Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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auch auf seine persönliche Haltung gegenüber der Sanacja. 25 Um auf alle Eventualitäten im Verhalten Sapiehas gefaßt zu sein bzw. seiner Entscheidung vorzugreifen, bat die Regierung um einen päpstlichen Dispens, um Piłsudski auf dem Wawel beisetzen zu können. 26 Unklar war zunächst noch die Überführung der Leiche von Warschau nach Krakau, denn Prystor schlug vor, den Leichnam in einem Trauerzug zu Fuß nach Krakau zu bringen, während Kasprzycki daran dachte, den Sarg nach Kielce zu transportieren und von dort aus nach Krakau tragen zu lassen. 27 Schließlich entschied der Ministerrat, Piłsudski auf dem offenen Waggon eines Sonderzuges über Kielce nach Krakau zu überführen. Zur Diskussion stand im Ministerrat auch der Verbleib der Urne mit dem Herzen Piłsudskis bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie auf dem Rossa-Friedhof in Wilna beigesetzt werden sollte. Der Ministerrat erwog zunächst, die Urne mit einer Ehrenwache im Belweder aufzubewahren und dann in die Kapelle des Königlichen Schlosses neben die Urne mit dem Herzen Kościuszkos zu stellen. Schließlich entschloß er sich aber, sie provisorisch in Wilna in der Theresienkirche bei der Mutter Gottes von Ostrobrama bis zur Überführung der sterblichen Überreste der Mutter Piłsudskis nach Wilna und bis zur Fertigstellung des neu zu bauenden Mausoleums beizusetzen. 28 Am 13. und 14. Mai wurde der Leichnam des Marschalls in Uniform im Belweder aufgebahrt, an der der Orden Virtuti Militari und weitere militärische Auszeichnungen befestigt waren, während Piłsudski in seinen Händen das Bild der Muttergottes von Ostrobrama hielt. Neben seinem Sarg 29 , der aus geschmiedetem und genietetem Silber bestand und bei dem eine Scheibe aus Kristallglas den Blick auf das Gesicht und die auf der Brust gefalteten Hände ermöglichte, stand die Kristallurne mit dem Herzen Piłsudskis, daneben lagen die Maciejówka (die Legionärsmütze) mit dem Schützenadler, sein Säbel und der Marschallstab sowie zu seinen Füßen weiße Blumen seiner beiden Töchter. Außerdem war der Saal im Belweder mit Militärstandarten aus den Aufständen von 1830/31 und 1863/64 und der Legionen dekoriert. Zivile und militärische Delegationen sowie das diplomatische Korps erwiesen dem Ersten Marschall Polens in dem festlich geschmückten Belweder die letzte Ehre. In der Kapelle saßen die Witwe und ihre Töchter, zu denen zu bestimmten Zeiten Militärdele- 25 Vgl. WOLNY, S. 112. 26 Nach kanonischem Recht (can. 1205 §2) dürfen im Bereich von Kirchen u.a. nur residierende Bischöfe, Äbte und Prälaten, der römische Bischof, Kardinäle und „personae regales“, d.h. auch Staatsoberhäupter oder Mitglieder der königlichen Familie, beigesetzt werden. Da Piłsudski nicht zu diesen gehörte, konnte nur ein Dispens eine Ausnahme vom Kirchenrecht erwirken. Vgl. ebenda, S. 118. 27 Vgl. AAN, PRM, PP, 78, B. 422. 28 Vgl. ebenda. 29 Der von Professor Jan Szczepkowski entworfene Sarg war mit der Aufschrift „Józef Piłsudski“ versehen. 68

gationen und enge Mitarbeiter Piłsudskis vorgelassen wurden. Währenddessen säumten Tausende die Straßen vor dem Belweder. Nur einige kleine Gruppen, vor allem Kinder, erhielten von Zeit zu Zeit Zutritt in den Palast. Im Zusammenhang mit den Trauerfeierlichkeiten appellierte die Warschauer Stadtverwaltung an die Bürger, an allen Häusern schwarze Trauerflaggen anzubringen. 30 Am Abend des 15. Mai wurde der Sarg Piłsudskis zur Johannes-Kathedrale in die Warschauer Altstadt überführt, nachdem Kardinal Kakowski die Exequien gehalten hatte. Der Sarg war in eine weiß-rote Fahne gehüllt und mit dem Band des Ordens Virtuti Militari umgürtet worden. Auf ihm lagen der Marschallstab, der Säbel und die Maciejówka. Eine Gruppe von Offizieren trug die Auszeichnungen des Marschalls, voran die Orden Orła Białego (des Weißen Adlers) und Polonia Restituta. Neben dem neuen Generalinspekteur der Streitkräfte Rydz-Śmigły und dem ehemaligen Stabschef der Ersten Brigade General Sosnkowski trugen vier weitere Generäle den Sarg aus dem Belweder zu einer Lafette. Währenddessen wurden Trommelwirbel geschlagen. Als man den Sarg auf die Lafette setzte, läuteten die Glocken der hauptstädtischen Kirchen, und die Werksirenen heulten. Der Trauerzug führte einen Teil des alten „Königsweges“ 31 , d.h. über die Straßen Aleje Ujazdowskie (Ujazdowski-Allee), Nowy Świat (Neue Welt) und Krakowskie Przedmieście (Krakauer Vorstadt), entlang zur Johannes-Kathedrale. Er wurde von militärischen Einheiten mit Standarten und Vertretern des katholischen Klerus angeführt. Dem Sarg folgte zunächst die Familie, dann schlossen sich zivile und militärische Würdenträger und Vertreter von staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen an. 32 Am Wegrand standen Soldaten und Mitglieder der Jugendorganisationen der (para-)militärischen Vorbereitung mit dem Gewehr bei Fuß Spalier, das sie präsentierten, sobald der Sarg an ihnen vorbeikam. Dahinter versammelten sich wohl 300 000-400 000 Zuschauer als eine „lebendige Mauer von Menschen“ 33 . Die Johannes-Kathedrale wurde angestrahlt. Als der Trauerzug sie nach ca. zweieinhalb Stunden gegen 22.30 Uhr erreichte, läuteten alle Glocken. Regierungsmitglieder trugen den Sarg in das Innere, danach begann ein Gottesdienst, der bis Mitternacht dauerte. Schließlich erhielt die Bevölkerung bis zum Morgen des 17. Mai Gelegenheit, in der von dem Rektor der Akademie der Schönen Künste Wojciech Jastrzębowski dekorierten Kathedrale von Piłsudski Abschied zu nehmen. 30 Vgl. Gazeta Polska vom 15.V.1935. 31 Der Weg vom Warschauer Schloß zur Sommerresidenz nach Wilanów. 32 Vgl. Gazeta Polska vom 16.V.1935; die Vorgaben, in: AAN, PRM, PP, S. 78, B. 442 f. Zur genauen Aufstellung des Kondukts siehe Anhang 4. 33 „żywy mur ludzi“ (Ilustrowany Kurier Codzienny vom 17.V.1935, in: BJ, JPZCz, n.pag.). Die Gazeta Polska berichtete von 10, z.T. 15 Reihen an Menschen hinter dem Spalier (vgl. Gazeta Polska vom 16.V.1935), sie schätzt, daß Hunderttausende den Zug gesehen haben, vgl. auch Gazeta Warszawska vom 16.V.1935 (Text der Polska Agencja Telegraficzna/Polnische Telegraphische Agentur). 69

auch auf <strong>seine</strong> persönliche Haltung gegenüber der Sanacja. 25 Um auf alle Eventualitäten<br />

im Verhalten Sapiehas gefaßt zu sein bzw. <strong>seine</strong>r Entscheidung vorzugreifen, bat<br />

die Regierung um einen päpstlichen Dispens, um <strong>Piłsudski</strong> auf dem Wawel beisetzen<br />

zu können. 26<br />

Unklar war zunächst noch die Überführung der Leiche von Warschau nach Krakau,<br />

denn Prystor schlug vor, den Leichnam in einem Trauerzug zu Fuß nach Krakau<br />

zu bringen, während Kasprzycki daran dachte, den Sarg nach Kielce zu transportieren<br />

<strong>und</strong> von dort aus nach Krakau tragen zu lassen. 27 Schließlich entschied der Ministerrat,<br />

<strong>Piłsudski</strong> auf dem offenen Waggon eines Sonderzuges über Kielce nach Krakau<br />

zu überführen.<br />

Zur Diskussion stand im Ministerrat auch der Verbleib der Urne mit dem Herzen<br />

<strong>Piłsudski</strong>s bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie auf dem Rossa-Friedhof in Wilna beigesetzt<br />

werden sollte. <strong>Der</strong> Ministerrat erwog zunächst, die Urne mit einer Ehrenwache<br />

im Belweder aufzubewahren <strong>und</strong> dann in die Kapelle des Königlichen Schlosses neben<br />

die Urne mit dem Herzen Kościuszkos zu stellen. Schließlich entschloß er sich<br />

aber, sie provisorisch in Wilna in der Theresienkirche bei der Mutter Gottes von<br />

Ostrobrama bis zur Überführung der sterblichen Überreste der Mutter <strong>Piłsudski</strong>s nach<br />

Wilna <strong>und</strong> bis zur Fertigstellung des neu zu bauenden Mausoleums beizusetzen. 28<br />

Am 13. <strong>und</strong> 14. Mai wurde der Leichnam des Marschalls in Uniform im Belweder<br />

aufgebahrt, an der der Orden Virtuti Militari <strong>und</strong> weitere militärische Auszeichnungen<br />

befestigt waren, während <strong>Piłsudski</strong> in <strong>seine</strong>n Händen das Bild der Muttergottes<br />

von Ostrobrama hielt. Neben <strong>seine</strong>m Sarg 29 , der aus geschmiedetem <strong>und</strong> genietetem<br />

Silber bestand <strong>und</strong> bei dem eine Scheibe aus Kristallglas den Blick auf das Gesicht<br />

<strong>und</strong> die auf der Brust gefalteten Hände ermöglichte, stand die Kristallurne mit dem<br />

Herzen <strong>Piłsudski</strong>s, daneben lagen die Maciejówka (die Legionärsmütze) mit dem<br />

Schützenadler, sein Säbel <strong>und</strong> der Marschallstab sowie zu <strong>seine</strong>n Füßen weiße Blumen<br />

<strong>seine</strong>r beiden Töchter. Außerdem war der Saal im Belweder mit Militärstandarten<br />

aus den Aufständen von 1830/31 <strong>und</strong> 1863/64 <strong>und</strong> der Legionen dekoriert. Zivile<br />

<strong>und</strong> militärische Delegationen sowie das diplomatische Korps erwiesen dem Ersten<br />

Marschall Polens in dem festlich geschmückten Belweder die letzte Ehre. In der Kapelle<br />

saßen die Witwe <strong>und</strong> ihre Töchter, zu denen zu bestimmten Zeiten Militärdele-<br />

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Vgl. WOLNY, S. 112.<br />

26<br />

Nach kanonischem Recht (can. 1205 §2) dürfen im Bereich von Kirchen u.a. nur residierende<br />

Bischöfe, Äbte <strong>und</strong> Prälaten, der römische Bischof, Kardinäle <strong>und</strong> „personae regales“,<br />

d.h. auch Staatsoberhäupter oder Mitglieder der königlichen Familie, beigesetzt werden.<br />

Da <strong>Piłsudski</strong> nicht zu diesen gehörte, konnte nur ein Dispens eine Ausnahme vom<br />

Kirchenrecht erwirken. Vgl. ebenda, S. 118.<br />

27<br />

Vgl. AAN, PRM, PP, 78, B. 422.<br />

28<br />

Vgl. ebenda.<br />

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<strong>Der</strong> von Professor Jan Szczepkowski entworfene Sarg war mit der Aufschrift „Józef <strong>Piłsudski</strong>“<br />

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