Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
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der aufgestellt. 207 Das öffentliche Bedürfnis, die mit Piłsudski verbundene Geschichte aufzuarbeiten, offenbarte sich ferner darin, daß die Presse häufig historische Artikel über den Marschall und die Sanacja veröffentlichte. 208 Daß der Piłsudski-Kult in den Anfangsjahren der Dritten Republik zu einem Teil der politischen Kultur geworden war, offenbarte sich beispielsweise auch daran, daß der Sejm am 26. November 1992 beschloß, die Schirmherrschaft über den Piłsudski-Erdhügel zu übernehmen. 209 Insgesamt zeigen die Bemerkungen zur Rezeption des Piłsudski-Kultes und die nur skizzenhaft nachgezogenen Entwicklungslinien, wie sehr Piłsudski-Mythos und -Kult aus politischen Gründen immer wieder instrumentalisiert worden sind, zumal sich die Vorstellung vom Unabhängigkeits- bzw. Freiheitskämpfer, vom Staatsgründer und nicht zuletzt vom Demokraten für diejenigen anbot, die sich für Polens Freiheit eingesetzt hatten. Dies ist aber vor allem ein Indiz dafür, daß Piłsudski im historischen Bewußtsein der polnischen Gesellschaft seinen Platz gefunden und damit der Kult um den Ersten Marschall Polens seine Wirkung bis heute behalten hat. Anhand der Analyse des Piłsudski-Kultes kann man abschließend zu dem Schluß kommen, daß sich bei ihm die eingangs erwähnten Entwicklungsstufen eines Personenkultes von der Überhöhung über die Monumentalisierung bis zur Mythisierung vollzogen haben, wobei die letzten beiden Schritte in der Phase eines zunehmend institutionalisierten Kultes abliefen. Institutionalisiert heißt in bezug auf den Piłsudski- Kult vor allem, daß er staatlich angeordnet und nach dem Maiumsturz von 1926 sukzessive in die Lehrpläne der staatlichen Schulen aufgenommen wurde. Zwar ist schon die Gründung des Instytut Badania Najnowszej Historii Polski als Institution des Kultes ein wichtiger Schritt in Richtung von dessen Institutionalisierung gewesen, jedoch erreichte der Kult seine vollständige institutionelle Ausgestaltung und Organisation erst nach Piłsudskis Tod in Form des Obersten Gedächtniskomitees. Die Feiern zum 6. August und zum 11. November sowie zum 19. März, zum 12. Mai und die Begräbnisfeierlichkeiten ritualisierten die kultische Verehrung, während Denkmäler und andere politische Sinnbilder Person und Eigenschaften Piłsudskis symbolisieren sollten. Die Vermittlungsformen des Kultes, die zugleich Ausdrucksformen der kultischen Verehrung sind, verbreiteten den Mythos vom Marschall als dem Schöpfer des polnischen Heeres und Staates, als dessen Wächter, als dem Erzieher und größten Menschen in Polens Geschichte, so daß der Piłsudski-Mythos zwar eine Kontinuität zu 207 Gazeta Wyborcza („Wahlzeitung“) vom 9.XI.1998; vgl. auch Gazeta Wyborcza vom 27.II.1998. 208 So z.B. Gazeta Wyborycza vom 23.V.1995 (je ein Artikel von Leszek Moczulski, dem Gründer und Vorsitzenden der Konfederacja Polski Niepodległej (Konföderation des Unabhängigen Polens, KPN), und von Andrzej Garlicki), vom 26.V.1995 (Tomasz Nałęcz, Bezug auf den Artikel von Moczulski), vom 5.XII.1997 (Artikel von Jerzy Holzer) und die Polityka vom 13.V.1995 (Artikel von Garlicki). 209 Vgl. BUKOWSKI u.a., S. 13. 366
anderen großen Persönlichkeiten der polnischen Geschichte herstellte, die historische Entwicklung aber in der Person Piłsudskis gipfeln ließ. Insgesamt aber wurde durch die Verbindung von staatlichen Symbolen mit denen des Piłsudski-Lagers und der Persönlichkeit des Marschalls, durch die Institutionalisierung auf staatlicher Ebene (vor allem im Geschichtsbild und im Schulunterricht) und durch das Bild vom Schöpfer und Wächter des polnischen Staates bzw. „Vater des Vaterlandes“ eine ideengeschichtliche Symbiose mit der historischen Entwicklung Polens konstruiert. Piłsudski wurde dadurch nicht nur zum leuchtenden Symbol eines mächtigen Staates, sondern zur einzigen Identifikationsfigur, die der polnische Staat nach 1926 seinen Bürgern anzubieten hatte, während andere Persönlichkeiten aus der Vergangenheit Polens in diesem Geschichtsbild nur unzulängliche Vorgänger waren. Darüber hinaus kann man Piłsudski als die Personifizierung der von ihm geprägten Sanacja-Vorstellungen verstehen, so daß der Piłsudski-Kult letztlich nicht nur die Sanacja-Ideologie als solche gewesen ist, sondern in all seinen Ausdrucks- und Vermittlungsformen als ideales Instrument dazu gedient hat, diese Weltanschauung auf die Bürger des Staates zu übertragen und sie nach diesen Prämissen zu einer innerlich homogenen Wertegemeinschaft zu formen. Der Piłsudski-Kult nutzte den Freiheitskampf der Polen im Ersten Weltkrieg unter der Führung des „Kommandanten“ und sein politisch-militärisches Wirken während der Zweiten Republik zur Selbstdarstellung nach innen und außen und damit auch als Identifikations- und Integrationsangebot an alle Bevölkerungsgruppen des wiedererrichteten Staates. Die Verehrung des Marschalls und die damit einhergehende Berufung auf dessen historische Verdienste waren daher ein geeignetes Mittel, um ein staatliches Bewußtsein in der Bevölkerung sich entwickeln zu lassen, wofür Piłsudskis überhöhte Rolle innerhalb des Bildungsideals der Sanacja symptomatisch ist. Schließlich schuf der Piłsudski-Kult selbst, einerseits durch die Einführung von Ritualen und Feiern anläßlich „neuerer“ historischer Ereignisse, durch Denkmäler und Symbole, andererseits durch die Berufung auf ältere Vorbilder, neue nationale bzw. staatliche Traditionen, um Piłsudski in deren Kontinuität zu stellen und ihn als ihren wahren Vollender zu präsentieren. Indem der polnische Staat unter der Sanacja ein zutiefst „moralisch saniertes“ Gemeinwesen darstellen sollte, wollten die Träger des Piłsudski-Kultes durch die gemeinsame Verehrung bei allen Staatsbürgern ein neues Bewußtsein für ihren Staat und seine Geschichte und dadurch eine gesamtnationale Gemeinschaft für den Erhalt der nationalen Größe und Ehre Polens schaffen. Auf diese Weise haben sie versucht, eine neue staatliche Einheit zu bilden. Der Piłsudski-Kult wirkte dabei zunächst (zumindest bis 1935) nicht polonisierend, sondern versuchte entsprechend den föderalen Vorstellungen Piłsudskis die nationalen Minderheiten im Staat für diesen zu gewinnen, was teilweise auch gelang. Daran wurde die grundsätzliche Offenheit des Kultes für alle Angehörigen des Staates deutlich. Dennoch setzte unter den Epigonen Piłsudskis die Tendenz ein, den Piłsudski-Kult entsprechend ihrer politischen Annäherungsversuche an die Nationaldemokratie nationalisierend zu mißbrauchen. 367
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anderen großen Persönlichkeiten der polnischen Geschichte herstellte, die historische<br />
Entwicklung aber in der Person <strong>Piłsudski</strong>s gipfeln ließ.<br />
Insgesamt aber wurde durch die Verbindung von staatlichen Symbolen mit denen<br />
des <strong>Piłsudski</strong>-Lagers <strong>und</strong> der Persönlichkeit des Marschalls, durch die <strong>Institut</strong>ionalisierung<br />
auf staatlicher Ebene (vor allem im Geschichtsbild <strong>und</strong> im Schulunterricht)<br />
<strong>und</strong> durch das Bild vom Schöpfer <strong>und</strong> Wächter des polnischen Staates bzw. „Vater<br />
des Vaterlandes“ eine ideengeschichtliche Symbiose mit der historischen Entwicklung<br />
Polens konstruiert. <strong>Piłsudski</strong> wurde dadurch nicht nur zum leuchtenden Symbol<br />
eines mächtigen Staates, sondern zur einzigen Identifikationsfigur, die der polnische<br />
Staat nach 1926 <strong>seine</strong>n Bürgern anzubieten hatte, während andere Persönlichkeiten<br />
aus der Vergangenheit Polens in diesem Geschichtsbild nur unzulängliche Vorgänger<br />
waren. Darüber hinaus kann man <strong>Piłsudski</strong> als die Personifizierung der von ihm geprägten<br />
Sanacja-Vorstellungen verstehen, so daß der <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> letztlich nicht nur<br />
die Sanacja-Ideologie als solche gewesen ist, sondern in all <strong>seine</strong>n Ausdrucks- <strong>und</strong><br />
Vermittlungsformen als ideales Instrument dazu gedient hat, diese Weltanschauung<br />
auf die Bürger des Staates zu übertragen <strong>und</strong> sie nach diesen Prämissen zu einer innerlich<br />
homogenen Wertegemeinschaft zu formen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> nutzte den Freiheitskampf der Polen im Ersten Weltkrieg unter<br />
der Führung des „Kommandanten“ <strong>und</strong> sein politisch-militärisches Wirken während<br />
der Zweiten Republik zur Selbstdarstellung nach innen <strong>und</strong> außen <strong>und</strong> damit auch als<br />
Identifikations- <strong>und</strong> Integrationsangebot an alle Bevölkerungsgruppen des wiedererrichteten<br />
Staates. Die Verehrung des Marschalls <strong>und</strong> die damit einhergehende Berufung<br />
auf dessen historische Verdienste waren daher ein geeignetes Mittel, um ein<br />
staatliches Bewußtsein in der Bevölkerung sich entwickeln zu lassen, wofür <strong>Piłsudski</strong>s<br />
überhöhte Rolle innerhalb des Bildungsideals der Sanacja symptomatisch ist.<br />
Schließlich schuf der <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> selbst, einerseits durch die Einführung von<br />
Ritualen <strong>und</strong> Feiern anläßlich „neuerer“ historischer Ereignisse, durch Denkmäler<br />
<strong>und</strong> Symbole, andererseits durch die Berufung auf ältere Vorbilder, neue nationale<br />
bzw. staatliche Traditionen, um <strong>Piłsudski</strong> in deren Kontinuität zu stellen <strong>und</strong> ihn als<br />
ihren wahren Vollender zu präsentieren. Indem der polnische Staat unter der Sanacja<br />
ein zutiefst „moralisch saniertes“ Gemeinwesen darstellen sollte, wollten die Träger<br />
des <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong>es durch die gemeinsame Verehrung bei allen Staatsbürgern ein<br />
neues Bewußtsein für ihren Staat <strong>und</strong> <strong>seine</strong> Geschichte <strong>und</strong> dadurch eine gesamtnationale<br />
Gemeinschaft für den Erhalt der nationalen Größe <strong>und</strong> Ehre Polens schaffen.<br />
Auf diese Weise haben sie versucht, eine neue staatliche Einheit zu bilden. <strong>Der</strong> <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong><br />
wirkte dabei zunächst (zumindest bis 1935) nicht polonisierend, sondern<br />
versuchte entsprechend den föderalen Vorstellungen <strong>Piłsudski</strong>s die nationalen Minderheiten<br />
im Staat für diesen zu gewinnen, was teilweise auch gelang. Daran wurde<br />
die gr<strong>und</strong>sätzliche Offenheit des <strong>Kult</strong>es für alle Angehörigen des Staates deutlich.<br />
Dennoch setzte unter den Epigonen <strong>Piłsudski</strong>s die Tendenz ein, den <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong><br />
entsprechend ihrer politischen Annäherungsversuche an die Nationaldemokratie nationalisierend<br />
zu mißbrauchen.<br />
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