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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Staat – Nation - Sprache<br />

erster L<strong>in</strong>ie als „sprachliche M<strong>in</strong>derheiten“ wahrgenommen werden. Unter all den Merkmalen,<br />

die nationale Zugehörigkeit markieren, spielt die Sprache offenbar e<strong>in</strong>e überragende Rolle. In<br />

allen europäischen Nationalstaaten hat man diese sprachlichen M<strong>in</strong>derheiten über lange Zeit<br />

als Problem, als Stör- oder zum<strong>in</strong>dest Unsicherheitsfaktor angesehen, den es – mit welchen<br />

Mitteln und auf welche Weise auch immer – zu beseitigen galt. Das moderateste Mittel um<br />

dieses Ziel zu erreichen war der Assimilationsdruck, mit dem man die jeweilige M<strong>in</strong>derheit<br />

dazu br<strong>in</strong>gen wollte, die Staatssprache als Symbol „nationaler“ E<strong>in</strong>heit zu übernehmen. Liest<br />

man die Geschichte <strong>Europa</strong>s aufmerksam, so kann man entdecken, dass durchaus angesehene<br />

Staatsmänner noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts die Umsiedlung ethnischer Gruppen (d.i.<br />

oft e<strong>in</strong> Euphemismus für Vertreibung) als legitimes Mittel zur Herstellung e<strong>in</strong>er friedlichen<br />

Ordnung erklärt haben. Das zeigt, <strong>in</strong> welch hohem Maße man die Forderung nach nationaler<br />

Homogenität als Grundlage für e<strong>in</strong>e staatliche Ordnung für unangefochten legitim gehalten<br />

hat.<br />

Es geht mir nicht darum, (ohnedies bekannte) Sünden aus der Geschichte der europäischen<br />

Nationalstaaten aufzuzählen. Ich möchte vielmehr zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Ahnung davon vermitteln,<br />

welches Bewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bezug auf Sprachkontakt und potentielle <strong>Mehrsprachigkeit</strong> dieses<br />

nationalstaatliche Konzept beim durchschnitt lichen europäischen Bürger geprägt hat:<br />

Im Bewusstse<strong>in</strong> der Staatsmacht werden die Übere<strong>in</strong>stimmung von Staats- und Sprach grenzen<br />

und die absolute Dom<strong>in</strong>anz jeweils e<strong>in</strong>er Staatssprache zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>forderbaren Recht. 11<br />

Im Bewusstse<strong>in</strong> des e<strong>in</strong>zelnen Bürgers werden die Übere<strong>in</strong>stimmung von Staats- und<br />

Sprachgrenzen und die E<strong>in</strong>sprachigkeit des Individuums zum Normalfall. 12 Vielleicht sogar<br />

noch mehr: Wenn alle Angehörigen e<strong>in</strong>er Nation dieselbe e<strong>in</strong>e Muttersprache haben, erledigt<br />

sich der nächste Schritt von alle<strong>in</strong>e: Mitglieder e<strong>in</strong>er Nation s<strong>in</strong>d per defi nitionem e<strong>in</strong>sprachig,<br />

andernfalls fehlt ihnen e<strong>in</strong>es der wesentlichen Merkmale ihrer nationalen Zugehörigkeit/Identität.<br />

Man kann bestenfalls weitere Sprachen als „Fremd sprachen“ erwerben. Die deutsche Romantik<br />

hat mit ihren – durchaus fasz<strong>in</strong>ierenden – Gedanken, dass die Sprache e<strong>in</strong>e ganz spezifi sche<br />

ethnisch-kulturelle Weltsicht bed<strong>in</strong>ge, noch e<strong>in</strong>e zusätzliche Argumentationsgrundlage für<br />

diese Haltung geliefert (ob Herder und Humboldt dabei falsch <strong>in</strong>terpretiert oder gar bewusst<br />

missbraucht wurden, kann hier nicht erörtert werden).<br />

3. Warum wird der Sprache im Konzept des Nationalstaates so große<br />

Bedeutung beigemessen? – Funktionen der Sprache<br />

Unter allen Symbolen für nationale Zugehörigkeit und kollektive Identität im Nationalstaat ist<br />

die Sprache wohl e<strong>in</strong>es der stärksten, prom<strong>in</strong>entesten. 13<br />

Dies gilt aber nicht nur für die Epoche der Nationalstaaten. Sprache ist immer und überall<br />

mehr gewesen als lediglich e<strong>in</strong> praktisches Kommunikationsmittel. (Ülkü 2002: 419) „Bei der<br />

11 Die Idee der Staatssprache bildet die eigentliche geistige Existenzgrundlage der neuen politischen E<strong>in</strong>heiten, d.h. der<br />

europäischen Staaten, die im 19. und 20. Jhd. gegründet worden s<strong>in</strong>d. (Ülkü 2002: 432)<br />

12 Ich werde später noch darauf zurück kommen, dass „weltweit <strong>Mehrsprachigkeit</strong> der Normalfall ist, Zweisprachigkeit<br />

e<strong>in</strong> Grenzfall von <strong>Mehrsprachigkeit</strong>, E<strong>in</strong>sprachigkeit e<strong>in</strong> Sonderfall.“ (Lüdi 2002: 173)<br />

13 Sprache und ethnisch-nationale Identität stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em reziproken Verhältnis zue<strong>in</strong>ander. Es ist nicht nur so,<br />

dass die geme<strong>in</strong>same Sprache das Nationalgefühl bestätigt und stärkt, sondern diese Bee<strong>in</strong>fl ussung gilt auch umgekehrt:<br />

E<strong>in</strong> (aus welchem Grund auch immer – z. B. durch die so gen. Grenzversteifung) erhöhtes ethnisches Bewusstse<strong>in</strong> ist <strong>in</strong><br />

der Regel auch begleitet von e<strong>in</strong>em erhöhten Sprachbewusstse<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>er gesteigerten Sprachloyalität. (Stukenbrock<br />

2005: 40)<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 53 4-12-2006 12:25:12<br />

53

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