Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman
Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman Ingrid - tu als ob - Ingrid Bergman
Play": "Winde blasen und pfeifen, woe, woe, woe...". Die Mädchen konnten das Aufheulen des Winterwinds im Raum förmlich spüren, und niemand wunderte sich darüber, als Ingrid im Frühjahr 1925 mit ihren Vorträgen einen öffentlichen Wettbewerb gewann. Sten Selander, einer der Juroren, übergab ihr das Preiszertifikat mit den Worten: "Fräulein Bergman wird es ganz bestimmt noch weit bringen." Spät im August 1925, gerade als Ingrid von Tante Mutti aus Hamburg zurückgekehrt war, kam Justus in Stockholm an. Unter den Geschenken für seine Tochter faszinierte sie eine getrocknete kalifornische Orange am meisten, die sie während Jahren hütete. "Es war mein erster Kontakt mit Amerika, und ich fand es wundervoll." Kurz danach zogen sie in eine Dachwohnung an der Birger Jarlsgatan 34, einem sehr eleganten Gebäude im Geschäftsviertel. Papas Reise hatte ihn in seiner Musikleidenschaft bestärkt. Diesen Herbst setzte er seine Klavierübungen und seine Dirigierstunden fort, und er nahm Ingrid gleich mit in seine privaten Stimmbildungslektionen. Sie sei jetzt zehnjährig, sagte er, und ihre Zukunft sei klar: Sie werde eine grosse Operndiva. "Er nahm mich oft in die Oper mit, was mich langweilte", errinnerte sie sich später. Einige von Papas Heimfilmen zeigen Ingrid ab Noten singend, während Papa sie am Piano begleitet. Sie lächelt zwar in die Kamera, aber da ist nicht viel Begeisterung zu spüren; ihr Blick scheint ums Aufhören zu bitten. Aber um ihren Vater nicht zu enttäuschen, hielt sie damals eben still. Aber sie konnte ihr Entzücken nicht unterdrücken, als er sie zwei Monate nach ihrem Geburtstag im Herbst 1926 erstmals ins Königliche Dramatische Theater mitnahm. Sie borgte bei einer Kusine ein Kleid – kirschenrot, Papas Lieblingsfarbe – und bat Tante Ellen an jenem Nachmittag dreimal, es zu glätten. Ingrids früheste Erinnerungen an die Umgebung am Strandvägen waren bestimmt vom Bild des Theaters, das als Neubau 1908 fertiggestellt war und als eines der elegantesten 34
Bauwerke galt, in welchen das Drama gefeiert wurde. Papa und Greta machten sie auf den grossen äusseren Marmortreppenaufgang aufmerksam, auf die allegorischen Figuren der Kunst, auf die Dionysos-Friese und die Commedia dell’arte, die Statuen der Tragödie und der Komödie. Von ihrem Fenster aus konnte Ingrid Saison um Saison zusehen, wie festlich gekleidete Damen und Herren zu den Premieren eintrafen. Jetzt betrat sie selbst erstmals das Gebäude, Blick nach oben zu Carl Larssons Deckengemälde "Die Geburt des Dramas", einem Jugendstil-Meisterwerk, auf dem ein von einem dünnen Schleier bedecktes Mädchen von einer männlichen Figur mit dem Lorbeerkranz gekrönt wird – klar der kritische Geist, der in seiner andern Hand die gegenteilige Belohnung, das mörderische Schwert trägt. Dieser Herbstabend war bestimmend für Ingrids weiteres Leben. Das Stück hiess "Der Pöbel" von Hjalmar Bergman (der weder mit ihrer noch mit Pastor Bergmans Familie verwandt ist), einem zeitgenössischen Romanschriftsteller und Bühnenautor, bestens bekannt für die Darstellung der bittersten Abgründe des menschlichen Daseins, worum es auch in diesem Stück ging. Die Geschichte, die von einer notleidenden Familie handelte, die auf die Hilfe eines reichen jüdischen Verwandten angewiesen war, wurde als Komödie betitelt, aber die Handlung um Korruption und Heuchelei bot wenig Anlass zum Lachen. Aber was immer der Inhalt (oder der trendige antisemitische Unterton), die elfjährige Ingrid hatte das Theater entdeckt. "Ich traute meinen Augen nicht. Erwachsene Leute taten auf dieser Bühne genau das, was ich zuhause zu meinem eigenen Vergnügen tat. Und die wurden dafür bezahlt! Die lebten sogar davon! Ich konnte einfach nicht verstehen, wie diese Schauspieler dasselbe machten wie ich, eine Fantasiewelt erfinden, tun als ob und das Arbeit nennen! Bei der ersten Gelegenheit drehte ich mich zu meinem Vater und sagte ihm in meiner Aufregung, was vermutlich das ganze Theater mithörte: "Papa, Papa, DAS ist es, was ich tun werde!" 35
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Bauwerke galt, in welchen das Drama gefeiert wurde. Papa<br />
und Greta machten sie auf den grossen äusseren Marmortreppenaufgang<br />
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Kunst, auf die Dionysos-Friese und die Commedia dell’arte, die<br />
Sta<strong>tu</strong>en der Tragödie und der Komödie. Von ihrem Fenster aus<br />
konnte <strong>Ingrid</strong> Saison um Saison zusehen, wie festlich gekleidete<br />
Damen und Herren zu den Premieren eintrafen. Jetzt betrat<br />
sie selbst erstm<strong>als</strong> das Gebäude, Blick nach <strong>ob</strong>en zu Carl Larssons<br />
Deckengemälde "Die Geburt des Dramas", einem Jugendstil-Meisterwerk,<br />
auf dem ein von einem dünnen Schleier bedecktes<br />
Mädchen von einer männlichen Figur mit dem Lorbeerkranz<br />
gekrönt wird – klar der kritische Geist, der in seiner andern<br />
Hand die gegenteilige Belohnung, das mörderische<br />
Schwert trägt.<br />
Dieser Herbstabend war bestimmend für <strong>Ingrid</strong>s weiteres<br />
Leben. Das Stück hiess "Der Pöbel" von Hjalmar <strong>Bergman</strong><br />
(der weder mit ihrer noch mit Pastor <strong>Bergman</strong>s Familie verwandt<br />
ist), einem zeitgenössischen Romanschriftsteller und<br />
Bühnenautor, bestens bekannt für die Darstellung der bittersten<br />
Abgründe des menschlichen Daseins, worum es auch in<br />
diesem Stück ging. Die Geschichte, die von einer notleidenden<br />
Familie handelte, die auf die Hilfe eines reichen jüdischen Verwandten<br />
angewiesen war, wurde <strong>als</strong> Komödie betitelt, aber die<br />
Handlung um Korruption und Heuchelei bot wenig Anlass zum<br />
Lachen. Aber was immer der Inhalt (oder der trendige antisemitische<br />
Unterton), die elfjährige <strong>Ingrid</strong> hatte das Theater entdeckt.<br />
"Ich traute meinen Augen nicht. Erwachsene Leute taten<br />
auf dieser Bühne genau das, was ich zuhause zu<br />
meinem eigenen Vergnügen tat. Und die wurden dafür<br />
bezahlt! Die lebten sogar davon! Ich konnte einfach<br />
nicht verstehen, wie diese Schauspieler dasselbe machten<br />
wie ich, eine Fantasiewelt erfinden, <strong>tu</strong>n <strong>als</strong> <strong>ob</strong> und<br />
das Arbeit nennen! Bei der ersten Gelegenheit drehte<br />
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was vermutlich das ganze Theater mithörte:<br />
"Papa, Papa, DAS ist es, was ich <strong>tu</strong>n werde!"<br />
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