Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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kratie, Einfluß auf die Kommission zu nehmen. 28 In der Folge führte dies zu Kontroversen über die Rolle und das Verhältnis der Schützenorganisationen zueinander. Daher legte Piłsudski im April 1913 den Oberbefehl nieder, so daß im Mai das Oberkommando zugunsten der Schaffung einer Heeresabteilung aufgehoben wurde. 29 Außerdem verlor der Polski Skarb Wojskowy aufgrund von nationaldemokratischen Interventionen die finanzielle Unterstützung der amerikanischen Polonia und damit seine Existenzgrundlage, während sich die Konflikte zwischen den Schützenverbänden und -abteilungen verschärften, so daß der österreichische Generalstab deren Auflösung plante. Die polnische Bevölkerung Galiziens verhielt sich zudem überwiegend gleichgültig: Piłsudski und seine Anhänger durchlebten daher im Sommer 1914 eine tiefe Krise. 30 In den Jahren zwischen 1908 und 1914 bildete sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Piłsudski und seinen Anhängern heraus. Bis 1908 war er nur einer der Parteiführer der PPS gewesen. Er gelangte erst innerhalb der Schützenverbände zu neuer Autorität, und dies vor allem, als deutlich wurde, daß sich seine politischmilitärischen Vorstellungen zu konkretisieren begannen. „Aus dem Partner der gemeinsamen politischen Tätigkeit erwuchs langsam der Führer“ 31 , insbesondere nach seiner Ernennung zum Hauptkommandanten der Schützenverbände im Jahre 1912. Seitdem wurde er als „Kommandant“ („Komendant“) bezeichnet, von seinen engsten Mitarbeitern sogar bis zu seinem Tod. Die Organisation der Schützenverbände, deren strukturelle und hierarchische Unterschiede stärker ausgeprägt waren als in der PPS, zog patriotisch und idealistisch gesinnte junge Menschen an, so daß er als „ein Führer auf der Basis einer freiwilligen Unterwerfung“ 32 angesehen wurde. Damit wuchsen seit 1908 Kader mit jungen, ihm blind ergebenen Anhängern heran, die im Geist der militärischen Vorbereitungen zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens erzogen wurden. 33 Seine engsten Mitarbeiter, die alle aus der PPS stammten, sorgten einerseits für seine Autorität in den Schützenverbänden und erlagen ihr andererseits selbst immer mehr. Indem Piłsudskis Name mit dem Nimbus eines bewaffneten Kampfes gegen die russische Teilungsmacht verbunden wurde, erhielt dieser Prozeß noch einen zusätzlichen Impetus. Dabei kamen Piłsudski auch seine charakterlichen Eigenschaften zugute: Er distanzierte sich nicht nur zunehmend von seinen Gefolgsleuten, sondern er 28 Vgl. ebenda, S. 114; GARLICKI, Piłsudski, S. 146. 29 Vgl. GARLICKI, Geneza, S. 52-222. Nach POBÓG-MALINOWSKI, Najnowsza historia, Bd. 1, S. 37, legte Piłsudski das Amt nieder, nachdem im Balkankrieg ein Waffenstillstand geschlossen worden war. 30 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 156 f. 31 „Powoli z partnera wspólnej działalności politycznej wyrastał przywódca“ (GARLICKI, Piłsudski, S. 147). 32 „przywódcę na zasadzie dobrowolnego podporządkowania się“ (ebenda, S. 147). 33 Vgl. MOLENDA, Piłsudczycy, S. 64-69. 41

verstand es auch, diese Distanz zu wahren, ihnen seine Konzeptionen aufzudrängen und seine Formulierungen so zu wählen, daß der Eindruck entstand, daß er immer im Recht wäre. Verstärkt wurde dies noch durch sein stets pragmatisches Handeln. 34 Er traf mit seinen von der polnischen Romantik und dem Sozialismus geprägten Vorstellungen aber auch in gewisser Weise den „Zeitgeist“, weil seine Vorstellungen auf junge Kräfte stießen, die noch im Geist der romantisch verklärten Freiheitshelden erzogen worden waren und sich nach konkreten Unternehmungen sehnten. 35 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte die Polnische Frage wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik und bot daher Piłsudski die Chance, seine Vorstellungen zu realisieren: „Soldaten! [...] Ihr werdet als erste ins Königreich einrücken und die Grenze des von Rußland besetzten Teils von Polen als die führende Kolonne des polnischen Heeres [sic!] überschreiten, welches auszieht, um das Vaterland zu befreien. [...] Ich schaue auf Euch als auf die Kaders [sic!], aus denen sich die künftige polnische Armee bilden soll, und ich begrüße Euch als die erste Kaderkompanie“ 36 – diese Worte gab Piłsudski am 3. August 1914 seiner kleinen, 144 Mann starken Kaderkompanie mit auf den Weg in den Ersten Weltkrieg, nachdem er die Erlaubnis des österreichisch-ungarischen Armee-Oberkommandos erhalten hatte, die Schützen zu mobilisieren. Er bezog sich in diesem Aufruf auf eine fiktive Regierung in Warschau, um seine politische Unabhängigkeit vom Polenclub des Wiener Parlamentes und der Vorläufigen Kommission in Krakau öffentlich zu demonstrieren, und beanspruchte auf diese Weise, die Unabhängigkeit Polens ohne Unterstützung einer Teilungsmacht zu erkämpfen. Der „Kommandant“ schickte am Morgen des 6. August die Kaderkompanie nach Kielce, um später mit einer weiteren, jedoch größtenteils unbewaffneten Kompanie zu folgen. Er hoffte, daß die Bevölkerung Kongreßpolens die polnischen Einheiten enthusiastisch empfangen und er Warschau schnell erobern würde. Diese Erwartung, die auf der Reaktion der polnischen Bevölkerung in Galizien gründete, stellte sich jedoch als Fehleinschätzung heraus: Die Kaderkompanie wurde am 13. August in Kielce weder hoffnungsvoll begrüßt, noch entwickelte sie sich zu einer eigenständigen Armee und erreichte Warschau auch nicht. 37 Der 34 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 147 f.; W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 1, S. 51. 35 Vgl. HAUSER, S. 161; WÓJCIK, Legenda, S. 37-43. So gelang es Piłsudski, auch herausragende bekannte Schriftsteller wie Stefan Żeromski, Stanisław Wyspiański oder Stanisław Witkiewicz zu faszinieren. 36 Aufruf zit. in: Josef Piłsudski. Erinnerungen und Dokumente, Bd. 3, Essen 1935, S. 9 f. Der polnische Text lautet: „Żołnierze! [...] Spotkał was ten zaszczyt niezmierny, że pierwsi pójdziecie do Królestwa i przestąpicie granicę rosyjskiego zaboru, jako czołowa kolumna wojska polskiego, idącego walczyć za oswobodzenie ojczyzny. [...] Patrzę na was, jako na kadry, z których rozwinąć się ma przyszła armia polska, i pozdrawiam was, jako pierwszą kadrową kompanię“ (Pisma Zbiorowe, Bd. 4, S. 8). 37 Vgl. W. JĘDRZEJEWICZ, Life, S. 55; GARLICKI, Piłsudski, S. 165-168. 42

verstand es auch, diese Distanz zu wahren, ihnen <strong>seine</strong> Konzeptionen aufzudrängen<br />

<strong>und</strong> <strong>seine</strong> Formulierungen so zu wählen, daß der Eindruck entstand, daß er immer im<br />

Recht wäre. Verstärkt wurde dies noch durch sein stets pragmatisches Handeln. 34 Er<br />

traf mit <strong>seine</strong>n von der polnischen Romantik <strong>und</strong> dem Sozialismus geprägten Vorstellungen<br />

aber auch in gewisser Weise den „Zeitgeist“, weil <strong>seine</strong> Vorstellungen auf<br />

junge Kräfte stießen, die noch im Geist der romantisch verklärten Freiheitshelden erzogen<br />

worden waren <strong>und</strong> sich nach konkreten Unternehmungen sehnten. 35<br />

<strong>Der</strong> Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte die Polnische Frage wieder auf die<br />

Tagesordnung der internationalen Politik <strong>und</strong> bot daher <strong>Piłsudski</strong> die Chance, <strong>seine</strong><br />

Vorstellungen zu realisieren: „Soldaten! [...] Ihr werdet als erste ins Königreich einrücken<br />

<strong>und</strong> die Grenze des von Rußland besetzten Teils von Polen als die führende Kolonne<br />

des polnischen Heeres [sic!] überschreiten, welches auszieht, um das Vaterland<br />

zu befreien. [...] Ich schaue auf Euch als auf die Kaders [sic!], aus denen sich die<br />

künftige polnische Armee bilden soll, <strong>und</strong> ich begrüße Euch als die erste Kaderkompanie“<br />

36 – diese Worte gab <strong>Piłsudski</strong> am 3. August 1914 <strong>seine</strong>r kleinen, 144 Mann<br />

starken Kaderkompanie mit auf den Weg in den Ersten Weltkrieg, nachdem er die Erlaubnis<br />

des österreichisch-ungarischen Armee-Oberkommandos erhalten hatte, die<br />

Schützen zu mobilisieren. Er bezog sich in diesem Aufruf auf eine fiktive Regierung<br />

in Warschau, um <strong>seine</strong> politische Unabhängigkeit vom Polenclub des Wiener Parlamentes<br />

<strong>und</strong> der Vorläufigen Kommission in Krakau öffentlich zu demonstrieren, <strong>und</strong><br />

beanspruchte auf diese Weise, die Unabhängigkeit Polens ohne Unterstützung einer<br />

Teilungsmacht zu erkämpfen. <strong>Der</strong> „Kommandant“ schickte am Morgen des 6. August<br />

die Kaderkompanie nach Kielce, um später mit einer weiteren, jedoch größtenteils<br />

unbewaffneten Kompanie zu folgen. Er hoffte, daß die Bevölkerung Kongreßpolens<br />

die polnischen Einheiten enthusiastisch empfangen <strong>und</strong> er Warschau schnell erobern<br />

würde. Diese Erwartung, die auf der Reaktion der polnischen Bevölkerung in Galizien<br />

gründete, stellte sich jedoch als Fehleinschätzung heraus: Die Kaderkompanie<br />

wurde am 13. August in Kielce weder hoffnungsvoll begrüßt, noch entwickelte sie<br />

sich zu einer eigenständigen Armee <strong>und</strong> erreichte Warschau auch nicht. 37 <strong>Der</strong><br />

34 Vgl. GARLICKI, <strong>Piłsudski</strong>, S. 147 f.; W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 1, S. 51.<br />

35 Vgl. HAUSER, S. 161; WÓJCIK, Legenda, S. 37-43. So gelang es <strong>Piłsudski</strong>, auch herausragende<br />

bekannte Schriftsteller wie Stefan Żeromski, Stanisław Wyspiański oder Stanisław<br />

Witkiewicz zu faszinieren.<br />

36 Aufruf zit. in: Josef <strong>Piłsudski</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Dokumente, Bd. 3, Essen 1935, S. 9 f.<br />

<strong>Der</strong> polnische Text lautet: „Żołnierze! [...] Spotkał was ten zaszczyt niezmierny, że pierwsi<br />

pójdziecie do Królestwa i przestąpicie granicę rosyjskiego zaboru, jako czołowa kolumna<br />

wojska polskiego, idącego walczyć za oswobodzenie ojczyzny. [...] Patrzę na was, jako na<br />

kadry, z których rozwinąć się ma przyszła armia polska, i pozdrawiam was, jako pierwszą<br />

kadrową kompanię“ (Pisma Zbiorowe, Bd. 4, S. 8).<br />

37 Vgl. W. JĘDRZEJEWICZ, Life, S. 55; GARLICKI, <strong>Piłsudski</strong>, S. 165-168.<br />

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