Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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November an die Errichtung des polnischen Staates beim gleichzeitigen Rückzug der Armeen des kapitulierenden Deutschen Reiches aus Polen erinnerte. Dagegen boten die auf Piłsudskis Person bezogenen Feiern Anlaß zu ausführlichen Reflexionen über den Marschall. Die beiden ausgewerteten deutschen Zeitungen aus Oberschlesien berichteten nur kurz über die Gründung des Obersten Gedächtniskomitees oder die verschiedenen Gedenkprojekte, da diese Ereignisse nicht dazu angetan waren, sie aus der Perspektive der Deutschen bzw. mit Rücksicht auf ihr politisches Anliegen zu kommentieren. Aufgrund des Leserkreises der Kattowitzer Zeitung, die die Großunternehmer und die offiziellen Kreise der deutschen Minderheit der Wojewodschaft Schlesien erreichte, fielen die Kommentare über den Marschall schon seit 1927 wohlwollender aus, während Der Oberschlesische Kurier Piłsudski erst 1935 publizistisch ehrte. In den Jahren davor hatte dieser nicht vor einer deutlichen Kritik an den Namenstagsfeiern zurückgescheut, so daß dessen fehlende Kommentare über die Person Piłsudskis anläßlich des 19. März als wohlwollend-neutral und keinesfalls als ablehnende Stellungnahme zu verstehen waren. Insgesamt stellten die beiden Blätter Piłsudski aber durchaus positiv dar. Er galt ihnen als großer, um Polen verdienter Staatsmann, auch wenn die Kattowitzer Zeitung zunächst nur eine „unpersönliche Achtung vor seiner Größe“ 171 bekundete. Im Gegensatz zu dem minderheitenfeindlichen Wojewoden Michał Grażyński sah man in Piłsudski keinen Gegner der Minderheiten, sondern betrachtete ihn als einen integren Politiker, der für eine Gleichberechtigung der deutschen Minderheit eintrat, ohne daß er sich aber jemals für diese aktiv eingesetzt hätte. Die beiden Zeitungen erinnerten daran, daß er während des Ersten Weltkrieges mit dem Deutschen Reich zusammengearbeitet und im November 1918 für einen freien Abzug der deutschen Besatzungstruppen nach der Kapitulation gesorgt hatte. Nach dem Abschluß des deutschpolnischen Nichtangriffspakts vom Januar 1934 erweiterten beide Zeitungen ihr Piłsudski-Bild um den Aspekt des „Ausgleichs“ mit dem „Mutterland“, dem Deutschen Reich. Hielt man Piłsudski als für diesen verantwortlich, so sahen die beiden Tageszeitungen in ihm auch den politischen Hoffnungsträger für einen „Ausgleich“ der deutschen Minderheit mit dem polnischen Staat, wie die Erinnerungsartikel zu den Namenstagen sowie die Nekrologe und Würdigungen zeigten. So wie er die außenpolitischen Spannungen mit dem Deutschen Reich beendet hatte, würde er auch diejenigen zwischen den Nationalitäten in Polen lösen. Nach 1934 bewerteten die beiden nun nationalsozialistisch ausgerichteten und unter dem Eindruck des „Führerprinzips“ stehenden Blätter Piłsudski als „Vorkämpfer und Führer“ 172 vorbehaltlos positiv. 173 171 Kattowitzer Zeitung vom 19.III.1928. 172 Der Oberschlesische Kurier vom 19.III.1939. 173 Die spezifische Lage der deutschen Minderheit in Polen brachte auch Unterschiede bezüglich des Piłsudski-Bildes im Deutschen Reich mit sich. War das Piłsudski-Bild der deutschen Minderheit in Polen von der Vorstellung Piłsudskis als eines Hoffnungsträgers für eine politische Gleichberechtigung gekennzeichnet, so wurde das Piłsudski-Bild in der 358

Der Tod Piłsudskis hob dessen Anerkennung nicht auf, sondern eröffnete in Form von Nekrologen eine weitere Möglichkeit, unter Berufung auf das ideelle Testament Piłsudskis auf dessen integrative Bedeutung für die Minderheiten hinzuweisen. Die deutsche Minderheit, die den Kult um Piłsudski als wichtiges Element des eigenen staatsbürgerlichen Lebens in Polen erkannt und akzeptiert hatte, nutzte also den Piłsudski-Mythos in einer eigentümlichen Weise. Eine positive Haltung zur Person Piłsudskis bestätigte ihn auch als Symbol der polnischen Staatlichkeit und offenbarte somit deren Anerkennung durch die deutsche Minderheit. Sie befand sich in einem Dilemma, da der polnische Staat trotz der nationalistischen Minderheitenpolitik des schlesischen Wojewoden Grażyński von ihnen staatsbürgerliche Treue verlangte. Eine positive Würdigung Piłsudskis bedeutete daher gewissermaßen schon eine Loyalitätsbekundung der Deutschen. Dennoch wäre für sie eine aktive Beteiligung an der kultischen Verehrung des Marschalls erst dann möglich gewesen, wenn sie als Minderheit ihre Rechte bekommen hätte. Die ukrainische als die größte nationale Minderheit in der Zweiten Republik huldigte Piłsudski in Form von öffentlichen Stellungnahmen bei den entsprechenden Feiern oder Pilgerfahrten auf den Wawel 174 im Rahmen des Kultes, um insbesondere nach dem Stillhalteabkommen mit der Ukrainischen Nationaldemokratischen Organisation von 1935 vor allem ihre (zwangsweise erreichte) „Pazifikation“ 175 und damit Presse des Deutschen Reiches selbst bis zum Jahre 1933 weniger vom Grundtenor der negativen Polenpropaganda bzw. der Revisionsforderungen geprägt, als vielmehr von der Auseinandersetzung der deutschen Parteien mit der Regierungspolitik Piłsudskis. Außerdem wurde Piłsudski mit der komplizierten Minderheitenproblematik in Polen, die ein wichtiges Thema der deutschen Presse war, nur selten in Verbindung gebracht und überdies eher zurückhaltend behandelt, um persönliche Angriffe zu vermeiden und damit eine potentielle Verhandlungsbereitschaft Piłsudskis nicht zu gefährden. Schließlich stilisierte die nationalsozialistische Propaganda den Marschall zum nationalen Führer im nationalsozialistischen Sinne und instrumentalisierte ihn für die Propaganda der deutsch-polnischen Annäherung. Vgl. dazu PIETSCH, S. 272-283. 174 Vgl. Gazeta Polska vom 17.IX.1935. 175 Nach der nationalisierenden Politik der Nationaldemokratie griff die Sanacja Ende der 1920er Jahre rigoros gegen Ukrainer und Weißruthenen durch, um deren Nationalbewußtsein durch das Verbot ihrer politischen und kulturellen Organisationen und ihrer Sprache zu unterdrücken. Auf ukrainische Terroraktionen antwortete das Sanacja-Regime mit (gewaltsamen) „Pazifikationen“, die letztlich eine nur oberflächliche Beruhigung und eine Verfestigung der nationalen Gegensätze erreichten. Jedoch sah sich die Ukraińskie Nacjonalno-Demokratyczne Objednania (Ukrainische Nationaldemokratische Organisation), die sich 1925 gebildet und die nationale Unabhängigkeit Ostgaliziens und Wolhyniens gefordert hatte, 1935 zu einem Stillhalteabkommen mit der Sanacja veranlaßt, in dem sie auf die Forderung nach der Trennung dieser Gebiete von Polen verzichtete und nur deren Autonomie im Rahmen des polnischen Staates verlangte. Vgl. HÖNSCH, Geschichte, S. 275 f. 359

November an die Errichtung des polnischen Staates beim gleichzeitigen Rückzug der<br />

Armeen des kapitulierenden Deutschen Reiches aus Polen erinnerte. Dagegen boten<br />

die auf <strong>Piłsudski</strong>s Person bezogenen Feiern Anlaß zu ausführlichen Reflexionen über<br />

den Marschall. Die beiden ausgewerteten deutschen Zeitungen aus Oberschlesien berichteten<br />

nur kurz über die Gründung des Obersten Gedächtniskomitees oder die verschiedenen<br />

Gedenkprojekte, da diese Ereignisse nicht dazu angetan waren, sie aus der<br />

Perspektive der Deutschen bzw. mit Rücksicht auf ihr politisches Anliegen zu kommentieren.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des Leserkreises der Kattowitzer Zeitung, die die Großunternehmer<br />

<strong>und</strong> die offiziellen Kreise der deutschen Minderheit der Wojewodschaft<br />

Schlesien erreichte, fielen die Kommentare über den Marschall schon seit 1927<br />

wohlwollender aus, während <strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier <strong>Piłsudski</strong> erst 1935 publizistisch<br />

ehrte. In den Jahren davor hatte dieser nicht vor einer deutlichen Kritik an den<br />

Namenstagsfeiern zurückgescheut, so daß dessen fehlende Kommentare über die Person<br />

<strong>Piłsudski</strong>s anläßlich des 19. März als wohlwollend-neutral <strong>und</strong> keinesfalls als ablehnende<br />

Stellungnahme zu verstehen waren.<br />

Insgesamt stellten die beiden Blätter <strong>Piłsudski</strong> aber durchaus positiv dar. Er galt<br />

ihnen als großer, um Polen verdienter Staatsmann, auch wenn die Kattowitzer Zeitung<br />

zunächst nur eine „unpersönliche Achtung vor <strong>seine</strong>r Größe“ 171 bek<strong>und</strong>ete. Im Gegensatz<br />

zu dem minderheitenfeindlichen Wojewoden Michał Grażyński sah man in<br />

<strong>Piłsudski</strong> keinen Gegner der Minderheiten, sondern betrachtete ihn als einen integren<br />

Politiker, der für eine Gleichberechtigung der deutschen Minderheit eintrat, ohne daß<br />

er sich aber jemals für diese aktiv eingesetzt hätte. Die beiden Zeitungen erinnerten<br />

daran, daß er während des Ersten Weltkrieges mit dem Deutschen Reich zusammengearbeitet<br />

<strong>und</strong> im November 1918 für einen freien Abzug der deutschen Besatzungstruppen<br />

nach der Kapitulation gesorgt hatte. Nach dem Abschluß des deutschpolnischen<br />

Nichtangriffspakts vom Januar 1934 erweiterten beide Zeitungen ihr <strong>Piłsudski</strong>-Bild<br />

um den Aspekt des „Ausgleichs“ mit dem „Mutterland“, dem Deutschen<br />

Reich. Hielt man <strong>Piłsudski</strong> als für diesen verantwortlich, so sahen die beiden Tageszeitungen<br />

in ihm auch den politischen Hoffnungsträger für einen „Ausgleich“ der<br />

deutschen Minderheit mit dem polnischen Staat, wie die Erinnerungsartikel zu den<br />

Namenstagen sowie die Nekrologe <strong>und</strong> Würdigungen zeigten. So wie er die außenpolitischen<br />

Spannungen mit dem Deutschen Reich beendet hatte, würde er auch diejenigen<br />

zwischen den Nationalitäten in Polen lösen. Nach 1934 bewerteten die beiden<br />

nun nationalsozialistisch ausgerichteten <strong>und</strong> unter dem Eindruck des „Führerprinzips“<br />

stehenden Blätter <strong>Piłsudski</strong> als „Vorkämpfer <strong>und</strong> Führer“ 172 vorbehaltlos positiv. 173<br />

171 Kattowitzer Zeitung vom 19.III.1928.<br />

172 <strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier vom 19.III.1939.<br />

173 Die spezifische Lage der deutschen Minderheit in Polen brachte auch Unterschiede bezüglich<br />

des <strong>Piłsudski</strong>-Bildes im Deutschen Reich mit sich. War das <strong>Piłsudski</strong>-Bild der<br />

deutschen Minderheit in Polen von der Vorstellung <strong>Piłsudski</strong>s als eines Hoffnungsträgers<br />

für eine politische Gleichberechtigung gekennzeichnet, so wurde das <strong>Piłsudski</strong>-Bild in der<br />

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