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Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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an. Damit schlug er eine Möglichkeit aus, charismatische <strong>und</strong> institutionelle Macht zu<br />

verbinden <strong>und</strong> das Regierungssystem neu zu strukturieren. 86 Er verärgerte dadurch die<br />

PPS, was sich im Wahlergebnis für den neu gewählten, von <strong>Piłsudski</strong> vorgeschlagenen<br />

Staatspräsidenten Ignacy Mościcki widerspiegelte. 87<br />

Obwohl <strong>Piłsudski</strong> keine umfassendere Verfassungsreform anstrebte, erschien eine<br />

Verfassungsänderung als nächster wichtiger Schritt zur Konsolidierung des Regimes<br />

notwendig. 88 Nach zweimonatiger Beratung nahm der Sejm am 6. August 1926 mit<br />

den Gegenstimmen von Teilen der Rechten, der Linken <strong>und</strong> der nationalen Minderheiten<br />

eine Verfassungsänderung an, die die Rolle des Sejms, der Legislative, deutlich<br />

einschränkte <strong>und</strong> dem Präsidenten die Möglichkeit eröffnete, den Sejm auf Empfehlung<br />

der Regierung aufzulösen <strong>und</strong> zwischen den Sitzungspausen Dekrete mit Gesetzeskraft<br />

zu erlassen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der politischen Situation konnte <strong>Piłsudski</strong> es noch nicht wagen, Neuwahlen<br />

durch die Auflösung des Sejms zu provozieren. Es fehlte ihm ein eigenes<br />

starkes Lager, <strong>und</strong> er durfte die für ihn notwendigen politischen Kräfte nicht durch<br />

Machtdemonstrationen verstimmen, weil er sowohl auf die Stimmen der Linken als<br />

auch der wirtschaftlich starken Konservativen angewiesen war. 89<br />

Nachdem <strong>Piłsudski</strong> im Mai 1926 den kompromißbereiten <strong>und</strong> eher technokratisch<br />

denkenden Kazimierz Bartel zum Ministerpräsidenten berufen hatte, übernahm er Anfang<br />

Oktober 1926 nach dessen Rücktritt selbst die Regierungsverantwortung. Er ließ<br />

am Tag <strong>seine</strong>r Amtseinführung den Sejm vertagen <strong>und</strong> nutzte die Situation, um die<br />

Opposition zu spalten. Bezeichnend hierfür ist sein Kabinett, das sich aus Mitgliedern<br />

der PPS <strong>und</strong> der Bauernpartei PSL-Wyzwolenie (PSL-Befreiung) sowie aus Christdemokraten,<br />

Konservativen <strong>und</strong> Technokraten der Regierung Bartel zusammensetzte,<br />

um die politische Unterstützung breiter gesellschaftlicher Kräfte zu erreichen.<br />

Weitaus bedeutsamer <strong>und</strong> charakteristischer für den Regierungsstil des Marschalls<br />

war aber, daß er wichtige öffentliche Positionen mit Personen <strong>seine</strong>s Vertrauens besetzte.<br />

Aus diesen Leuten, meist ehemaligen Mitgliedern der Ersten Brigade, erwuchs<br />

die sog. „Gruppe der Obersten“, die nach 1930 als „Obristen-Regime“ die Spitzenpositionen<br />

in der Regierung innehatte. 90<br />

Notwendig war es auch, sich der konservativen Kräfte zu versichern, um das Lager<br />

als überparteilich <strong>und</strong> als gesamtnational zu präsentieren. <strong>Der</strong> Schulterschluß mit<br />

den konservativen, aristokratischen Kräften gelang <strong>Piłsudski</strong> auf dem Landgut der<br />

86 Vgl. ROTHSCHILD, Coup d’Etat, S. 206-210.<br />

87 Die PPS schlug Zygmunt Marek, einen eigenen Kandidaten, vor. Von 545 anwesenden<br />

Abgeordneten stimmten 215 für Mościcki, 211 für Bniński, 56 für Marek; im zweiten<br />

Wahlgang erhielten Mościcki 281 Stimmen <strong>und</strong> Bniński 200. Die PPS boykottierte die<br />

Vereidigungszeremonie Mościckis. Vgl. GARLICKI, <strong>Piłsudski</strong>, S. 388-391.<br />

88 S. z.B. BARANOWSKI, S. 199-209.<br />

89 Vgl. ROTHSCHILD, Coup d’Etat, S. 215.<br />

90 Vgl. ebenda, S. 233 f.<br />

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