Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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witzer Zeitung endete mit der rhetorischen Frage, wie sich Korfanty wohl benehmen würde, wenn die Deutschen zu einem solchen Verhalten [Boykott von staatlichen Feiern] aufgerufen hätten. Die Polonia berichtete in ihrem Artikel über die Namenstagsfeierlichkeiten von 1934 135 , daß der staatliche Rundfunk von Reportagen darüber ebenso angefüllt sei wie die Tagespresse mit „götzendienerischen“ 136 Berichten. Der ABC dagegen schilderte im Jahr 1930 die Namenstagsfeiern von Józef Haller und General Dowbór-Muśnicki, ging jedoch nicht auf die Feiern zu Ehren Piłsudskis ein. Insgesamt verbeugten sich im Mai 1935 „selbst politische Gegner [...] vor seiner [Piłsudskis] Leiche“ 137 , was aber nicht zu einer unkritischen Auseinandersetzung mit seiner Person führte. So setzte sich der christdemokratische Głos Narodu („Die Stimme des Volkes“) vom 14. Mai 1935 mit der offenkundigen innenpolitischen Leere auseinander, die der Tod Piłsudskis mit sich gebracht habe 138 , nachdem er konstatiert hatte, daß mit dem Ableben Piłsudskis eine Epoche abgeschlossen sei. 139 Der sozialistische Robotnik beurteilte ihn vor allem in bezug auf seine Leistungen für die PPS und die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens. Er merkte aber auch an, daß Piłsudski nach dem Maiumsturz die ganze Macht an sich gerissen hätte und sein Tod ein außergewöhnlich wichtiges Ereignis sei. 140 Der Führer der Bauernpartei Wincenty Witos stellte dies ebenfalls fest, fügte aber kritisch hinzu, daß Piłsudski selbst an seine Größe und seine unsterblichen Verdienste geglaubt habe. Er habe seine Gefolgschaft angewiesen, sie zu würdigen, und beide nach seinem Tod [durch die Beisetzung im Wawel] gesichert. Schließlich bemängelte er die ungeheuren Kosten des Begräbnisses. 141 Die kommunistische Partei interpretierte den Tod Piłsudskis dahingehend, daß er die Bourgeoisie beunruhigt habe, und nutzte dies, um zur Niederwerfung des seiner Ansicht nach „faschistischen“ [= Sanacja-, H.H.] Regimes aufzurufen. 142 Wie stark der Staat durch Zensurmaßnahmen in die Berichterstattung der Zeitungen eingriff, zeigte sich deutlich am Publikationsverbot für die nationaldemokratische 135 Vgl. Polonia vom 22.III.1934. 136 „bałwochwalstwo“ (ebenda). 137 Kattowitzer Zeitung vom 14.V.1935. Vgl. auch die Stellungnahmen der politischen Opposition insgesamt, zit. in: Pożegnanie Marszałka, S. 119-134. 138 Der Głos Narodu („Die Volksstimme“) verglich die Situation mit einem möglichen Tod von Mussolini, Hitler und Stalin, hinter denen nur eine Gruppe stünde, während hinter Piłsudski verschiedene Gruppierungen postiert seien. 139 Vgl. Głos Narodu vom 14.V.1935, zit. in: Pożegnanie Marszałka, S. 122 f. 140 Vgl. Robotnik vom 14.V.1935, zit. in: Pożegnanie Marszałka, S. 125 f. 141 W. Witos, in: Pożegnanie Marszałka, S. 127 ff. 142 Vgl. Aufruf des Zentralkomitees der Komunistyczna Partia Polski (Polnische Kommunistische Partei), in: Pożegnanie Marszałka, S. 129-133. 352

Gazeta Warszawska im Mai 1935. 143 Diese hatte dem Tod Piłsudskis am 13. Mai nur ca. eine halbe Titelseite ohne schwarzen Trauerrand gewidmet und seinen Lebenslauf knapp skizziert, wobei sie sein Wirken seit 1904 als terroristisch beschrieb und auf die völlig neue innenpolitische Lage einging. 144 Am 14. Mai bezog sich die Gazeta Warszawska auf den Maiumsturz, merkte aber an, daß im Angesicht des Todes die Leidenschaften schweigen sollten. Daraufhin boykottierten nicht nur die Zeitungskioske landesweit den Verkauf der Gazeta Warszawska, sondern sie wurde auch von der Zensurbehörde verboten. 145 Auch die Polonia scheint kritisch über Piłsudski berichtet zu haben, worauf eine leere, d.h. zensierte Seite des Blattes der Ausgabe vom 13. Mai 1935 verweist. Auch anläßlich der Todestagsfeiern wurden die Trennungslinien zwischen den politischen Lagern sichtbar, indem die Blätter der oppositionellen Rechten die Feiern kaum erwähnten, wobei ABC und der Warszawski Dziennik Narodowy den Verlauf der Feiern nur kurz zusammenfaßten. 146 Diese knappen Berichte beinhalteten keine Kritik am Kult, was wohl in der Furcht vor Zensurmaßnahmen begründet lag. Hinweise zum Verhalten des Publikums bei den öffentlichen Paraden finden sich kaum. In ihrem kritischen Bericht über den Legionärskongreß in Kielce von 1926 hielt die Gazeta Warszawska fest, daß die Bevölkerung daran kaum interessiert war. 147 So berichtete beispielsweise der Oberschlesische Kurier anläßlich der Parade zum 11. November 1928 in Königshütte, daß die Volksmassen teilnahmslos am Bürgersteig gestanden und sich mit der bloßen Betrachtung der Parade begnügt hätten. 148 Jedoch weisen vage Formulierungen wie „Massen“ (tłumy) in den regierungsnahen Zeitungen darauf hin, daß man sich nicht auf bestimmte Aussagen über die Zuschauerzahlen festlegen lassen wollte. 149 143 Vgl. dazu Pożegnanie Marszałka, S. 119 ff. 144 Auch am 14. Mai beschränkte sie sich auf die wesentlichsten diesbezüglichen Nachrichten. „Diplomatischer“ verhielt sich dagegen die Zeitung ABC, die zwar vermutlich wegen des Redaktionsschlusses am 13. Mai keine Nachricht über das Ableben des Marschalls abdruckte, aber dafür am 14. Mai und an den darauf folgenden Tagen ausführlich über Piłsudskis Tod und die Trauer im Lande berichtete. 145 In ihrer Tradition stehend entstand noch 1935 der Warszawski Dziennik Narodowy. 146 Vgl. z.B. ABC vom 12.V.1936, 12.V.1937, 12.V.1939; Warszawski Dziennik Narodowy vom 13.V.1936, 13.V.1937; Kattowitzer Zeitung vom 12.V.1937 (Presseschau); über das Schweigen der oppositionellen Presse siehe Der Oberschlesische Kurier vom 12.V.1937. 147 Vgl. Gazeta Warszawska vom 17.VIII.1926. 148 Der Oberschlesische Kurier vom 14.XI.1928. 149 So berichtete die Gazeta Polska vom 20.III.1930 über den ungewöhnlich feierlichen Verlauf des Namenstages, die Gazeta Warszawska vom 20.III.1930 dagegen von nur 300 teilnehmenden Personen. Der Oberschlesische Kurier vom 20.III.1931 behauptete, daß die Umzüge nur durch die Teilnahme aller staatlichen Beamten und Angestellten hätten zu „Kundgebungen gestempelt“ werden können. Diese Diskrepanz bei den Zahlenangaben wird auch anläßlich der Feiern zum 11. November 1932 deutlich. Während sich die 353

Gazeta Warszawska im Mai 1935. 143 Diese hatte dem Tod <strong>Piłsudski</strong>s am 13. Mai nur<br />

ca. eine halbe Titelseite ohne schwarzen Trauerrand gewidmet <strong>und</strong> <strong>seine</strong>n Lebenslauf<br />

knapp skizziert, wobei sie sein Wirken seit 1904 als terroristisch beschrieb <strong>und</strong> auf<br />

die völlig neue innenpolitische Lage einging. 144 Am 14. Mai bezog sich die Gazeta<br />

Warszawska auf den Maiumsturz, merkte aber an, daß im Angesicht des Todes die<br />

Leidenschaften schweigen sollten. Daraufhin boykottierten nicht nur die Zeitungskioske<br />

landesweit den Verkauf der Gazeta Warszawska, sondern sie wurde auch von<br />

der Zensurbehörde verboten. 145 Auch die Polonia scheint kritisch über <strong>Piłsudski</strong> berichtet<br />

zu haben, worauf eine leere, d.h. zensierte Seite des Blattes der Ausgabe vom<br />

13. Mai 1935 verweist.<br />

Auch anläßlich der Todestagsfeiern wurden die Trennungslinien zwischen den politischen<br />

Lagern sichtbar, indem die Blätter der oppositionellen Rechten die Feiern<br />

kaum erwähnten, wobei ABC <strong>und</strong> der Warszawski Dziennik Narodowy den Verlauf<br />

der Feiern nur kurz zusammenfaßten. 146 Diese knappen Berichte beinhalteten keine<br />

Kritik am <strong>Kult</strong>, was wohl in der Furcht vor Zensurmaßnahmen begründet lag.<br />

Hinweise zum Verhalten des Publikums bei den öffentlichen Paraden finden sich<br />

kaum. In ihrem kritischen Bericht über den Legionärskongreß in Kielce von 1926<br />

hielt die Gazeta Warszawska fest, daß die Bevölkerung daran kaum interessiert<br />

war. 147 So berichtete beispielsweise der Oberschlesische Kurier anläßlich der Parade<br />

zum 11. November 1928 in Königshütte, daß die Volksmassen teilnahmslos am Bürgersteig<br />

gestanden <strong>und</strong> sich mit der bloßen Betrachtung der Parade begnügt hätten. 148<br />

Jedoch weisen vage Formulierungen wie „Massen“ (tłumy) in den regierungsnahen<br />

Zeitungen darauf hin, daß man sich nicht auf bestimmte Aussagen über die Zuschauerzahlen<br />

festlegen lassen wollte. 149<br />

143<br />

Vgl. dazu Pożegnanie Marszałka, S. 119 ff.<br />

144<br />

Auch am 14. Mai beschränkte sie sich auf die wesentlichsten diesbezüglichen Nachrichten.<br />

„Diplomatischer“ verhielt sich dagegen die Zeitung ABC, die zwar vermutlich wegen<br />

des Redaktionsschlusses am 13. Mai keine Nachricht über das Ableben des Marschalls<br />

abdruckte, aber dafür am 14. Mai <strong>und</strong> an den darauf folgenden Tagen ausführlich über<br />

<strong>Piłsudski</strong>s Tod <strong>und</strong> die Trauer im Lande berichtete.<br />

145<br />

In ihrer Tradition stehend entstand noch 1935 der Warszawski Dziennik Narodowy.<br />

146<br />

Vgl. z.B. ABC vom 12.V.1936, 12.V.1937, 12.V.1939; Warszawski Dziennik Narodowy<br />

vom 13.V.1936, 13.V.1937; Kattowitzer Zeitung vom 12.V.1937 (Presseschau); über das<br />

Schweigen der oppositionellen Presse siehe <strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier vom 12.V.1937.<br />

147<br />

Vgl. Gazeta Warszawska vom 17.VIII.1926.<br />

148<br />

<strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier vom 14.XI.1928.<br />

149<br />

So berichtete die Gazeta Polska vom 20.III.1930 über den ungewöhnlich feierlichen Verlauf<br />

des Namenstages, die Gazeta Warszawska vom 20.III.1930 dagegen von nur 300<br />

teilnehmenden Personen. <strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier vom 20.III.1931 behauptete, daß<br />

die Umzüge nur durch die Teilnahme aller staatlichen Beamten <strong>und</strong> Angestellten hätten<br />

zu „K<strong>und</strong>gebungen gestempelt“ werden können. Diese Diskrepanz bei den Zahlenangaben<br />

wird auch anläßlich der Feiern zum 11. November 1932 deutlich. Während sich die<br />

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