Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
unter seinem Kommando gekämpft hatten und er unmittelbar nach der Staatsgründung im November 1918 auch Vertreter jüdischer Organisationen empfangen hatte. 158 Abgesehen von den obligatorischen Gottesdiensten nahmen sie im Gegensatz zu anderen Minderheiten seit Beginn des institutionalisierten Kultes an ihnen teil. Dies galt insbesondere für Vertreter jüdischer Kombattantenvereinigungen und für Schulklassen. 159 Auch fanden in allen Synagogen Polens Trauerveranstaltungen statt. 160 Die zionistisch-nationalistische Tageszeitung Nasz Przegląd berichtete von der aktiven Teilnahme am Piłsudski-Kult nicht nur in Form von Gottesdiensten anläßlich der Namenstagsfeiern, sondern auch generell von jüdischen Organisationen, die in die Vermittlungsformen des Kultes eingebunden waren, und von Kriegserlebnissen jüdischer Legionäre. Die ausführlichen Berichte des Nasz Przegląd lassen sich darauf zurückführen, daß er als repräsentatives Organ des polnischen Judentums galt und dementsprechend von polnischer Seite zitiert wurde, so daß er das geeignete Blatt war, um eine loyale Haltung zum Piłsudski-Kult und zum Staat zu bezeugen. 161 Schließlich sollten aber auch jiddisch- und polnischsprachige Fest- bzw. Gedenkschriften und eine jiddischsprachige Biographie 162 des Marschalls diese Haltung demonstrieren und zugleich den Piłsudski-Mythos innerhalb des polnischen Judentums popularisieren. Aufschlußreich ist die Haltung der Zionisten zum Piłsudski-Kult. Für sie galt der Marschall vor allem als ein beispielhafter Staatsgründer, so daß ihn zionistische Organisationen in Polen und in Palästina als solchen verehrten und eigenständige Initiativen zu seinem Gedenken entwickelten. 163 Der 11. November 1918 symbolisierte daher für den Nasz Przegląd erstmalig die volle Anerkennung der staatsbürgerlichen und politischen Gleichberechtigung des jüdischen Volkes in Polen, da an diesem Tag 158 Vgl. Nasz Przegląd vom 11.XI.1928. 159 Vgl. den Bericht der Kattowitzer Zeitung vom 10./11.XI.1927. An der feierlichen Sitzung des Sejms vom 11.XI.1928 nahmen außer den deutschen Sozialisten die Minderheitenparlamentarier nicht teil, während Vertreter des „jüdischen Blocks“ (Kattowitzer Zeitung vom 10./11.XI.1928) anwesend waren. Vgl. auch den Bericht der Kattowitzer Zeitung vom 6.VIII.1928, wonach sich die weißrussische und die litauische Minderheit in Wilna in Hinsicht auf den Legionärskongress in Wilna anders verhielt als die jüdische Bevölkerung. 160 Vgl. PAPROCKI, S. 5. Vgl. auch die Nachrufe verschiedener jüdischer Zeitungen, ebenda, S. 27-36. 161 Diese Funktion konnte die jiddischsprachige Zeitung Dos Naje Wort nicht wahrnehmen, so daß sie sich auf knappe Berichte (meist Meldungen der Presseagenturen) beschränkte. Vgl. Dos Naje Wort vom 15., 17., 19. und 20.V.1935, 12.V.1937, 16.VIII.1937, 11.XI. 1935, 12.XI.1936 und vom 12.XI.1937. 162 Vgl. WINIZKA. 163 So sollte z.B. ein Wald in Palästina den Namen Piłsudskis tragen, zur Haltung der Juden in Palästina vgl. IJP, AJP, 43. 356
eine neue Ära des polnischen Judentums begonnen habe. 164 Das Blatt verstand die Wiedergewinnung der staatlichen Unabhängigkeit Polens als untrennbar mit dem Wirken Piłsudskis verbunden und erblickte diesen Zusammenhang von dem Gesichtspunkt der jüdischen Minderheit aus. 165 Der 11. November sollte alle Bürger Polens vereinen und alle gesellschaftlichen Energien bündeln, wobei auch die jüdische Bevölkerung daran teilhabe. 166 Dementsprechend würdigte der Nasz Przegląd den Piłsudski-Kult mit den Worten: Er sei „eine natürliche, gesunde Erscheinung des Geistes, die aus dem Gefühl der herzlichen Dankbarkeit für die Macht des Genius’ entsteht. [...] Der Kult und die Liebe für den Marschall Piłsudski innerhalb der jüdischen Massen ist ein allgemeines Phänomen“ 167 , weil man sich wünsche, daß alle Staatsbürger ohne Unterschied von Konfession und Nationalität gemeinsam die Arbeit des Marschalls fortsetzten. Dagegen spielte der Namenstag Piłsudskis – wohl aus Glaubensgründen – in den Spalten des Nasz Przegląd keine größere Rolle, obwohl die vom Staat vorgeschriebenen Gottesdienste stattfanden und die Zeitung über deren Verlauf berichtete. Dagegen bot der Todestag eine passende Gelegenheit, sich unter Berufung auf das ideelle Testament Piłsudskis gegen ethnische Diskriminierungen und für die nationale Gleichberechtigung auszusprechen. 168 Die deutsche Minderheit hingegen beteiligte sich abgesehen von eigenen Trauerveranstaltungen und der vom Staat vorgeschriebenen Beteiligung an den Piłsudski- Feiern nicht aktiv an dessen Kult. 169 Die Minderheitenschulen mußten seit 1932 an den Paraden zum 19. März teilnehmen, während die Gottesdienste schon seit 1927 verpflichtend waren. In den Kommentaren und Berichten zu den Legionärskongressen und zum 11. November verhielten sich die Kattowitzer Zeitung und Der Oberschlesische Kurier zurückhaltend 170 , was auf den ausgesprochen polnisch-nationalen und politischen Charakter dieser Feiern zurückzuführen ist. Die Deutschen in Polen hatten zu diesen Ereignissen keinen positiven historischen Bezug, weil doch gerade der 11. 164 Vgl. Nasz Przegląd vom 11.XI.1927. 165 Vgl. Nasz Przegląd vom 11.XI.1935. 166 Vgl. den Aufruf des jüdischen Festkomitees in Warschau, in: Nasz Przegląd vom 11.XI.1937, während das jiddische Dos Naje Wort vom 12.XI.1937 nur den Presseagentur-Text veröffentlichte. 167 „naturalnym, zdrowym przejawem duszy, wypływającym z uczuciu serdecznej wdzięczności dla potęgi Genjusza [...] Kult i umiłowanie dla Marszałka Piłsudskiego wśród mas żydowskich jest zjawiskiem powszechnym.“ (Nasz Przegląd vom 6.VIII.1939). 168 Vgl. Nasz Przegląd vom 12.V.1937, vom 12.V.1938 und vom 12.V.1939. 169 Zur Haltung der deutschen Minderheit im Polen anläßlich Piłsudskis Tod: siehe PAPRO- CKI, S. 23-27. Aus einer Notiz des Deutschen Schulvereins in Bydgoszcz (AAN, MWRi- OP, 980, B. 89) wird aber ersichtlich, daß er trotz eines fehlenden Erlasses des Schulbezirks bzw. Ministeriums Trauerbekundungen für die deutschen Schulen anordnete. 170 Siehe dazu ausführlich: HEIN, Piłsudski-Feiern. 357
- Seite 317 und 318: Einsatz trugen dazu bei, daß er ba
- Seite 319 und 320: Zwei Inszenierungen durch Piłsudsk
- Seite 321 und 322: entstand, der sich aus der POW und
- Seite 323 und 324: Folglich läßt sich bei der Gruppe
- Seite 325 und 326: dächtniskomitees zu sein. Eine bed
- Seite 327 und 328: Demnach gehörten die maßgeblichen
- Seite 329 und 330: „Hausmacht“ etablieren konnte,
- Seite 331 und 332: Der mit dem Kult verbundene Mythos
- Seite 333 und 334: mit ihm verbundenen Ritualen auch d
- Seite 335 und 336: Paraden nicht stattfanden. Ein beso
- Seite 337 und 338: Insgesamt war der Kult daher auch e
- Seite 339 und 340: den regierungsnahen Zeitungen über
- Seite 341 und 342: dem Leben des Marschalls ein große
- Seite 343 und 344: dem eigentlichen Piłsudski-Lager,
- Seite 345 und 346: der Aufstände des 19. Jahrhunderts
- Seite 347 und 348: die Bevölkerung im Jahre 1928 zur
- Seite 349 und 350: Erde auf dem Piłsudski-Erdhügel b
- Seite 351 und 352: 5.1.1. Der Piłsudski-Kult und ande
- Seite 353 und 354: Einschränkungen auch der Lenin-Kul
- Seite 355 und 356: Ecken“ 101 , die Bismarck-Denkmä
- Seite 357 und 358: Da die menschlichen Prädisposition
- Seite 359 und 360: vollständig erreicht wurde. Es gab
- Seite 361 und 362: teilungen und die Plazierung dieser
- Seite 363 und 364: Narodowy und ABC, wieder ausführli
- Seite 365 und 366: Gazeta Warszawska im Mai 1935. 143
- Seite 367: hängig war. Dies offenbaren auch d
- Seite 371 und 372: Der Tod Piłsudskis hob dessen Aner
- Seite 373 und 374: im Frühjahr 1920. 182 Ein weiteres
- Seite 375 und 376: ja bzw. den Piłsudski-Epigonen deu
- Seite 377 und 378: Da die Verehrung des Marschalls ins
- Seite 379 und 380: anderen großen Persönlichkeiten d
- Seite 381 und 382: 6. Abkürzungs- und Siglenverzeichn
- Seite 383 und 384: 7.1. Archivalien I. Archives Nation
- Seite 385 und 386: - Naczelny Komitet Narodowy [Oberst
- Seite 387 und 388: c) Archiwum Rzeczowe [Sacharchiv] -
- Seite 389 und 390: Jak stałem się socjalistą [Wie i
- Seite 391 und 392: Józef Piłsudski. Testament. Kores
- Seite 393 und 394: GARLICKA, ALEKSANDRA - GARLICKI, AN
- Seite 395 und 396: DERS.: Podstawy wychowania obywatel
- Seite 397 und 398: BILIŃSKI, LEON: Wspomnienia i doku
- Seite 399 und 400: DERS.: Problem narodowotwórczy na
- Seite 401 und 402: DERS.: Im Herzen Europas. Geschicht
- Seite 403 und 404: FARYS, JANUSZ: Kościół rzymsko-k
- Seite 405 und 406: DIES.: Wypisy historyczne z dziejó
- Seite 407 und 408: die Geschichte. Festschrift für Re
- Seite 409 und 410: JAROSZ, WŁODZIMIERZ - KARGOL, ADOL
- Seite 411 und 412: JELLENTA, CEZARY [eigentlich: N. Hi
- Seite 413 und 414: DERS.: Roman Dmowski, Warszawa 1996
- Seite 415 und 416: DERS.: Przedmowa do wydania drugieg
- Seite 417 und 418: DERS.: Impact of the May 1926 Coup
unter <strong>seine</strong>m Kommando gekämpft hatten <strong>und</strong> er unmittelbar nach der Staatsgründung<br />
im November 1918 auch Vertreter jüdischer Organisationen empfangen hatte. 158<br />
Abgesehen von den obligatorischen Gottesdiensten nahmen sie im Gegensatz zu anderen<br />
Minderheiten seit Beginn des institutionalisierten <strong>Kult</strong>es an ihnen teil. Dies galt<br />
insbesondere für Vertreter jüdischer Kombattantenvereinigungen <strong>und</strong> für Schulklassen.<br />
159 Auch fanden in allen Synagogen Polens Trauerveranstaltungen statt. 160 Die zionistisch-nationalistische<br />
Tageszeitung Nasz Przegląd berichtete von der aktiven<br />
Teilnahme am <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> nicht nur in Form von Gottesdiensten anläßlich der<br />
Namenstagsfeiern, sondern auch generell von jüdischen Organisationen, die in die<br />
Vermittlungsformen des <strong>Kult</strong>es eingeb<strong>und</strong>en waren, <strong>und</strong> von Kriegserlebnissen jüdischer<br />
Legionäre.<br />
Die ausführlichen Berichte des Nasz Przegląd lassen sich darauf zurückführen,<br />
daß er als repräsentatives Organ des polnischen Judentums galt <strong>und</strong> dementsprechend<br />
von polnischer Seite zitiert wurde, so daß er das geeignete Blatt war, um eine loyale<br />
Haltung zum <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong> <strong>und</strong> zum Staat zu bezeugen. 161 Schließlich sollten aber<br />
auch jiddisch- <strong>und</strong> polnischsprachige Fest- bzw. Gedenkschriften <strong>und</strong> eine jiddischsprachige<br />
Biographie 162 des Marschalls diese Haltung demonstrieren <strong>und</strong> zugleich<br />
den <strong>Piłsudski</strong>-Mythos innerhalb des polnischen Judentums popularisieren.<br />
Aufschlußreich ist die Haltung der Zionisten zum <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Kult</strong>. Für sie galt der<br />
Marschall vor allem als ein beispielhafter Staatsgründer, so daß ihn zionistische Organisationen<br />
in Polen <strong>und</strong> in Palästina als solchen verehrten <strong>und</strong> eigenständige Initiativen<br />
zu <strong>seine</strong>m Gedenken entwickelten. 163 <strong>Der</strong> 11. November 1918 symbolisierte daher<br />
für den Nasz Przegląd erstmalig die volle Anerkennung der staatsbürgerlichen<br />
<strong>und</strong> politischen Gleichberechtigung des jüdischen Volkes in Polen, da an diesem Tag<br />
158<br />
Vgl. Nasz Przegląd vom 11.XI.1928.<br />
159<br />
Vgl. den Bericht der Kattowitzer Zeitung vom 10./11.XI.1927. An der feierlichen Sitzung<br />
des Sejms vom 11.XI.1928 nahmen außer den deutschen Sozialisten die Minderheitenparlamentarier<br />
nicht teil, während Vertreter des „jüdischen Blocks“ (Kattowitzer Zeitung<br />
vom 10./11.XI.1928) anwesend waren. Vgl. auch den Bericht der Kattowitzer Zeitung<br />
vom 6.VIII.1928, wonach sich die weißrussische <strong>und</strong> die litauische Minderheit in Wilna<br />
in Hinsicht auf den Legionärskongress in Wilna anders verhielt als die jüdische Bevölkerung.<br />
160<br />
Vgl. PAPROCKI, S. 5. Vgl. auch die Nachrufe verschiedener jüdischer Zeitungen, ebenda,<br />
S. 27-36.<br />
161<br />
Diese Funktion konnte die jiddischsprachige Zeitung Dos Naje Wort nicht wahrnehmen,<br />
so daß sie sich auf knappe Berichte (meist Meldungen der Presseagenturen) beschränkte.<br />
Vgl. Dos Naje Wort vom 15., 17., 19. <strong>und</strong> 20.V.1935, 12.V.1937, 16.VIII.1937, 11.XI.<br />
1935, 12.XI.1936 <strong>und</strong> vom 12.XI.1937.<br />
162<br />
Vgl. WINIZKA.<br />
163<br />
So sollte z.B. ein Wald in Palästina den Namen <strong>Piłsudski</strong>s tragen, zur Haltung der Juden<br />
in Palästina vgl. IJP, AJP, 43.<br />
356