Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
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Währenddessen zog sich Piłsudski endgültig aus dem innenpolitischen Leben zurück, indem er nach den Wahlen als Ministerpräsident demissionierte und für drei Monate zur Kur nach Madeira fuhr. Für seine Mitarbeiter war diese eine erste Zeit der Bewährung, da sie den Marschall nicht in politischen Angelegenheiten konsultieren konnten. 114 Nach seiner Rückkehr fand im Belweder, seinem Sitz, eine Konferenz statt, in der Piłsudski ein letztes Mal die innere Lage des Landes erörterte. Hatte er sich bereits bis 1930 kaum für wirtschaftliche und dringende soziale Probleme interessiert und sich innenpolitisch auf die Auseinandersetzung mit dem Sejm konzentriert, so widmete er sich nach seiner Rückkehr aus Madeira ausschließlich der Militär- und Außenpolitik. 115 Piłsudski forcierte die seit dem Locarno-Vertrag betriebene, auf mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom französischen Bündnispartner bedachte Außenpolitik. Diese außenpolitische Richtungsänderung, die auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Änderung der politischen Situation in Deutschland zu sehen ist, manifestierte sich zunächst im Abschluß eines polnischsowjetischen Nichtangriffspaktes im Juli 1932 und einer zeitweiligen Politik der Pressionen gegenüber Deutschland bezüglich Danzigs und Ostpreußens. In diesem Zusammenhang sind die in der historischen Forschung umstrittenen und nicht eindeutig zu belegenden Präventivkriegspläne, die Piłsudski mit Hilfe Frankreichs gegen Deutschland wahrscheinlich verfolgte, zu sehen. 116 Nach den Viererpaktverhandlungen im Frühjahr 1933 wurde für Piłsudski die Notwendigkeit einer unabhängigen polnischen Außenpolitik immer deutlicher, auch um weitere Sicherheitsgarantien für die Westgrenze Polens zu erhalten. 117 Da Adolf Hitler u.a. wegen der innenpolitischen Stabilisierung des NS-Regimes an einer weitgehenden Verständigung mit Polen sehr interessiert war, konnte am 26. Januar 1934 das deutsch-polnische Gewaltverzichtsabkommen unterzeichnet werden. Polen konnte auf diese Weise eine „Politik des Gleichgewichts nach Ost und West“ verfolgen. Piłsudski war inzwischen stark gealtert und kränkelte. Schon ein halbes Jahr nach dem Madeira-Aufenthalt verbrachte er im November 1931 eine Kur in Rumänien und reiste 1932 zur Erholung nach Ägypten. 118 Insbesondere bei der Parade anläßlich des 11. November 1934, die er teilweise nur noch im Sitzen abnehmen konnte, wurde Piłsudskis körperliche Schwäche offenbar. Er selbst wurde unberechenbar und hatte unerklärliche Wutanfälle, die aber nach außen geheim gehalten wurden. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Der Erste Marschall Polens, Józef Klemens Piłsudski, starb am 12. Mai 1935 um 20.45 Uhr an Leberkrebs. 114 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 606-616. 115 Vgl. zum folgenden PIETSCH, S. 195-212 und 235-250. 116 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 636. Vgl. z.B. auch: KUŹMIŃSKI; W. JĘDRZEJEWICZ, Sprawa; ROOS, Präventivkriegspläne; CELOVSKY. 117 Zum Ostlocarno-Problem siehe HÖLTJE. 118 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 626. 61
3. Der Piłsudski-Kult als politisches Stilmittel 1926-1939 3.1. Die vollkommene Stilisierung Piłsudskis zum Kultobjekt im Totenkult 3.1.1. Der Auftakt des Totenkultes: Die Begräbnisfeierlichkeiten Der Tod Piłsudskis, die Begräbnisfeierlichkeiten in Warschau, Krakau und Wilna und die anschließende Organisation des Gedenkens wirkten auf die Piłsudski-Verehrung wie ein Katalysator, die nun zu einem Totenkult wurde: Der Marschall wurde vollkommen zum Kultobjekt stilisiert und der Kult durch die Organisation des Gedenkens vollends institutionalisiert. Piłsudski war nur noch ein Objekt der Verehrung, das völlig mythisiert und endgültig in den politischen bzw. staatlichen Dienst im Sinne eines Identifikationsobjektes gestellt wurde. Den Auftakt für den Totenkult bildeten die Trauerfeierlichkeiten. 1 Prominente herausragende Persönlichkeiten, die zugleich wichtige staatliche Ämter innehaben, werden häufig mit dem Staat identifiziert. Daher sind Ehrenbezeugungen ihnen gegenüber als Identifikationsangebot an dessen Bürger zu betrachten. Aus diesem Grund bringt der Tod einer solchen Persönlichkeit einen hohen Identitätsverlust für die Gesellschaft mit sich, der jedoch durch ein neues Identitifikationsangebot an die staatliche Gemeinschaft in Form eines ritualisierten Staatsbegräbnisses in einen Identitätsgewinn umgewandelt werden kann. 2 Somit „sind sämtliche Großartigkeiten des Begräbnisses bekannter und großer Personen nicht nur schicklich, sondern auch gebührend und notwendig“ 3 , weil die „funerale Signatur“ (Volker Ackermann), d.h. 1 Dieser Begriff bzw. polnisch uroczystości żałobne bezeichnete insgesamt die Veranstaltungen anläßlich des Todes Piłsudskis, während Begräbnis/pogrzeb nur im Zusammenhang mit dem Trauerkondukt und der Beisetzung Piłsudskis in Warschau und Krakau verwendet wurde. Der Begriff Staatsbegräbnis wird im Polnischen mit der Formulierung Begräbnis auf Staatskosten/pogrzeb na koszt państwa umschrieben. 2 Vgl. zur politischen Rolle von Staatsbegräbnissen ACKERMANN, Staatsbegräbnisse; ausführlich: DERS., Totenfeiern. 3 „[...] wszelkie wspaniałości pogrzebu znacznych i wielkich osób nie tylko są przyzwoite, ale i należące i powinne“ (Feststellung anläßlich des Begräbnisses des Krakauer Bischofs Andrzej Załuski im Jahre 1759, zit. nach ROK, Zagadnienie, S. 176). 63
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3. <strong>Der</strong> <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> als politisches Stilmittel 1926-1939<br />
3.1. Die vollkommene Stilisierung <strong>Piłsudski</strong>s zum <strong>Kult</strong>objekt im Totenkult<br />
3.1.1. <strong>Der</strong> Auftakt des Totenkultes: Die Begräbnisfeierlichkeiten<br />
<strong>Der</strong> Tod <strong>Piłsudski</strong>s, die Begräbnisfeierlichkeiten in Warschau, Krakau <strong>und</strong> Wilna <strong>und</strong><br />
die anschließende Organisation des Gedenkens wirkten auf die <strong>Piłsudski</strong>-Verehrung<br />
wie ein Katalysator, die nun zu einem Totenkult wurde: <strong>Der</strong> Marschall wurde vollkommen<br />
zum <strong>Kult</strong>objekt stilisiert <strong>und</strong> der <strong>Kult</strong> durch die Organisation des Gedenkens<br />
vollends institutionalisiert. <strong>Piłsudski</strong> war nur noch ein Objekt der Verehrung, das völlig<br />
mythisiert <strong>und</strong> endgültig in den politischen bzw. staatlichen Dienst im Sinne eines<br />
Identifikationsobjektes gestellt wurde. Den Auftakt für den Totenkult bildeten die<br />
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für die Gesellschaft mit sich, der jedoch durch ein neues Identitifikationsangebot<br />
an die staatliche Gemeinschaft in Form eines ritualisierten Staatsbegräbnisses in einen<br />
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des Begräbnisses bekannter <strong>und</strong> großer Personen nicht nur schicklich, sondern auch<br />
gebührend <strong>und</strong> notwendig“ 3 , weil die „funerale Signatur“ (Volker Ackermann), d.h.<br />
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Dieser Begriff bzw. polnisch uroczystości żałobne bezeichnete insgesamt die Veranstaltungen<br />
anläßlich des Todes <strong>Piłsudski</strong>s, während Begräbnis/pogrzeb nur im Zusammenhang<br />
mit dem Trauerkondukt <strong>und</strong> der Beisetzung <strong>Piłsudski</strong>s in Warschau <strong>und</strong> Krakau verwendet<br />
wurde. <strong>Der</strong> Begriff Staatsbegräbnis wird im Polnischen mit der Formulierung Begräbnis<br />
auf Staatskosten/pogrzeb na koszt państwa umschrieben.<br />
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Vgl. zur politischen Rolle von Staatsbegräbnissen ACKERMANN, Staatsbegräbnisse; ausführlich:<br />
DERS., Totenfeiern.<br />
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„[...] wszelkie wspaniałości pogrzebu znacznych i wielkich osób nie tylko są przyzwoite,<br />
ale i należące i powinne“ (Feststellung anläßlich des Begräbnisses des Krakauer Bischofs<br />
Andrzej Załuski im Jahre 1759, zit. nach ROK, Zagadnienie, S. 176).<br />
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