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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Stefanie Vogler<br />

5.4.2 Flavio<br />

Flavio gehört zu der Gruppe von Studierenden, die Deutsch auf freiwilliger Basis extracurricular<br />

lernten. Als er <strong>in</strong> die Beratung kam, schrieb er se<strong>in</strong>e Dissertation <strong>in</strong> angewandter L<strong>in</strong>guistik. Er<br />

verfügte über Kenntnisse <strong>in</strong> Altgriechisch, Late<strong>in</strong>, Russisch, Englisch und Französisch. Er hatte<br />

bereits e<strong>in</strong> Jahr lang e<strong>in</strong>er Gymnasialschüler<strong>in</strong> Nachhilfe <strong>in</strong> deutscher Grammatik gegeben, ohne<br />

selber jemals Deutsch gelernt zu haben. Auf die verblüffte Nachfrage der Berater<strong>in</strong> erklärte<br />

er, dass er sich auf diese Stunden mit Hilfe e<strong>in</strong>er Nachschlagegrammatik vorbereitet habe, doch<br />

jetzt wolle er Deutsch zu eigenen Forschungszwecken lernen. Am Ende des ersten Gesprächs<br />

hielt er als Lernziele fest: Lesen und e<strong>in</strong>fache Unterhaltungen führen zu können.<br />

In der Durchführungsphase berichtete Flavio über se<strong>in</strong>e Lernaktivitäten: Im Selbstlernzentrum<br />

der UC arbeitete er vor allem mit den nicht ausleihbaren Video- und Computermaterialien, während<br />

er zu Hause Aspekte der Grammatik und Lexik vertiefte und zusätzlich Übersetzungen <strong>in</strong>s Deutsche<br />

anfertigte. In den Beratungsgesprächen kommentierte er oft die deutsche Sprache: Ihm gefalle ihre<br />

Logik, sie sei komplexer als das Russische usw. In e<strong>in</strong>er Beratungssitzung wurde jedoch deutlich, dass<br />

Flavio unter der Situation des Alle<strong>in</strong>lernens litt. Daher vermittelte ihm die Berater<strong>in</strong> den Kontakt zu<br />

e<strong>in</strong>em anderen Doktoranden, der Deutsch ebenfalls alle<strong>in</strong> lernte. Die beiden sahen sich das erste<br />

Mal bei der Berater<strong>in</strong> und formulierten e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Lernprojekt. Anschließend trafen sie sich<br />

zum geme<strong>in</strong>samen Lernen und belegten e<strong>in</strong>en Sprachkurs <strong>in</strong> München, den sie mit dem Zertifi kat<br />

Deutsch (ZD) abschlossen. Als Flavio nach dem Kurs <strong>in</strong> die Beratung zurückkehrte, wollte er sich <strong>in</strong><br />

Italien auf die Zentrale Mittelstufenprüfung (ZMP) vorbereiten, um sich – wie er selber sagte – etwas<br />

Druck zu machen. Gleichzeitig beschloss er, Sprachkurse des zweiten Jahres an der Fakultät für<br />

Sprach- und Literaturwissenschaften zu besuchen, um dort das Sprechen und die Übersetzung <strong>in</strong>s<br />

Deutsche, an der er nach wie vor stark <strong>in</strong>teressiert war, zu üben.<br />

E<strong>in</strong> vorbildlicher Lerner also, so dass sich die Frage stellt, warum er die Lernberatung überhaupt<br />

aufsuchte. Vor allem zu Beg<strong>in</strong>n der Durchführungsphase halfen ihm die Beratungsgespräche<br />

mit der Situation des „Alle<strong>in</strong>lernens“ zurechtzukommen. Flavios Kommentare zum Deutschen<br />

spiegeln e<strong>in</strong>erseits die Freude am Deutschlernen selbst wider, andererseits drücken sie<br />

gleichzeitig das Bedürfnis nach Kommunikation bzw. Interaktion aus. Als er sich dessen bewusst<br />

wurde, versuchte er die kollaborative Form des Lernens zunächst mit dem anderen Doktoranden<br />

und anschließend <strong>in</strong> den Sprachkursen <strong>in</strong> München sowie an der UC. Darüber h<strong>in</strong>aus nutzte er die<br />

Beratungsgespräche, um nach Vorschlägen und H<strong>in</strong>weisen zu Lernmaterialien und Aktivitäten<br />

zu fragen.<br />

Flavios Situation stellt e<strong>in</strong> Beispiel für die idealen Bed<strong>in</strong>gungen zum autonomen Lernen dar.<br />

Die Berater<strong>in</strong> war nie se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> gewesen; er hatte ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionell gebundenen Aufl agen,<br />

Deutsch zu lernen bzw. e<strong>in</strong>en Leistungsnachweis für se<strong>in</strong>e Deutschkenntnisse zu erbr<strong>in</strong>gen. Die<br />

Entscheidung, sich auf das ZD und die ZMP vorzubereiten, traf er selbstständig. Ebenso zeigte<br />

er seit der ersten Beratungssitzung Selbstständigkeit <strong>in</strong> Entscheidungen bezüglich der Lernwege<br />

(z.B. Übersetzung <strong>in</strong>s Deutsche), derer er sich <strong>in</strong> den Beratungsgesprächen vergewisserte.<br />

Die Beratung hatte bei Flavio vor allem die Funktion, ihn dar<strong>in</strong> zu unterstützen, das<br />

schon von Anfang an hohe Maß an Motivation zu bewahren. Se<strong>in</strong>e Motivation ist durch die<br />

Vielschichtigkeit der daran gleichzeitig beteiligten Komponenten gekennzeichnet, die <strong>in</strong> ihrer<br />

jeweiligen Gewichtung schwankten: Die Freude am Deutschlernen spiegelt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch<br />

geprägte Motivation wider; das Ziel, deutsche Fachliteratur lesen zu können, ist Ausdruck e<strong>in</strong>er<br />

200<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 200 4-12-2006 12:27:08

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