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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Oskar Putzer<br />

National-/Staatssprachen als Muttersprache zu bezeichnen ist m. E. zum<strong>in</strong>dest fragwürdig (man<br />

könnte es sogar als politische Lüge bezeichnen).<br />

Im Nationalstaat hat die Sprache e<strong>in</strong>e Homogenisierungsaufgabe, sie „soll die Solidarität<br />

der Geme<strong>in</strong>schaft nach <strong>in</strong>nen stärken und nach außen dokumentieren.“ (Gardt 2004: 374).<br />

Diese Aufgabe kann aber nur e<strong>in</strong>e Sprache erfüllen, die sich überdachend über e<strong>in</strong> größeres<br />

Gebiet und unterschiedliche Gruppen erstreckt – e<strong>in</strong>e standardisierte E<strong>in</strong>heits sprache,<br />

die durch bewusste Normierungen geschaffen und <strong>in</strong> dieser e<strong>in</strong>heitlichen Form im gesamten<br />

Staatsgebiet verbreitet (auch aufgezwungen!) wird und durch die festgeschriebenen Normen<br />

Veränderungen gegenüber relativ resistent ist. Sie stellt über die Dialekte, Regionalsprachen<br />

und Soziolekte h<strong>in</strong>weg nicht nur die verb<strong>in</strong>dliche, sondern auch die verb<strong>in</strong>dende Leitvarietät<br />

für alle Mitglieder der Nation dar. Nur e<strong>in</strong>e solche „nicht nur über vergangene Historiolekte<br />

h<strong>in</strong>weg konstruierte, sondern auch über das jeweilige zeitgenössische Varietätenspektrum<br />

h<strong>in</strong>weg aufrechterhaltene“ Nationalsprache kann die ihr zugedachte „Homogenitätsfunktion“<br />

erfüllen (Stukenbrock 2005: 432). Sie stellt e<strong>in</strong>e statische, zuverlässige Bezugsgröße dar, die<br />

über alle Diskont<strong>in</strong>uitäten (Veränderungen <strong>in</strong> der Zeit) und über alle sozialen und kulturellen<br />

(Standes-/Klassen zugehörigkeit, Religion...) Gegensätze h<strong>in</strong>weg Geme<strong>in</strong>samkeit stiftet.<br />

(Stukenbrock 2005: 433) Die Homogenisierung der Sprache fördert zudem die Homogenisierung<br />

des nationalen Bewusstse<strong>in</strong>s. Es ist wohl nicht Zufall, dass gerade Frankreich mit se<strong>in</strong>er<br />

mult<strong>in</strong>ationalen Bevölkerung unter den europäischen Staaten die älteste Tradition e<strong>in</strong>er<br />

zentralistischen Sprachregelung aufzuweisen hat. (Ülkü 2002: 431) Diese E<strong>in</strong>heitssprache, das<br />

Symbol für nationale Zugehörigkeit, ist aber – wie die Nation selbst – nicht etwas natürlich<br />

Gewachsenes, sondern etwas, das durch Defi nition und Willensakte sekundär entstanden<br />

ist. Und sie ist zunächst auch niemandes Muttersprache: „Nationalsprachen“ s<strong>in</strong>d stets<br />

standardisierte E<strong>in</strong>heitssprachen, die große Gebiete überdachen und zunächst niemandes<br />

Muttersprache s<strong>in</strong>d!<br />

Das für die politischen Ereignisse im <strong>Europa</strong> der letzten 200 Jahre folgenschwerste Merkmal<br />

des Nationalismus besteht dar<strong>in</strong>, dass er die vollkommene Übere<strong>in</strong>stimung von Staat, Nation<br />

und Sprache fordert. 8 Das bedeutet ideologisch, dass jede Kulturnation e<strong>in</strong> Recht auf e<strong>in</strong>en<br />

eigenen Staat hat, <strong>in</strong> der politischen Praxis aber bedeutet es vielmehr, dass jeder Staat das<br />

Recht hat, die für e<strong>in</strong>e Nation konstitutiven Merkmale, <strong>in</strong>sbesondere die Sprache auf dem<br />

gesamten Staatsgebiet e<strong>in</strong>zufordern. Im Pr<strong>in</strong>zip wird die Herstellung von Homogenität mit allen<br />

Mitteln durch die Staats gewalt legitimiert und jede Form von Andersse<strong>in</strong> (eben auch sprachlich)<br />

kann potentiell als illegal erklärt werden. 9<br />

E<strong>in</strong>e solche Übere<strong>in</strong>stimmung von Staats- und Sprachgrenzen war aber zu ke<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong><br />

ke<strong>in</strong>em europäischen Nationalstaat tatsächlich gegeben, sondern bestenfalls e<strong>in</strong>e politisch<br />

opportune Konstruktion. 10 Das heißt, dass es zu jeder Zeit <strong>in</strong> jedem europäischen Staat<br />

kle<strong>in</strong>ere oder größere Gruppen von Personen gegeben hat, die den nationalen Merkmalen nicht<br />

entsprechen, also M<strong>in</strong>derheiten! Dabei hat sich gezeigt, dass M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong><br />

8 „Nationalismus ist e<strong>in</strong> politisches Pr<strong>in</strong>zip, das besagt, politische und nationale E<strong>in</strong>heiten sollten deckungs gleich se<strong>in</strong>.“<br />

(Stukenbrock. 2005: 45)<br />

9 Der Jakob<strong>in</strong>ismus der Franz. Revolution hat <strong>in</strong> der Tat die Deportation oder Guillot<strong>in</strong>ierung für Bürger des neuen franz.<br />

Staates (dazu gehörte auch Elsass-Lothr<strong>in</strong>gen) vorgesehen, die nicht Französisch sprechen (von Polenz 1999: 115)<br />

10 In der e<strong>in</strong>schlägigen Literatur werden immer Portugal und Island als Ausnahmen, d.h. als Staaten ohne M<strong>in</strong>derheiten<br />

genannt. Selbst das sche<strong>in</strong>t nicht ganz zuzutreffen, wenn man die asturische M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> Portugal berücksichtigt<br />

– das Asturische ist im Gebiet von Miranda do Duoro Amtssprache, dort Mirandes genannt.<br />

52<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 52 4-12-2006 12:25:12

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