchten, als was die gute, stabile schwedische Einfachheit zu bieten hatte. Aber Ingrid und ihre Kameradinnen hatten wenig Zeit, sich um trendige Kaffeehäuser und Bistros zu kümmern. Die Klassen an der Dramaten arbeiteten an sechs Tagen pro Woche, und nach einer einstündigen Pause am Abend standen die Studenten auf dem oberen Balkon, um die Abendvorstellungen zu verfolgen. Während der Saison 1933-1934 genossen sie ein reiches internationales Programm. Den Studenten war es aber untersagt, den Proben beizuwohnen, weshalb die Zugänge zum Auditorium stets verschlossen waren. Wie Ingrid Jahre später sagte, konnte eine Haarnadel dieses Problem aber lösen. Die Sonntage waren dann reserviert für die Lektüre der Anweisungen, Gedächtnistraining und Szenenstudium zuhause. Für ihre privaten Studien bevorzugte Ingrid die Sitzbänke dem Strandvägen entlang, oder dann die ruhigeren Bänke im Djurgården, einem Park mitten in der Stadt. Das Arbeitspensum war sehr intensiv. Da war die Theatergeschichte mit dem ernsten Professor Stig Torsslow, der sich an Ingrids Entschlossenheit und methodische Energie erinnerte; Fechtlehrer war der kurze, agile Robert Påhlman; Stimme und Diktion erteilte die stattlich-elegante Karin Alexandersson, die für Strindberg gespielt hatte, und Szenenstudium schliesslich erteilte die grosse Hilda Borgstöm, der Star von "Ingeborg Holm". Später am Tag eilten die Studenten zu 51

für sie: sie hatte die Prüfung bestanden und sollte sich am<br />

nächsten Tag zur 2. Prüfung einfinden; die Experten hatten sie<br />

unterbrochen, weil sie sofort von <strong>Ingrid</strong>s Talent und Potential<br />

überzeugt waren.<br />

So wurde der schlimmste Tag ihres bisherigen Lebens<br />

zum glücklichsten. Ihr zweimonatiges S<strong>tu</strong>dium begann sich in<br />

den folgenden Tagen bezahlt zu machen, denn nach ihrem<br />

Strindberg-Vortrag und der anschliessenden, extrem kontrastierenden<br />

und urkomischen Interpretation eines Bauernmädchens,<br />

das über Bäche springend seinem fliehenden Liebhaber<br />

nachsetzt, erhielt sie einen Platz im September-Semester. "Da<br />

sie in ihrer äusseren Erscheinung so sehr an ein Landmädchen<br />

erinnert" sagte einer ihrer Lehrer, "ist sie auch sehr natürlich<br />

und benötigt weder im Gesicht noch im Geist jedwelches Makeup."<br />

Eine schreckliche, weltweite Wirtschafts-Depression<br />

hielt die Welt im Herbst 1933 in Atem, aber für Schweden war<br />

das Schlimmste bereits vorbei, da seine Exporte von Eisen,<br />

Nähmaschinen, medizinischen und Dental-Instrumenten, Öfen,<br />

Dynamit und Papier hohe Preise erzielten. Ausserdem erreichte<br />

der Tourismus in diesem Jahr Rekordwerte. Durch die starke<br />

Verbrei<strong>tu</strong>ng des Telefons und des Autom<strong>ob</strong>ils, wie auch den<br />

rapiden Ausbau des nationalen Strassennetzes wuchsen Dörfer<br />

und Städte zusammen, und die wachsende Macht der Sozialdemokratie<br />

führte zu einer Reihe von sozialen Entwicklungen in<br />

Medizin, Schulwesen, Altersfürsorge und anderen Bereichen,<br />

von welchen jeder schwedische Bürger, <strong>ob</strong> jung oder alt, profitierte.<br />

(Präsident Roosevelts Wiederaufbau-Strategie war stark<br />

auf diese schwedischen Massnahmen ausgerichtet, die von<br />

amerikanischen Fachleuten in Schweden sehr genau s<strong>tu</strong>diert<br />

wurden.)<br />

Ausserdem hatte in Stockholm ein neuer Geist von Freiheit<br />

und Experimentierfreude Kunst, Handel und Industrie erfasst,<br />

und die Menschen empfanden das tägliche Leben <strong>als</strong><br />

spannende Herausforderung. "Die Strassen waren einfach voll<br />

von gutgekleideten Leuten," erinnerte sich der Künstler Diet-<br />

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