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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

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Anstoß dazu gegeben. Der Autor betrachtet - er klammert <strong>die</strong> Reihengräber aus - <strong>die</strong> Darstellung<br />

innerhalb der Quartiere, in denen sich alte und neue Gräber durchmischen, je nach Ruhezeit. Wer sich so<br />

betrachtend auf den verschiedenen Friedhöfen <strong>Berlins</strong> bewegt, bewegt sich zugleich künstlerisch und<br />

geistig zwischen den Zeiten hin und her. An etwa 50 abgebildeten Beispielen stellt der Autor <strong>die</strong>s heraus,<br />

fügt Wichtiges über Architekten, Bildhauer, Werkstätten und Auftraggeber hinzu. So das Grab Zeitler:<br />

Mit Beginn der Gründerjahre wird in der Rationalität der Auffassung ein neuer Mensch und ein größeres<br />

menschliches Maß erkennbar. Dies zuerst am Grabmal Graefe verdeutlichend, zeigt der Verfasser an<br />

vielen anderen Beispielen <strong>die</strong> Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kunstwerkstätten, Künstlern,<br />

Architekten, Schriftstellern, öffentlichen Mäzenen, Bankhäusern und Auftraggebern auf. Wir erfahren<br />

etwas über <strong>die</strong> Besetzung <strong>des</strong> Baumarktes - auch <strong>für</strong> den öffentlichen Bau - mit Herstellerfirmen farbiger<br />

Keramiken und Terrakotten; sie beeinflußten Entwürfe z. B. von Schinkel, Strack und Gropius; auch <strong>die</strong><br />

Entwürfe der Bronzewerkstätten und Eisengießereien stimulierten Bildhauer und Architekten und umgekehrt.<br />

Die Mosaikkunst der Werkstatt Puhl und Wagner kam ins Spiel und zeitigte Wechselwirkungen<br />

zwischen Grabmal- und Sakralkunst. Am Beispiel David Hansemann erhellt der Verfasser den Zusammenhang<br />

mit städtischer Profanarchitektur, z. B. der Wiederaufnahme von Renaissanceformen in der<br />

Palladionachfolge. Interessant ist ferner zu sehen, wie sich im 19. Jahrhundert aktuelle geistige Strömungen<br />

niederschlagen, so <strong>die</strong> Entdeckung der Scipionengräber, archäologische Funde in Griechenland und<br />

ihre Adaption als dorische (Grab-)Tempel oder attische Stelen wie auf dem Kerameikos.<br />

Mit dem Grabmal Löfen beginnt sich der Jugendstil abzuzeichnen, mit Schwechten kamen neoromanische<br />

Formen vom Niederrhein nach Berlin; andererseits erkennt man <strong>die</strong> Ausstrahlungskraft der Berliner<br />

Grabmalkunst auf den gesamtdeutschen Raum, vor allem den Alten Friedhof in Bonn. - So wie<br />

Realismus und Idealismus in Dichtung und Philosophie einander widerstreiten und ergänzen, spiegelt es<br />

sich in der Grabmalgestaltung wider.<br />

Der Leser und betrachtende Spaziergänger wird Kenner <strong>des</strong> sich durch das 19. Jahrhundert hinziehenden<br />

Sich-Ausbildens typischer Grabbildnerei („klassische Bilderwelt der Grabsymbolik") wie der Thorvaldsen-Christus,<br />

der To<strong>des</strong>genien, Trauernden, knieenden Engel, der Dekorformen von Blumen und Girlanden.<br />

Deutlich spricht sich auch der Zusammenhang zwischen Akademiekünstlern und ihren Ausstellungen<br />

aus. Die Namen Strack, Siemering, Schaper, Eberlein, Uphues, Groß werden immer wieder genannt. -<br />

Den Abschluß der Schinkelzeit markiert das Mausoleum <strong>für</strong> Kaiser Friedrich III.: es ist eine Wiederaufnahme<br />

der Grab Christi-Idee (nach dem Vorbild von Innichen). Der Leser erfährt Neues über Rolle und<br />

Bedeutung der Kaiserin Friedrich als Bildhauerin (<strong>die</strong> in ihrer Selbstverwirklichung zurücktrat, um den<br />

sich gerade emanzipierenden Bildhauerinnen nicht im Wege zu sein), ihren entscheidenden Anteil an<br />

Entwurf und Ausführung <strong>des</strong> Kaisergrabes. Es überrascht ein wenig auch <strong>die</strong> Aussage, Kaiser Wilhelm II.<br />

sei in seinen ästhetischen Urteilen von der künstlerischen Auffassung seiner Mutter bestimmt gewesen. -<br />

Um 1900 werden <strong>die</strong> Einflüsse der Monumentalbaukunst der wilhelminischen Zeit (Kyffhäuserdenkmal<br />

und viele Bismarckdenkmäler) sehr mächtig. - In Auswahl und Deutung klärt der Autor das nach 1945<br />

ausgesprochene Ver<strong>die</strong>nst der wilhelminischen Architektur als Ausdruck <strong>des</strong> Bombastischen und Unwahren<br />

und gewinnt vielen Monumentalgräbern ihre künstlerische Qualität zurück; er rückt als das vorherrschende<br />

Prinzip seiner Auswahl Stille und Versunkenheit ins Blickfeld.<br />

Jede Darstellung einer historischen Persönlichkeit und ihres Grabmals bietet ein anderes Lebensbild, bei<br />

jedem ist <strong>die</strong> Einbindung in das soziale und geistige Umfeld anders gelagert, und doch gehen zahlreiche<br />

Ströme zwischen ihnen hin und her. So wird am Beispiel Liliencroons sichtbar, wie der Verfasser dem<br />

geistigen Grundtenor nachgeht. Er nennt auch <strong>die</strong> Arbeiten der heute in Mißkredit Geratenen wie Breker<br />

und Thorak, soweit sie künstlerisch vertretbar sind.<br />

Er ist auch über Ostberliner Friedhöfe gegangen, wobei allerdings <strong>die</strong> Deutung <strong>des</strong> Grabmals von Hanns<br />

Eisler etwas weit hergeholt wirkt.<br />

Das Bindeglied zum Buch von Melcher ist das Phänomen <strong>des</strong> Monumentalgrabes eines reichen Bürgers:<br />

Beide Autoren bilden das Grab Aschrott auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee ab und setzen sich in<br />

gleicher Weise damit auseinander.<br />

Zuerst beobachtet man auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee den Anklang an christlichklassizistische<br />

Begräbniskultur der Schinkelzeit. Das Tertium comparationis ist <strong>die</strong> Anpassung jüdischer<br />

Friedhofskultur an christliche Begräbnisformen <strong>des</strong> frühen 19. Jahrhunderts.<br />

Dann wird als Hauptanliegen <strong>des</strong> Buches der Weißenseer Friedhof in den Kontext preußischer und<br />

Berliner Kunstentwicklung und Gesellschaftskultur eingebunden. Dieselbe Gründerzeit ist in der Judenschaft<br />

widersprüchlich gekennzeichnet: ihre Staatstreue einerseits und der stets latente Zwang, sich gegen<br />

laut werdende Judenfeindlichkeit innerhalb einiger Kreise <strong>des</strong> Bürgertums behaupten zu müssen, sind<br />

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